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Hochwasser Hoffen und Bangen in Halberstadt

Die Deiche halten: Halberstadt hat Chancen, das Hochwasser mit einem blauen Auge zu überstehen.

Von Dennis Lotzmann 26.07.2017, 23:21

Halberstadt/Langenstein/Harsleben/Hoppenstedt l Es war eine Zitterpartie, bei der sich die Hoffnungen am Ende zerschlagen haben: Am Mittwochnachmittag wird bei Veltensmühle der Deich überspült, die Fluten der Holtemme bahnen sich mit immenser Kraft den Weg ins Umfeld. Veltensmühle, das war schon Stunden zuvor deutlich geworden, ist ein neuralgischer Punkt im Holtemme-Verlauf. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk liefern bis zum Abend pausenlos Sandsäcke an, die Stadt bereitet Notquartiere im FSZ vor.

Wie erwartet, traf schon am Dienstagabend der erste Flutscheitel, von Wernigerode und Derenburg kommend, Halberstadt. Im Bereich Veltensmühle/Mahndorf trat die Holtemme über die Ufer, die Mahndorfer Landstraße musste nachts gesperrt werden, informierte Rathaussprecherin Ute Huch. Zwar kann die Straße am Morgen wieder freigegeben werden. Die Entwarnung ist jedoch nicht von Dauer: Als um 10 Uhr der Holtemme-Pegel wieder steigt, ist die Mahndorfer Landstraße erneut dicht. Und damit nicht genug: „Der Strom ist vorsorglich komplett abgeschaltet worden“, so Ute Huch. Erst nachts, und dann am Mittwoch erneut.

Was der Sicherheit dient, beschert der Abwassergesellschaft Halberstadt (AWH) Probleme. In Veltensmühle fällt daraufhin ein Hauptpumpwerk aus, das Abwasser aus Ströbeck, Aspenstedt und Athenstedt zum Klärwerk nach Halberstadt pumpt, informiert AWH-Geschäftsführer Thomas Valentin. Seitdem pendeln drei Lkw, um Abwasser zum Klärwerk zu transportieren. In der Kernstadt habe die AWH bislang keine Probleme.

Dort überwachen Feuerwehrleute am Mittwoch unter anderem die Holtemme-Brücken in der Stern- und der Bleichstraße. Sie verhindern, dass sich Treibgut unter den Brücken sammelt und den Wasserabfluss behindert. Kritisch ist es vor allem an der Bleichstraße, wo sich in ­direkter Nachbarschaft zur Holtemme das Ameos-Klinikum befindet.

In dem 450 Betten zählenden Klinikum hat die Chefetage die denkbaren Szenarien theoretisch durchgespielt. „Oberste Priorität hat die Stromversorgung“, berichtet Sprecher Sebastian Hübner. Zwar gebe es eine Notstromanlage – „Strom und Wasser sollten aber stets streng getrennt sein“, erinnert Hübner. Deshalb habe die Feuerwehr alle möglichen Eintrittsöffnungen vorsorglich mit Sandsäcken verbaut.

„Wir haben außerdem das THW kontaktiert, damit im Notfall schnell Hilfe da ist.“ Zudem gebe es Sand und Sandsäcke in Reserve, Mitarbeiter hätten sich bereit erklärt, bei Bedarf mit anzupacken. Am Mittwochnachmittag läuft nur eine Pumpe, um drückendes Grundwasser aus dem Ameos-Keller zu pumpen.

Bedrohlich ist am Mittwoch auch die Lage am Kaufland. Dort droht die Holtemme überzulaufen. Vorsorglich hat die Feuerwehr am Nachmittag den Mühlenweg an der Holtemme gesperrt. Der Kundenparkplatz wird geräumt. Trotzdem locken die steigenden Fluten auch viele Schaulustige an. Kaufland schließt vorsorglich eine Stunde vorfristig gegen 21 Uhr.

Dass zumindest in der Halberstädter Kernstadt Überschwemmungen und größere Schäden bislang ausgeblieben sind, ist auch dem Hochwasserschutz zu verdanken, der seit der Flut im Jahr 2002 optimiert wurde. Deiche wurden erhöht, Schutzmauern gezogen und Schwachpunkte beseitigt, erinnert Christoph Ertl, zuständiger Flussbereichsleiter des Landeshochwasserbetriebs (LHW). Rund 2,4 Millionen Euro seien in dieses Projekt geflossen. Für Halberstadt, das zeige die aktuelle Situation, müsse nicht nachjustiert werden.

Wobei die Frage, ob die Deicherhöhungen ausreichend sind, auch Christoph Ertl am Mittwochnachmittag noch nicht abschließend beantworten kann und will. Zu diesem Zeitpunkt wird im vom Hochwasser schwer gebeutelten Wernigerode gerade mit dem Schlimmsten gerechnet: die Zillierbach-Talsperre könnte überlaufen.

Zwar wird die Prognose dafür mehrfach nach hinten auf schließlich 19 Uhr verschoben. Um 18.50 Uhr passiert es dann. Das Wasser schießt über die Kante der Staumauer. Nach ersten Informationen aber in geringerer Menge, als befürchtet. Allerdings werden so Zillierbach und im weiteren Verlauf die Holtemme weiter anschwellen. Ertl rechnet mit bis zu fünf Kubikmetern pro Sekunde, die via Holtemme auch den Weg durch Halberstadt nehmen müssen.

In einen reißenden Strom hat sich neben der Holtemme auch der sonst friedliche Goldbach verwandelt. Im Ortsteil Langenstein tritt er schon am Mittwochvormittag stellenweise über das Ufer und überflutet Grundstücke. Schwerpunkt ist der Bereich Insel. Außerdem droht am Ölmühlenteich eine Mauer zu brechen. Anwohner dichten vorsorglich Haustüren und Grundstückseinfahrten mit Sandsäcken ab. Am Nachmittag flutet der Goldbach die Straße Am Sommerbad, die gesperrt werden muss. Am Abend werden beide Ortszufahrten von der B 81 gesperrt, weil die Straßen unterspült oder überflutet sind.

47 Kameraden der freiwilligen Feuerwehr und der hauptberuflichen Feuerwehr aus Halberstadt sowie der Freiwilligen Feuerwehr Sargstedt sind schon in der Nacht zum Mittwoch im Einsatz. Die Sargstedter füllen stundenlang Sandsäcke. Sie werden teilweise an neuralgischen Stellen wie dem Ameos-Klinikum verbaut oder am Gut Mahndorf an die Bevölkerung ausgegeben.

„Zahlreiche Anrufe aus der Bürgerschaft gingen bei der Feuerwehr ein, um ihre Hilfe anzubieten. Das war in der Nacht nicht erforderlich, weil die Kräfte ausreichten“, sagt Ute Huch. „Die Feuerwehr und Oberbürgermeister Andreas Henke (Die Linke), der ebenfalls vor Ort war, danken den Bürgern für ihre Hilfsbereitschaft.“

Der Goldbach bereitet auch im nahen Harsleben große Probleme. Dort sind viele Straßenzüge im Ortskern überflutet. Die Feuerwehr ist seit Mittwochmorgen im Dauereinsatz, um Keller leerzupumpen und Sandsäcke zu verbauen.

In Nienhagen droht am Morgen die Holtemme, die Deichkrone zu überspülen. Helfer von Feuerwehr, Vereinen und Anwohner verhindern dies mit Sandsäcken.

Derweil verschärft sich die Situation in Hoppenstedt. Am Abend schließt die Ilse das Mühlengrundstück, auf dem drei Familien leben, ein. Der Kampf gegen die Fluten wird die Helfer auch in der Nacht in Atem halten.

Für Fragen zur Hochwassersituation wurde in Halberstadt ein Bürgertelefon eingerichtet: (0 39 41) 55 20 13.

Hier der Liveticker zum Nachlesen.