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Kiesabbau Mit der Idylle ist es vorbei

In Wülperode kocht die Volksseele wegen vieler Kieslaster. Eine Asphaltstraße soll den Lärm dämpfen. Das lehnen die Bürger ab.

Von Mario Heinicke 25.03.2017, 15:11

Wülperode l Die Bewohner anderer Dörfer würden einen Luftsprung machen, wenn ihnen der Landkreis ankündigen würde, dass die Kreisstraße durch ihren Ort ausgebaut wird. In Wülperode aber würde man lieber darauf verzichten.

Deutlich geworden ist das auf einer Einwohnerversammlung am Donnerstagabend. Weil eine neue Kreisstraße das Problem der Kieslaster zementieren würde, die jetzt die Anwohner schon vor 5 Uhr morgens nerven. Die meist leeren Lkw scheppern von Westen her über das alte Kopfsteinpflaster zum Kieswerk hinter Suderode.

Dort befindet sich seit wenigen Jahren die Aus- und Einfahrt der Kiesgrube. Früher rollten alle Lkw über Bühne. Raus aus dem Kieswerk müssen alle Laster zwingend in Richtung Lüttgenrode abbiegen.

Heinz Hübe, der Leiter des Kreisstraßenbauamtes, war nach Wülperode gekommen, um den Einwohnern die Vorhaben des Landkreises vorzustellen, die allesamt mit dem Kieswerk und dem damit verbundenen Schwerlastverkehr in Verbindung stehen. Demnach soll dieses Jahr voraussichtlich ab Sommer die Sanierung der Straße von Lüttgenrode in Richtung Suderode fortgesetzt werden. Auf 1,9 Kilometer Länge bis zur Stimmecke-Brücke in Suderode. Nächstes Jahr soll die Eckergraben-Brücke in Wülperode erneuert werden, 2019 der Ausbau der kompletten Dorfstraße folgen.

Göddeckenrode soll derweil eine provisorische Asphaltdecke auf die ebenso holprige Kreisstraße im Ort bekommen. Denn hier ist für die zwei Baujahre in Wülperode die Umleitung auch für die Kiestransporte vorgesehen.

Dabei hatte bisher eigentlich Göddeckenrode oben auf der Prioritätenliste für den Ausbau der Ortslage gestanden. Göddeckenrode komme 2020, sagte Hübe unverbindlich voraus. Doch daran will aus dem Dorf keiner so recht glauben. „Das höre ich seit 25 Jahren“, warf ein Bewohner ein.

Es gibt jetzt schon große Bedenken, falls die Laster durch Göddeckenrode poltern. Die Dorfstraße ist teils äußerst schmal, hat oft nicht mal einen Fußweg. Die Einwohner haben Sorgen um ihre Kinder.

Ginge es nach den Wülpe-rödern, könnte der Landkreis die Million(en), die er in die Dorfstraße investieren will, anderenorts einsetzen. Sofern damit freilich verbunden wäre, dass der Lkw-Verkehr draußen bleibt. Die größte „Chance“ dafür böte die schmale Brücke, die früher sogar auf nur sechs Tonnen beschränkt war. Zumal Herbert Hübe selbst von einem Investitionsstau bei den Kreisstraßen angesichts knapper Finanzmittel sprach.

Wülperode ist an sich ein idyllischer Ort. Auch weil dort die Zeit stehengeblieben scheint. Straßen und Häuser noch wie früher, aber gut erhalten. Die Dorfgemeinschaft funktioniert. Mitte der 1990er Jahre war Wülperode schönstes Dorf von Sachsen-Anhalt und eines der schönsten in Deutschland. Beurkundet im Wettbewerb. Bald konnte sich glücklich schätzen, wer hier noch ein Grundstück gefunden hat. Doch mit Ruhe und Idylle ist es vorbei, seit das Kiesabbaufeld Bühne um das Sechsfache vergrößert wurde und eben die neue Zufahrt entstand.

Alexander Bruder erinnerte unter dem Beifall seiner Mitbewohner daran, dass es damals im Raumordnungsverfahren für die Erweiterung des Kiestagebaus Wille der Gemeinden gewesen sei, dass alle Kies-transporte über Lüttgenrode erfolgen und damit so gut wie niemanden stören.

Doch der Verkehr sucht sich seinen Weg, weiß auch Hübe. Zumal die Speditionen unter Zeit- und Kostendruck stehen und bei einer Abkürzung über die Kreisstraße Sprit und Autobahnmaut sparen können.

Der Mensch sei nach dem Gesetz vor Lärm zu schützen, unterstrich Bruder. Mehrere Wülperöder, zum Beispiel Daniel Kenzig, schilderten, wie sie die scheppernden LKW nachts erleben. Wenn dadurch der Schlaf fehlt, das Haus Risse bekommt, das Kinderzimmer umverlegt werden muss, das Glas aus dem Schrank fällt oder die Knirpse im Kindergarten keine Ruhe in der Mittagszeit finden. Und als wäre das noch nicht genug, sollen die Einwohner auch noch zur Kasse gebeten werden, wenn im Zuge des Straßenausbaus neue Fußwege angelegt werden. Alles wegen der Kiestransporte.

Alexander Bruder wurmt es zudem, dass der Landkreis nach seinen Worten einen Keil zwischen die Wülperöder und Göddeckenröder treiben will.

Menschlich können Herbert Hübe und sein mitgereister Kollege Thomas Werner aus der Verkehrsbehörde die Wülpe-röder verstehen. Es gelte aber der Gemeingebrauch der Straßen. „Die Nutzung ist jedem gestattet“, betonte Werner. Für eine Nutzungsbeschränkung benötige man keine gefühlten Argumente, kein Wunschdenken, sondern „Fakten, Fakten, Fakten“. Werner könne sich dabei eine temporäre Nutzungsversagung wegen des schlechten Straßenzustandes vorstellen. Daran arbeite er derzeit mit seinem Kollegen Hübe. Aber das Verbot könne eben nicht dauerhaft sein. „Es gibt dafür keine Rechtsgrundlage.“

Warum gebe es aber solche Verbote anderenorts?, wurde auf der Versammlung mehrfach gefragt. „Das sind alles Einzelfallentscheidungen“, erklärte Werner.

Knackpunkt oder Schwachstelle ist besagte Eckergraben-Brücke. Herbert Hübe verwies darauf, dass diese nicht mehr zu sanieren sei, sondern nur noch zu erneuern. „Die Nutzungsdauer ist abgelaufen“, erklärte er. Sie habe jetzt 30 Tonnen Tragfähigkeit. Deshalb dürften hier auch keine vollbeladenen Laster fahren.

Nach zwei Stunden löste sich die Versammlung auf, ohne dass es ein Schlusswort gab. Die Gespräche drehten sich im Kreise, die Argumente und Antworten wiederholten sich. Die Einwohner hatten offenbar genug.

Manfred Riecher fasste vorher noch einmal das Grundproblem zusammen: Fließt der Kiesverkehr künftig unvermeidlich durch Wülperode „und haben wir die Klapperstraße und keine Asphaltstraße, dann sind die Leute, die direkt daran leben, erheblich eingeschränkt in der Wohn- und Lebensqualität. Das muss man abwägen.“

Das Fazit des Abends? Ortsbürgermeisterin Bettina Grünewald (Verein Naturdörfer) am Tag danach: „Wir haben nicht erreicht, was wir eigentlich wollten, dass wir den Lkw-Verkehr rausbekommen.“