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KZ-Gedenkstätte Aus Leipzig zum Putzen angerückt

Abiturienten aus Leipzig packen in der KZ-Gedenkstätte Langenstein zu. Sie entfernen Unkraut und setzen sich mit der Geschichte auseinander.

Von Sandra Reulecke 09.06.2017, 14:13

Langenstein l Kaum sind die letzten Prüfungen geschrieben, tauschen zehn junge Erwachsene aus Leipzig die Füller gegen Harke und Besen ein. Zum Einsatz kommen die Geräte in Langenstein – nicht etwa als Strafarbeit für schlechte Abi-Noten, sondern für ein Projekt.

Die Schüler des Evangelischen Schulzentrums Leipzig kümmern sich um den Leidensweg nahe des ehemaligen Konzentrationslagers (KZ). Dieser ist etwa genauso alt wie die Schüler selbst. Er wurde 1998 angelegt, informiert Dr. Nicolas Bertrand, Leiter der heutigen Gedenkstätte. „Mittlerweile war er fast zugewachsen.“ Das Unkraut ließ kaum noch die Randfassung erkennen.

Während die Zwölftklässler die rund zwei Kilometer lange Strecke vom Unkraut befreiten, setzten sie sich mit der Geschichte des Weges und den Menschen, die ihn gehen mussten, auseinander. So idyllisch die Route heute wirkt, so wenig war es Bestimmung vor 72 Jahren: Es war die Strecke, die die Häftlinge zurücklegen mussten, um vom Lager zu ihrer Arbeitsstelle zu kommen. Sie mussten unter unmenschlichen Bedingungen ein unterirdisches, 13 Kilometer langes Stollensystem in die Thekenberge treiben. Wie auch in anderen Konzentrationslager galt das Prinzip „Vernichtung durch Arbeit“.

„Wir haben die Stollen besichtigt“, berichtet der Leipziger Paul Winter. „Da denkt man automatisch an das Schicksal der Menschen.“ Mehr als 7000 Häftlinge aus 23 Ländern waren es von Ende April 1944 bis zur Befreiung durch US-amerikanische Truppen am 11. April 1945. Etwa 2000 Männer verloren in dieser Zeit ihr Leben, weitere 2500 starben auf dem „Todesmarsch“, auf den die Häftlinge, die noch laufen konnten, am 9. April 1945 geschickt wurden.

Im Geschichtsunterricht haben die Leipziger Schüler die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges behandelt, von den Grausamkeiten der Jahre gehört. Mit ihrem geschichtlichen Wissen haben sie Frank Dörfer, den Hausmeister der Gedenkstätte, beeindruckt, sagt er. „Trotzdem war das alles sehr weit weg für mich, gesteht Lea Blattner. Eben ein Kapitel aus dem Geschichtsbuch, nichts, was ihr eigenes Leben direkt betreffe. „Wir haben gleich zu Beginn der Woche ein Gespräch mit Herrn Bertrand über den Sinn des Gedenkens geführt. Das hat mir das Thema sehr viel näher gebracht.“ Ebenso das Geocaching auf dem KZ-Gelände und die Gespräche mit den Mitarbeitern der Gedenkstätte.

Über ihre Zeit in Langenstein haben die Leipziger Videos erstellt, die nun auf der Facebookseite der Gedenkstätte zu sehen sind. Außerdem berichten die Abiturienten ihren Mitschülern von der Zeit. „Dann stellen alle ihre Projekte vor“, sagt Paul Plattner. Einige unterstützen den Kirchentag, andere wurden in weiteren Gedenkstätten auf den Arealen von ehemaligen Konzentrationslagern tätig.

Warum haben sich die Zehn für Langenstein entschieden? „Weil wir campen wollten“, heißt es unisono. Während der Projektwoche wohnen sie auf dem Campingplatz am Halberstädter See, den Weg nach Langenstein radeln sie. Und nach getaner Arbeit springen sie in den kühlen See oder erkunden die Region. „Wir waren schon auf dem Brocken, haben uns die Altstadt von Halberstadt angesehen und eine Radtour nach Thale unternommen“, berichtet Josephine Purschpitz. Es ist das erste Mal, dass die Schülerin den Harz besucht. „Es gefällt mir sehr gut“, betont sie.

Mit dieser Einschätzung steht sie offensichtlich nicht allein. Bereits seit mehreren Jahren reisen Abiturienten des Evangelischen Schulzentrums Leipzig für Projekte auf dem ehemaligen KZ-Gelände nach Langenstein, berichtet Gesine Daifi, pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte.