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KZ-Gedenkstätte Bangen um Besucherstollen

Im Herbst steht das Stollensystem des KZ's Langenstein-Zwieberge zur Zwangsversteigerung. Hat das Konsequenzen für die Gedenkstätte?

Von Dennis Lotzmann 09.04.2017, 01:01

Langenstein l Die Aufgabe war unmenschlich: Binnen eines Jahres trieben bis zum Frühjahr 1945 rund 7000 KZ-Häftlinge ein rund 13 Kilometer langes Stollensystem in die Halberstädter Thekenberge. Knapp 2000 bezahlten den wahnwitzigen Versuch der Nazis, die Rüstungsproduktion als Schutz vor Angriffen unter Tage zu verlegen, mit dem Leben. In der Gedenkstätte Langenstein wird an das Leid der Häftlinge erinnert. Dabei rückt ein 120 Meter langer und für Besucher begehbarer Stollenabschnitt in den Mittelpunkt der Arbeit. Der Zugang könnte in Gefahr geraten, denn die 35 000 Quadratmeter große Untertageanlage kommt am 12. September bei einer Zwangsversteigerung unter den Hammer.

Dann warten insgesamt 43 Grundstücke in den Thekenbergen mit einer Gesamtfläche von 1 052 616 Quadratmetern auf Bieter. Anlass der Versteigerung ist die Insolvenz des bisherigen Besitzers, der nach Recherchen der Volksstimme insbesondere gegenüber der Stadtverwaltung Halberstadt offene Verbindlichkeiten hat. Nach unbestätigten Informationen soll es um Grundsteuern in sechsstelliger Höhe gehen.

Mit der Versteigerung, die die Stadtverwaltung angeschoben hat, verfolgt die Kommune nach den Worten von Oberbürgermeister Andreas Henke (Die Linke) das Ziel, die offenen Steuerschulden zumindest teilweise einzutreiben. Details zur Höhe der Schulden will Henke mit Blick auf das Steuergeheimnis allerdings nicht nennen.

Während dies unklar bleibt – Henke will auch jene sechsstelligen Betrag nicht kommentieren – ist eines sicher: Mit der Zwangsversteigerung ergibt sich für den sogenannten Besucherstollen und dessen Nutzung durch die KZ-Gedenkstätte ein Risiko. Schlimmstenfalls, das ergeben zumindest die Recherchen der Volksstimme, könnte ein neuer Besitzer des Areals der Stiftung den Stuhl vor die Tür des Stolleneingangs stellen.

Bislang nutzt die Gedenkstätte den Stollen regelmäßig, um interessierten Gästen zumindest einen kleinen Einblick in die Anlage zu ermöglichen und das Leid der Häftlinge deutlich zu machen. Im Sommerhalbjahr – ab April – ist er monatlich an einem Wochenende offen.

Doch bereits diese Nutzung steht auf wackeligen Füßen, räumt der Direktor der Gedenkstättenstiftung im Land, Kai Langer, ein. Zwar habe es ursprünglich mal einen Nutzungsvertrag mit dem Eigentümer des Stollens gegeben. „Nachdem dieser jedoch vor Jahren in Insolvenz gegangen ist, hat der Zwangsverwalter diesen Vertrag gekündigt“, so Langer.

Warum genau, bleibt offen, weil sich der Magdeburger Insolvenzverwalter André Löffler gegenüber der Volksstimme nicht weiter äußern will – das Insolvenzverfahren sei nichtöffentlich. Zu vermuten ist jedoch, dass Löffler das Areal mit Blick auf einen Erwerber von vertraglichen Verpflichtungen befreien will. Für diese These spricht die Tatsache, dass Löffler der Gedenkstätte laut Langer weiterhin alle Nutzungsmöglichkeiten einräumt – nur eben ohne verpflichtende Basis. Das wiederum könnte bei der Versteigerung am 12. September ein wichtiger Aspekt werden.

Dann wird am Amtsgericht Halberstadt bereits der zweite Versuch gestartet, das Areal meistbietend loszuschlagen. Einen ersten Termin hat es laut Landgerichtssprecher Christian Löffler im Juni 2016 gegeben. Damals habe es ein Gebot für knapp 300 000 Euro gegeben. „Allerdings ohne endgültigen Zuschlag“, ergänzt OB Henke. Man habe mit Blick auf den Interessenten letztlich doch gewisse Zweifel gehabt und daher als Kommune den Zuschlag versagt und das Versteigerungsverfahren einstweilig einstellen lassen.

Das, bestätigt Gerichtssprecher Löffler, könne die Stadt als Gläubiger jederzeit. Nun lebe das Verfahren wieder auf. Und: Da beim ersten Termin mit knapp 300 000 Euro weit mehr als das Mindestgebot im Raum gestanden habe, gelten nun beim zweiten Anlauf klare Hürden. Der Verkehrswert für die Gesamtfläche wird auf 420 000 Euro beziffert. Wer den Zuschlag bekommen will, muss laut Löffler mindestens die Hälfte – also 210 000 Euro – bieten. Erst bei weiteren Versteigerungsanläufen würde diese Grenze wegfallen. Aber: „Die Stadt hat als Gläubiger im Verfahren stets das letzte Wort und entscheidet über die Zuschlagserteilung.“

Und nicht nur hier. Zwar wird das Areal samt Stollen, das zuletzt die DDR-Armee als Waffen- und Munitionslager nutzte, bei der Zwangsversteigerung im Paket angeboten. Aber auch hier könne die Stadt als Gläubiger jederzeit Änderungen vornehmen. Zudem ist klar: Wechselt das Gelände den Nutzer, erlöschen alle im Grundbuch eingetragenen finanziellen Verbindlichkeiten.

Der Blick auf diese Rahmenbedingungen macht das Risiko deutlich, auf das sich die Kommune einlässt. Da nicht mal mehr ein Nutzungsvertrag mit der Gedenkstätte besteht, könnte ein neuer Besitzer weitgehend frei entscheiden. Das ist auch OB Henke klar, dessen Verwaltung quasi zwischen Baum und Borke steht. Einerseits der Druck, als hochverschuldete Kommune alles zu unternehmen, um Steuerschulden einzutreiben. Andererseits das Risiko, einem windigen Käufer aufzusitzen. Das Szenario, dass sich Rechte – möglicherweise mithilfe von Strohmännern – die Stollenanlage angeln, mag sich weder in der Stadt noch in den Landesministerien jemand ernsthaft ausmalen. Auch diese Gefahr ist jedoch real vorhanden. Deshalb begleite die Stadt zusammen mit dem Innenministerium das Verfahren, so Henke.

Nicht nur dort wird die Entwicklung in Langenstein mit Argusaugen beobachtet. Auch in der Staatskanzlei hat man die Entwicklung im Fokus, betont Vize-Regierungssprecher Daniel Mouratidis. Ziel sei es, ein angemessenes Nutzungsrecht für die Gedenkstätten-Stiftung auch bei einem neuen Eigentümer zu erhalten. „Dafür setzen sich derzeit sowohl die Stiftung als auch die Staatskanzlei und das Ministerium für Kultur auf unterschiedlichen Ebenen ein.“

Darauf drängen sowohl OB Henke als auch Stiftungsdirektor Langer: „Der Stollenzugang ist für die Gedenkstätte essenziell wichtig, weil dort das Leiden und Sterben der Häftlinge deutlich wird.“