Naturküche Auf Senf gebaut

Simone Seiboth verleiht Quedlinburg Würze. Sie hat sich ein Unternehmen in der Welterbestadt aufgebaut. Die Basis: Senf.

Von Sandra Reulecke 06.04.2017, 01:01

Quedlinburg l Wie wäre es mit Knuttenforz, einer Spur Erotik oder Teufelszeug? Nicht nur die Namen sind ungewöhnlich, die Geschmacksrichtungen sind es auch. Simone Seiboth beweist allen, die denken, dass Senf nur scharf oder süß sein kann, das Gegenteil. Ihre Gewürzpasten schmecken nach Aprikose, Koriander oder Bier. 60 Sorten hat sie im Angebot – die Rezepte selbst erdacht und angerührt.

Bis sie zum Senf und in den Harz fand, dauerte es Jahre und einige Umwege. Die 51-Jährige stammt aus Rostock. Sie hat Laborantin und Handweberin gelernt. Eines Tages entdeckte sie ein Geschenk ihrer Großmutter wieder – und dieser Moment änderte ihr Leben. „Als 14-Jährige habe ich eine Kette von meiner Oma, einer Kapitänsfrau, bekommen, die sie aus Afrika mitgebracht hat“, erinnert sich Simone Seiboth. „Daraufhin habe ich beschlossen, als Entwicklungshelferin nach Afrika zu gehen.“

Gesagt, getan. In Mosambik lernte sie ihren Mann kennen, gründete mit ihm eine Familie und lebte in zwei Welten. „Einen Teil des Jahres lebte ich dort, den anderen hier“, berichtet sie. Und das als Mutter von einem, später von zwei Kindern. Die nächste Schule war 30 Kilometer entfernt, das Krankenhaus noch weiter. Armut. Krieg. Trotz aller Widrigkeiten, schätzte Simone Seiboth die Erfahrungen. „Es ist gut zu sehen, wie anders das Leben sein kann. Die Menschen müssen so viel auf sich nehmen – und tun das meist mit einem Lächeln“, berichtet sie.

Dennoch entschloss sich die Deutsche, mit ihren Kindern in ihre Heimat zurückzukehren, nachdem ihr Mann an Malaria gestorben war. In Leipzig absolvierte sie ein Aufbaustudium und arbeitete zunächst in den ökologischen Stadtgärten, bevor sie eine Stelle in der Verbraucherzentrale annahm. „Ernährung war mein Fachbereich“, berichtet sie. Dazu gehörten Haltungsstandarts für Tiere und Lebensmittelskandale. „Die Arbeit war teilweise unappetitlich, zermürbend und unbefriedigend.“ Sie habe lediglich über Vorfälle informieren, aber nichts daran ändern können. „Ich fing an, darüber nachzudenken, wie Lebensmittel hergestellt werden.“ Der Blick auf die Verpackung vieler Produkte sei erschreckend: Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker. „Ich fragte mich, wie man Produkte herstellen kann, die ohne das alles auskommen.“

So entschied sich die Laborantin, auf den Bauernhof zu wechseln. In Rieder unterstützte sie einen Bauern, der auf ökologische Landwirtschaft umstellen wollte. „Ich kümmerte mich um das Gemüse, belieferte damit Schulen, Kitas und Bio-Läden. Nebenher habe ich begonnen, Rezepte auszuprobieren.“ Der Grund dafür war pragmatisch: Krumme Gurken verkaufen sich schlecht, obwohl sie geschmacklich einwandfrei und zum Wegschmeißen zu schade sind.

Auf diese Weise entstand 2006 die Harzer Naturküche. Unter diesem Label probierte Simone Seiboth zwei Jahre lang Rezepte für Brotaufstriche, Kräutersalze, Marmeladen und Co. aus. Die Waren verkaufte sie auf Märkten in der näheren Umgebung.

Zum Senf kam sie zwei Jahre später nach einer Kundenanfrage. „Die Idee, selbst welchen herzustellen, fand ich gut, aber es war nicht einfach, ein Rezept zu finden“, verrät sie. Wieder hieß es: Probieren, Abschmecken, weiter versuchen. So kam es, dass sie nicht nur „klassischen Senf“ herstellte, sondern sich an ausgefallenere Sorten wagte. Und an sehr alte. „Ich habe ein Rezept von Archäologen bekommen, dass sie bei Ausgrabungen entdeckten“, berichtet sie. Dieses belegt, dass schon die Ottonen ihre Speisen mit einer Senf-Meerrettich-Soße würzten.

2010 eröffnete Simone Seiboth das erste Geschäft in Quedlinburg. „Die Stadt hat viele Vorteile: Sie hat Geschichte und Kultur, es gibt Tourismus und sie ist klein genug, dass man die Menschen zumindest vom Sehen her kennt.“ Sie fühle sich zu Hause in der Welterbestadt mit den verwinkelten Gassen, die sie bei ausgedehnten Spaziergängen mit ihrem Hund erkundet. Dabei denkt sie über das Geschäft nach. „Traumzeit“ nennt sie das. „Ich bin kein typischer Geschäftsmensch, sondern entscheide mich dafür etwas zu tun, weil es sich richtig anfühlt.“

Der Erfolg gibt ihr Recht: Statt auf die Hilfe ihrer Söhne kann Simone Seiboth mittlerweile auf die Unterstützung von zehn Mitarbeitern bauen. Aus dem ersten Laden sind zwei und ein Internethandel geworden. Aufgrund der hohen Nachfrage hat sich der Fokus auf Senf verlagert. „Der Nachteil ist, dass ich so keine Zeit mehr dafür habe, etwas selbst anzubauen und auf Märkten zu vertreiben“, sagt sie. Dennoch setze sie auf regionale Produkte – auch dank der Kontakte, die sie zu anderen Direktvermarktern geschlossen hat.

Die Nachfrage stieg innerhalb weniger Jahre so stark an, dass die Senfküche im hinteren Teil des Geschäfts in der Innenstadt nicht mehr ausreichte. Deshalb ließ die Unternehmerin im Dippehof in Quedlinburg eine größere Produktionsstätte einrichten. Dort zeigen und lehren Simone Seiboth und ihre Mitarbeiter, wie aus Senfkörnern, Kräutern und Ölen Senf entsteht.