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Pokémons Die Jäger lauern an der Litfaßsäule

Die Litfaßsäule in Schwanebeck verbirgt ein Geheimnis - sie ist das Tor zu einer anderen Welt. Hier lauern Jäger - mit Handys auf Pokémons.

Von Christian Besecke 04.08.2016, 09:03

Schwanebeck l Bis zu dreißig Jugendliche aus Schwanebeck und Umgebung positionieren sich jeden Abend pünktlich um 19.30 Uhr vor der Lißfaßsäule neben der Betonlore. Für die meisten ist es ein festes Ritual. Gebannt starren sie auf ihre Handys und überwachen das Portal.

Vorbeigehende Passanten schütteln meist die Köpfe und murmeln etwas von der „heutigen Jugend“, so auch beim Besuch der Volksstimme. Die Schwanebecker wissen ja auch nicht, was hier in Wirklichkeit vor sich geht. Selbst Bürgermeister Benno Liebner (CDU) schaut am Dienstagabend einmal nach dem Rechten. Als er dann den Grund der allabendlichen Versammlung erfährt, macht sich ein breites Grinsen bei ihm breit. „Die Jugendlichen planen hier keine Lausbubenstreiche – sie sind lediglich mit dem Pokémonfieber infiziert“, sagt er lächelnd. „Wenn sie jetzt noch ein wenig auf die Ordnung achten, dann ist alles gut.“

Der 18-jährige Fabian Blappert erläutert den Grund, der die Jugendlichen zur Lifaßsäule führt: „Die Säule ist ein sogenannter Pokéstop. Das heißt, hierher kommen die Pokémons und wir können sie fangen.“ So gesehen sei der Platz bei der alten Betonlore ein magischer Ort, der ein Portal in eine andere Welt beherberge. Fabian zeigt, wie sich die Szenerie auf seinem Smartphone darstellt. Die Litfaßsäule ist dort als rotierende Scheibe zu sehen und ein Stadtplan von Schwanebeck zeigt alle Straßen der Umgebung an.

Die 15-jährige Luisa Emmel ist derweile schwer beschäftigt, sie fängt sich gerade einen „Relaxo“. Selina Skaropowski (15) erläutert die Vorgehensweise der Jäger an der Litfaßsäule. „Wir verabreden uns über unsere Whats-App-Gruppe und vereinbaren, wer ein Lockmodul anmacht“, erzählt sie. „Dann treffen wir uns und die Jagd kann beginnen.“ Meist verbringe man die Zeit bis 22 Uhr gemeinsam an dem Platz.

„Oft reichen die beiden Bänke nicht für die Teilnehmer aus“, sagt Tamara Galbarz (16). „Dann bringen wir uns Campingstühle oder andere Sitzgelegenheiten mit.“ Während die eigentliche Jagd etwa eine halbe Stunde dauere, stehe das Beisammensein im Mittelpunkt. „Wir haben eigentlich immer etwas zu bereden oder hören einfach Musik“, berichtet Selina.

Derweil fährt ein Jugendlicher mit seinem Auto durch die Stadt und kommt immer wieder an dem Platz vorbei. Selina winkt ab und sagt: „Ach, der brütet nur!“

Gleich darauf erklärt sie die Situation. „Man kann sich im Pokéshop kostenlose Eier holen, die ausgebrütet werden müssen“, führt sie aus. „Dabei muss man sich über zwei, fünf oder gar zehn Kilometer bewegen. Je weiter der weg, desto seltener die Pokémons.“ Den Weg mit dem Auto zurückzulegen sei schon irgendwie clever. Mit Philipp Fischer (18) kommt ein weiterer Jäger dazu. „Phi­lipp hat die stärksten Pokémons unserer Gruppe gefangen“, betont Tamara. Der nickt nur kurz und fügt hinzu: „Ich bin schon auf Level 25!“

Dominik Nothnagel erklärt: „Wir sind jetzt nicht so verrückt wie andere, die bei der Pokémonsuche die Umgebung vergessen. Ein Blick auf die Realität ist genau so wichtig, damit nichts passieren kann.“ Außerdem hätten die gemeinsamen Treffen einen positiven Nebeneffekt. „Wir sind auf jeden Fall an der frischen Luft und so mancher Stubenhocker kommt jetzt auch mal raus“, sagt er. Selina und Luisa bestätigen das, sie seien bis jetzt jeden Abend zur Litfaßsäule gepilgert.

Die Pokémons für das Handy gibt es seit etwa zwei Wochen. Das Spiel hat Millionen Menschen auf der ganzen Welt in seinen Bann gezogen. Dabei ist es auch schon zu tödlichen Unfällen gekommen. Die neuen Pokémons basieren auf einem alten Gameboyspiel, das vor ungefähr zwanzig Jahren die Kinder fasziniert hat.

All das weiß auch Philipp. Er berichtet davon, wie er als Junge auf dem Gameboy gespielt hat. „Die Grafik ist natürlich inzwischen kein Vergleich mehr“, sagt er. „Die Pokémons sind gestochen scharf zu erkennen und man freut sich, wenn man einen der kleinen Kerle gefangen hat. Das ist ein großer Spaß.“