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Sommerabenteuer Auge in Auge mit dem Roten Höhenvieh

Im Oberharz-Ort Tanne liegt das Ziel des ersten Sommerabenteuers 2016 der Volksstimme. Brockenbauer Uwe Thielecke zeigt seinen Bio-Hof.

Von Sabine Scholz 30.06.2016, 01:01

Tanne l „Nicht ein einziges Tier gab es mehr. Zumindest im Ostharz. Und in den alten Bundesländern gab es Mitte der 1980er Jahre noch insgesamt 25 Kühe. Deshalb meine Aussage, das Rote Höhenvieh war ausgestorben.“ Uwe Thielecke steht auf einer Harzwiese, an einem Weidezaun. Dahinter eine Herde Mutterkühe mit ihren Kälbchen. 150 Tiere der Rasse nennt der engagierte Landwirt sein Eigen. Dass die rotbraunen Rinder mit den imposanten Hörnern wieder auf Harzwiesen zu sehen sind, ist Menschen wie Uwe Thielecke zu verdanken.

Wobei das Verdienst, die Rasse gerettet zu haben, einem leider namentlich unbekannten Besamungstechniker in Hessen zusteht. „Im Osten waren die Tiere alle geschlachtet und auch die Spermavorräte vernichtet worden“, berichtet Thielecke. In den alten Bundesländern hieß es Mitte der 1980er Jahre ebenfalls: Die Tiere sind züchterisch nicht mehr zu bearbeiten. Wobei die Westbauern ihre Tiere leben ließen und ein paar der Kühe nach Tschechien kamen, in eine Genreserve-Herde. In Gießen hatte ein Besamungstechniker das Etikett auf einer tiefgefrorenen Spermareserve entfernt. So wurde die Dose nicht weggeworfen und kam Jahre später zum Einsatz, 60 Por­tionen Sperma des Bullen Uwe R12, einem typusreichen Roten Höhenvieh, fanden sich da­rin. Und durch die sogenannte Verdrängungszüchtung mit artverwandten Rinderrassen gelang es, die alte Rasse wieder aufleben zu lassen. „In der fünften Generation war es geschafft“, berichtet Thielecke. Ein Tierarzt aus Bonn nahm Blutproben für die Genanalyse und bestätigte: Es ist eine eigene Rasse, das Rote Höhenvieh war wieder da.

Dass man die Tiere nicht mehr wollte, liegt wohl da­ran, dass die Art anderen Bedürfnissen gerecht wurde, als Hochleistungsmilchkuh oder massiger Fleischlieferant zu sein. Am Kuhhirtendenkmal in Tanne nimmt der Gastgeber des ersten Volksstimme-Sommerabenteuers in diesem Jahr die Zuhörer mit auf eine Zeitreise. Er schildert, wie die Tiere in der warmen Jahreszeit vom Hirten durch den Wald getrieben wurden, wo sie sich Futter suchten. Das Vieh lieferte Milch für die Ernährung der Familien, für Käse, Butter und Quark, die Kälber lieferten Fleisch und zudem wurden die Rinder vor den Pflug gespannt, um die Äcker zu bewirtschaften. „Die Landwirtschaft war früher eher ein Nebenerwerb hier im Harz. Die meisten Männer arbeiteten im Bergbau und die Frauen bewirtschafteten den Hof, um die Ernährung der Familie zu sichern“, erzählt Thielecke. Heute finden sich Wiesen statt Ackerflächen auf den Hanglagen rund um die Harzorte.

Dass man Kühe einst mit Automaten melken würde und die Euter der Milchkühe entsprechend „passend“ gezüchtet werden müssen, war damals kaum vorstellbar und wäre den schönen Rindviechern ja auch fast zum Verhängnis geworden. Heute stehen die roten Kühe auf den Hängen, säugen ihre Kälber, halten die Wiesen kurz und sind mittlerweile zu einem festen und enorm wichtigen Bestandteil der Landschaftspflege geworden.

Nach anfänglichem Streit mit der Jägerschaft – das Umsetzen der Kühe auf neue Weidefläche sorgte für Unruhe im Jagdrevier – verstehe man sich inzwischen prächtig, Wohl auch, weil die Hirsche gerne die kurzgehaltenen Wiesen aufsuchen. Überhaupt löst das Bemühen der Thieleckes um die alte Rasse und um artgerechte Tierhaltung immer weniger Kopfschütteln aus. Im Gegenteil, der große Hof mit den liebevoll bemalten Häusern, mit eigener Schlachtung und Fleischerei ist ein Beispiel dafür, dass Tradition und Moderne sehr gut zusammenpassen. Holzheizung und Solarstromanlagen auf den Dächern, Abwärmenutzung aus den Kühlzellen, in denen das Rindfleisch vor dem Verkauf und der Verarbeitung drei Wochen lang reift, Automatenzahlung im rustikalen Hofladen samt Gaststätte finden sich hier. Im Freigehege scharren Hühner, im Stall nebenan stehen ebenfalls vom Aussterben bedrohte Harzziegen. Auch das selten gewordene Angler Sattelschwein hat bei Thieleckes ein Zuhause, allerdings im großen Stall in Königshütte. Im Winter wird das Höhenvieh von den Weiden in den Stall gebracht. Die Rinder haben auch dort Auslauf. Könnte es dann nicht gleich auf den Weiden bleiben? „Die Wiesen sollen sich erholen, wir haben schließlich eine Verantwortung für die Pflanzenvielfalt hier im Harz“, erklärt der gelernte Landwirt, der auch Maurer und geprüfter Polier ist und drei Semester Architektur studierte.

In Tanne erfüllt sich Thielecke seinen Traum, wirtschaftlich arbeiten muss er trotzdem. Elf festangestellte Mitarbeiter gehören zum Team, seine beiden Töchter kümmern sich um die Landwirtschaft, um die Schlachtung, Fleischerei und Gastronomie. 130 Sitzplätze bietet die, für ein Porterhouse-Steak wird um Voranmeldung gebeten, damit der Fleischer rechtzeitig die Fleischstücke vom Strang sägen kann, erklärt der Brockenbauer. Das er sich so nennen kann, verdankt er seinen Flächen am Fuße des Brockens, an der Grenze zum Nationalpark.

All das und sehr viel mehr kann man künftig auch außerhalb des Sommerabenteuers erfahren. Ab dem 9. Juli bietet Thielecke jeden Sonnabend um 11 Uhr eine öffentliche Führung an.