1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Einblicke in Festsaal und Bürgermeister-Erker

Sommerabenteuer Einblicke in Festsaal und Bürgermeister-Erker

Das dritte Sommerabenteuer führt nach Wernigerode. Im Rathaus geleitet Baudezernent Burkhard Rudo die Leser bis unters Dach.

Von Ingmar Mehlhose 14.07.2016, 01:01

Wernigerode l „Das Haus sieht nicht ernst aus. Es hat ein heiteres Äußeres“, sagt Burkhard Rudo. Wernigerodes Baudezernent steht auf dem Marktplatz vor dem Wohltäterbrunnen. Er begrüßt 20 Leserinnen und Leser der Volksstimme. Sie sind aus Halberstadt, Veckenstedt, Trautenstein, Osterwieck, Hessen, Langenstein, Harsleben, Dedeleben, Blankenburg und drei von ihnen aus der bunten Stadt am Harz.

Rudo berichtet von der Historie des Wahrzeichens. Er nennt es „das Flaggschiff an Architektur in der Stadt“. Erstmals um 1420 erwähnt. Allerdings noch nicht repräsentativ, denn es handelte sich um einen eingeschossigen Massivbau. Genutzt als Speelhus, wo getrunken, getanzt und gehandelt wurde. 1427 schenkte Graf Heinrich es den Bürgern.

1494 bis 1498 erfolgte eine Aufstockung am Giebel in Fachwerk inklusive zweier Türmchen. Zimmermeister Thomas Hilleborch gilt als der Meister, der maßgeblich daran beteiligt war. Das gotische Kleinod wurde bald darauf zum Rathaus. Der Bau, der zuvor als Rathaus genutzt wurde und sich in unmittelbarer Nähe befand, existiert heute nicht mehr. Er war Mitte des 16. Jahrhunderts abgebrannt.

Im Foyer erwartet die Besucher ein laut Burkhard Rudo „Hauch ganz alter Stadtgeschichte“. Dabei ist der Bereich keineswegs original historisch gestaltet worden. Zwischen 1936 und 1941 erhielt er beim großen Aus- und Umbau sein bis heute charakteristisches Ambiente.

Zuvor, im Jahre 1912, wurde im ersten Stock ein Trauzimmer eingerichtet. Klein, gediegen, ein wenig romantisch, aber nur für maximal 20 Gäste. Der Dezernent: „Das sorgte für Verdruss bei jenen, die nicht mehr mit hineinpassten und deshalb draußen auf dem Marktplatz warten mussten.“

Deshalb trennten sich die Stadtverwalter von einigen Büros nebenan und richteten dort eine großzügige Zimmerflucht für standesgemäße Vermählungen ein.

„Das Problem ist, wir wissen nicht, wohin mit den Stühlen und Tischen, wenn der Festsaal mal ausgeräumt ist“, sagt der Dezernent und bittet sodann in das „Herzstück“ des Hauses. Burkhard Rudo: „Seit über 500 Jahren werden hier die wichtigsten Entscheidungen gefällt.“ Vom Rohbau her Mittelalter, der Rest aus den 1930-er Jahren und der Vollendung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Leere des Raumes schärft den Blick für Details. Da sind die acht vom Wernigeröder Holzbildhauer Otto Welte (1888-1967) geschaffenen Skulpturen. Sie symbolisieren Rechtspflege, ernste Beratung, Handel, Musik, Festlichkeit, fröhliche Hochzeitsfeiern, Tanz und Theater.

An den Stirnseiten des 20 mal zwölf Meter großen Saales erinnern zudem die von Bert Heller (1912-1970) geschaffenen Gemälde „Vertreibung“, „Heimkehr“ und „Aufbau des Landes nach 1945“ an wechselhafte, schwere Zeiten.

Gleich nebenan „sind wir im zweiten Gebäude“. Die Ratswaage gehörte einst einer reichen Kaufmannsfamilie, erläutert Rudo. Per Altersbestimmung kann das Gebäude auf 1456 datiert werden. Damit ist es das älteste Fachwerkhaus Wernigerodes. Im nächsten Jahr soll der Raum mit seinen historischen Stadtansichten und der tonnenförmigen Decke renoviert werden.

Der Experte: „Jetzt kann man sagen, willkommen im Mittelalter.“ Die Volksstimme-Sommerabenteurer stehen direkt unter dem überwiegend von 1498 stammenden Dachstuhl. Genial und die hohe Schule der Handwerkskunst nennt Burkhard Rudo die als gleichseitiges Dreieck errichtete Konstruktion aus Tannen- und Fichtenholz.

Dann gewährt der Gastgeber einen weiteren besonderen Einblick. Er öffnet die Tür des Amtszimmers von OB Peter Gaffert (parteilos). Der Rathauschef hat Urlaub, sein Schreibtisch ist verwaist. Seit den 1940-er Jahren residieren hier die jeweiligen Stadtoberhäupter im Bürgermeister-Erker. Die Zahl 1584 auf der Renaissance-Fassade erklärt sich aus dem Umstand, dass sie bis zum großen Umbau zu ebener Erde stand.

Im Sparkassenanbau endet die fast zweistündige Führung. Burkhard Rudo empfiehlt noch einen Besuch im Ratskeller mit seinem romanisch-gotischen Gewölbe. Die Volksstimme-Sommerabenteurer sind begeistert, spenden Beifall.