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Sommerabenteuer Macht, Mathilde und Mafia-Methoden

Sommerabenteuer in Quedlinburg: In der Stiftskirche wandeln sie auf den Spuren Heinrich I. und bestaunen einen geraubten Schatz.

Von Sandra Reulecke 07.07.2016, 01:01

Quedlinburg l Ein Mafia-Pate aus dem 10. Jahrhundert, Verführung Minderjähriger, die Nazis und ein gestohlener Schatz: Die Stiftskirche St. Servatii in Quedlinburg bietet Stoff für gleich mehrere Filme. Elmar Egner nimmt die Teilnehmer des Volksstimme-Sommerabenteuers mit auf eine spannende Reise durch das Gotteshaus und seine mehr als 1000-jährige Geschichte.

„Aber die meisten Touristen interessieren sich für nicht einmal ein Prozent der Geschichte“, sagt der Museumspädagoge. Ihm und seinen Kollegen werden die immer gleichen drei Fragen gestellt: „War das die Kirche, in der Himmler war? Haben hier die Amerikaner den Schatz geklaut und wo sind die Toiletten?“ Der 36-Jährige bedauert, dass das Interesse so stark auf die Jahre 1936 bis 1945 beschränkt ist.

„Ja, Himmler war hier“, sagt er und erläutert, dass der Reichsführer SS sich dem König Heinrich I. nicht nur des gleichen Vornamens wegen verbunden fühlte. 1936 wollte Quedlinburg eine Feier zum 1000. Todestag des Königs veranstalten – für Himmler sei dies ein Zeichen gewesen, schließlich planten die Nazis, ein Tausendjähriges Reich zu gründen. Unter Himmler wurde die Stiftskirche der Gemeinde 1938 weggenommen und zu einer Weihestätte der SS.

Wenige Jahre später näherte sich der Zweite Weltkrieg dem Ende. Der Domschatz wurde zum Schutz vor Bombenangriffen in den Alteburghöhlen versteckt. Dort entdeckten ihn nach Kriegsende amerikanische Truppen. Ein Offizier stahl das Kulturgut und schickte es in seine Heimat Texas. Viele Jahre galt der Schatz als verschollen. „Ein Teil davon tauchte auf einem Flohmarkt in Texas auf und wurde für 500 Dollar zum Verkauf angeboten“, berichtet Elmar Egner. Erst 1993 fand der Domschatz seinen Weg zurück nach Quedlinburg.

Dort – in einem kleinen, abgedunkelten Raum – kann er heute wieder von Besuchern bestaunt werden. „Die Schatzkammer befindet sich seit dem 12. Jahrhundert an diesem Ort“, berichtet Egner. Zu dem Schatz gehört der Krug von Kanaa – er soll auf der Hochzeit benutzt worden sein, auf der Jesus Wasser in Wein verwandelt hat.

Nicht die einzige Besonderheit, mit der die Stiftskirche in Quedlinburg aufwarten kann: In der Krypta stehen die ältesten Stuckplastiken Deutschlands. Die drei dargestellten Figuren sind Frauen. Denn das weibliche Geschlecht hatte zur Zeit Heinrich I. längst nicht den schlechten Stand, wie immer behauptet wird. „Die Töchter von Königen wurden nicht unglücklich zwangsverheiratet“, stellt Egner klar. „Sie erhielten eine gute Ausbildung und hatten als Äbtissinnen politisch viel Einfluss.“

Der Museumspädagoge räumt mit einem weiteren Vorurteil über das Mittelalter auf. „Das Wort dunkel, das mit der Zeit in Verbindung gebracht wird, passt nicht. Zum Beispiel war das Innere der Kirche kunterbunt.“ Heute kaum vorstellbar. Die Steinwände sind hell und kahl, die Decke ist aus dunklem Holz. Doch wer genau hinsieht, erkennt Farbreste in den Ornamenten über den Fenstern.

Den Blick auf Details empfiehlt Elmar Egner ohnehin in Gotteshäusern. Denn die Ornamente und Figuren sind nicht nur schön, sie hatten Symbolkraft. Wie der Adler, der die Säulen ziert. „Er steht für weltliche Macht“, sagt der Museumspädagoge aus Quedlinburg. „Das ist bis heute so – denkt man an die USA oder den Bundestag.“

Ähnlich bedeutsam wie der Bundestag heute in Berlin ist, war im Mittelalter Quedlinburg. Als „Wiege Deutschlands“ wird der Ort bezeichnet. Aber wie kam es dazu? Egner berichtet es den gespannt lauschenden Volksstimme-Lesern: „Heinrich I. wünschte sich einen Ort, an dem man sich nach seinem Tod an ihn erinnert.“ Aus politisch strategischen Gründen entschied er sich für Quedlinburg. Nach dem Tod Heinrich I. im Jahr 936 wurde die bis dahin bestehende Burgkapelle in Quedlinburg zu einem Damenstift umgewandelt, in dem der König beigesetzt wurde. Erste Äbtissin des Stifts wurde Heinrichs Witwe Mathilde. „Sie war bei der Hochzeit übrigens erst 13 Jahre alt und besuchte die Klosterschule“, berichtet Egner. Heinrichs erste Frau, Hatheburg, schickte er nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes zurück ins Kloster – ihre Mitgift behielt er natürlich.

Bei den Volksstimme-Lesern kommen solche Anekdoten gut an. „Das ist echt cool“, sagt Franziska Springer aus Veckenstedt. In der Schule interessiert sich die Zwölfjährige wenig für Geschichte. „Aber was der Mann erzählt, ist so spannend. Es wäre toll, wenn unsere Lehrerin das auch könnte.“

Nach den Ferien kann sie im Geschichtsunterricht mit neuem Wissen glänzen, zum Beispiel, woher Heinrich I. seinen Beinamen „Vogler“ hat. Mit Leidenschaft für die gefiederten Tiere hat das nämlich wenig zu tun, verrät Elmar Egner. Sondern damit, auf welche Arten man Vögel fängt: mit Leim, Fallen und Netzen. Ähnliche Strategien wendete der König in seiner Politik an. „Er war sehr freundschaftlich und tat anderen gern Gefallen, dafür forderte er zu gegebener Zeit Gegengefallen ein – wie man es aus Mafia-Filmen kennt“, sagt Egner.