Soziales Mut, Liebe, Geduld

Im Harzkreis leben derzeit 269 Kinder in 195 Pflegefamilien. In drei Vereinen engagieren sich Eltern auf Zeit für sie.

Von Ingmar Mehlhose 16.06.2016, 19:58

Halberstadt l Luca quietscht vergnügt. Ganz eng kuschelt sich der Kleine an die Schulter von Monika Seidel. Die Quedlinburgerin streicht ihm sanft über den Kopf. Dabei ist sie nicht seine leibliche Mutter, sondern gehört zum Team der Bereitschaftspflegeeltern.

„Luca war ein Frühchen“, sagt Monika Seidel. Mit drei Wochen wurde er aus der Klinik zu ihr gebracht. Wie lange er bleiben darf, weiß sie nicht. Die richtige Mutter wolle sich wohl um das Baby kümmern, könne es aber offenbar nicht.

Martin Skiebe hat an diesem Vormittag die Vorstände der drei Vereine der Pflege- und Adoptiveltern des Harzkreises zu sich eingeladen. Der Landrat (CDU): „Wir müssen feststellen, dass es eine ziemlich große Zahl von Einzelschicksalen gibt.“ Leider fänden sich aber nicht in dem Maße Menschen, die bereit sind, betroffene Mädchen und Jungen bei sich aufzunehmen. Skiebe: „Wir sehen deshalb die Notwendigkeit für einen Appell. Wer überlegt, das zu tun, sollte das nicht zu lange.“

Sechs Mitarbeiterinnen hat der Pflegekinderdienst, berichtet Kathrin Vahl. Die Abteilungsleiterin Sozialpädagogischer Fachdienst der Kreisverwaltung nennt die derzeit 195 Pflegefamilien eine „gute reichliche Zahl“. Aber: „Wir müssen an die Zukunft denken.“ 269 Mädchen und Jungen werden momentan betreut. Der Dauer des Verbleibs wird immer länger, die Chance auf eine Rückführung zu den leiblichen Eltern hat sich zuletzt verringert. Kathrin Vahl: „Wir erleben oft hochdramatische Verhaltensauffälligkeiten schon mit zwei, drei Jahren.“ Ihr Team hat sich einen Fachethos auf die Fahne geschrieben. Die Abteilungsleiterin: „Wir versuchen, kein Kind unter zehn Jahren in einem Heim unterzubringen.“ Die Betroffenen haben schließlich schon einen Bruch erlebt in ihrer Biografie. Das spiegelt sich oft im Erwachsenenalter wider, durch Probleme, sich an andere Menschen zu binden.

Kathrin Vahl: „Der Gewinn neuer Pflegefamilien wird auch immer schwieriger.“ Gründe dafür sind die Berufstätigkeit beider Elternteile sowie der Umstand, dass viele durch die negativen Reaktionen der Kinder und Jugendlichen verschreckt werden.

„Wir brauchen nicht viele, sondern geeignete Eltern“, sagt Christine Rütting. Sie fungiert in Halberstadt als Ansprechpartnerin. Aus ihrer Sicht hilft die Mund-zu-Mund-Propaganda dabei am besten. Außerdem ist die Arbeit der Vereine ganz wichtig.

Von seinen Erfahrungen berichtet Guido Harnau. Der Wernigeröder ist Vorsitzender des 1996 gegründeten Pflegekindervereins Wernigerode. Er sagt: „Es sind so viele Mütter und Väter, die haben so viel Liebe über.“ Und: „Es kommt etwas zurück. Nicht sofort, es dauert etwas.“

Mut, Liebe, Geduld, Toleranz und noch einiges mehr sind erforderlich, um den Anforderungen als zeitweilig Erziehungsberechtigter gerecht zu werden. Rückschläge zu verkraften, den Willen für einen Neuanfang aufzubringen.

Martin Skiebe: „Das Allerwichtigste ist, zu vermitteln, dass niemand allein ist.“ Deshalb sei er sehr dankbar, „für jeden Menschen, der sich an dieser Stelle mit einbringt“.