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Städtebundtheater Praktikabel, handfest, Fantasie anregend

Schauspiel lebt vom Spiel. Und von der Ausstattung. Auch wenn Ausstatter wie Tilo Staudte in Quedlingburg da durchaus im Zweifel sind.

Von Sabine Scholz 16.11.2018, 07:00

Quedlinburg l Die größte Herausforderung ist der Wald. „Wald ist an sich schwierig“, sagt Tilo Staudte. „Natur ist Natur.“ Und doch soll er auf die Bühne, der Wald. Daran habe er lange getüfelt. Er wollte keine symbolischen Baumstämme, keine Kulissenästhetik der 1970er Jahre, sagt der in Dresden geborene Ausstatter, der zum ersten Mal für das Nordharzer Städtebundtheater tätig ist, für die Märcheninszenierung „Das kalte Herz“. Wobei er zwar zum ersten Mal am hiesigen Theater aktiv wird, in Quedlinburg aber seit Mitte der 1980er Jahre regelmäßig zu Gast ist und Freunde gefunden hat.

Staudte hat auch seinen Wald gefunden, allerdings erst nach langem Suchen. Groß rahmt der Wald die Bühne ein. Riesige Fotoleinwand ist es, aber kein Foto. „Wir haben Stahlstiche zugrunde gelegt, so, wie es sie im 19. Jahrhundert gab“, erklärt Staudte die dunkle Mischung von Laub- und Nadelwald. Dunkle Tannen verleihen der Szenerie etwas Düsteres. Dieser Wald ist der Rahmen, auch zeitlich. Spielt die Handlung doch im Schwarzwald, Anfang des 19. Jahrhunderts.

Im Kontrast zum dunklen Wald steht in der Mitte der Bühne eine Zimmerwand, in Rot gehalten wie der Tisch und die Stühle. „Die Kneipe“, sagt Tilo Staudte und lädt ein, sich zu setzen. Ein riesiges Pendel hängt an der Wand, der Blick nach oben offenbart ein kleines, an ein Vogelhäuschen erinnerndes Holzhaus. Nee, es ist eine Kuckucksuhr – wieder ein Verweis auf den Ort der Handlung, aber mit Augenzwinkern.

So, wie es in der aktuellen Inszenierung sein soll, durchaus dem Ernst der Geschichte von Peter Munk angemessen, aber humorvoll.

Tilo Staudte arbeitet nicht zum ersten Mal mit Regisseurin Esther Undisz zusammen. „Der Regisseur“, sagt der großgewachsene Mann, der zunächst den Mechanikerberuf erlernte, bevor ihn sein Weg ins Theaterleben führte, „der Regisseur ist der wichtigste Partner. Die Fantasie fängt dann an.“

Seit gut einem dreiviertel Jahr ist Staudte mit der Geschichte um den armen Köhler, der doch so gern reich sein möchte, befasst. Man muss bekannte Bilder wegschieben, die Dinge auseinandernehmen und wieder neu zusammensetzen, um kreativ an jede Inszenierung herangehen zu können, berichtet der 1962 Geborene. Die berühmte DEFA-Verfilmung war da für ihn weniger ein Problem, es ist lange her, dass er die gesehen hat. „Problematischer sind Inszenierungen, die man gut gefunden hat im Leben. Hilfreicher wäre dann, wenn man nichts kennen würde dazu.“

Natürlich habe er sich auch gefragt, wie es gehen soll, „Das kalte Herz“ als Weihnachtsmärchen. Auch Regisseurin Esther Undisz war zu Beginn über den Wunsch des Städtebundtheaters irritiert, aber die Fassung von Rebekka Kricheldorf ist eine, die das gut ermöglicht.

Von der gemeinsamen Erarbeitung mit Esther Undisz berichtet Tilo Staudte noch, dass immer, wenn man drohte, auf die Filmschiene zu rutschen, diese Vorlage sehr geholfen habe, frisch an die Geschichte heranzugehen.

Der Familienvater zeichnete Entwürfe, baute Modelle und verwarf so manches wieder und wieder. Das gehöre nun mal dazu, damit es gut wird, „muss man sich das erleiden, muss auch ein bisschen Herzblut fließen.“

Staudte wirkt entspannt, wohl auch, weil alles so gut wie fertig ist. „Die Werkstätten hier haben tolle Arbeit geleistet, ich bin froh und stolz auf das Team. Auch die Schneiderei in Halberstadt ist zeitig fertig gewesen.“ Wie viel Arbeit in den Bühnenbildern steckt, sehe man als Zuschauer meist nicht. Denn die Ausstattung muss nicht nur zu den Ideen des Regisseurs passen, sie muss auch praktikabel sein, wenn zwei Spielstätten bedient werden müssen – und bei Gastspielen noch mehr.

Der praktische Blick ist Staudte gegeben, er hat auch das kleine Budget im Blick, mit dem gearbeitet werden muss. Das sei schon eine Herausforderung, aber an einem kleinen Haus werde man anders wahrgenommen als an großen Bühnen. Er kann das beurteilen, hat er doch 1984 am Schauspielhaus Dresden gearbeitet und an der Semperoper als Techniker und Seitenmeister.

Ab 1989 studierte er an der Hochschule für Bildende Künste Dresden Bühnen- und Kostümbild. Während des Studiums debütierte Staudte 1992 am Freiberger Stadttheater. Seit dem Diplom 1994 arbeitet er freischaffend als Bühnen- und Kostümbildner für Theater in Meiningen, Freiberg, Zwickau, Eisenach, Greifswald, Stralsund, Plauen, Annaberg-Buchholz, das Divadlo Most in Tschechien, für die Festspiele in Bad Hersfeld und Bregenz und für freie Produktionen.

„Ich mache gern Ausstattung, bin da aber auch im Zwiespalt. Denn eigentlich braucht gutes Theater keine Ausstattung, weil es von Akteuren lebt, die den Zuschauer erreichen, mitnehmen ins Stück. Andererseits bauen wir Ausstatter für den Zuschauer Brücken für die Bilder, die im Kopf entstehen. Gute Bühnenbilder nehmen den Zuschauer an die Hand und sagen, komm, wir gehen jetzt mal mit dahin. Aber der Zauber kommt vor allem über die Darsteller.“ Ob er deshalb sparsam gewesen sei mit der Ausstattung? „Nicht sparsam“, erwidert er lachend, „sondern gut sortiert. Es ist ja keine Operette, wo man inhaltliche Löcher mit Bühnenbild füllen müsste.“

Er habe auch bei den Kostümen versucht, Typen zu kreieren, den Spagat zu schaffen zwischen der Zeit Hauffs und dem Heute. So ist der Holländer-Michel auch kein großes, bösartiges Ungeheuer. „Der ist eher ein tumber Kerl, kommt nicht eitel daher, zeigt sein Geld nicht. Er lässt damit auch die Gefahr nicht sichtbar werden, die er darstellt.“

Ob seine Ideen ankommen, darauf ist er gespannt. Und auf das Urteil der achtjährigen Tochter. „Die ist wirklich immer sehr kritisch.“