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TheatergesichterVerliebt in einen 60 Jahre Jüngeren

Helga Wahrlich spielt am Harzer Städtebundtheater eine 79-Jährige, die einen 19-Jährigen liebt. Sie verrät, wie sie zu dieser Rolle steht.

Von Sandra Reulecke 19.02.2017, 07:12

Quedlinburg l „Endlich mal eine Rolle, für die ich zu jung bin!“ Helga Wahrlich lacht. Sie trägt eine bequeme Kapuzenjacke mit Eulenmotiv, die Sonnenbrille steckt in der blonden Kurzhaarfrisur. Die Schaupielerin ist 77 Jahre alt, wie sie völlig uneitel mitteilt. Und damit ist sie zwei Jahre jünger als Maude, die sie demnächst auf den Bühnen des Nordharzer Städtebundtheaters verkörpert. Am 24. Februar ist Premiere, die bereits ausverkauft ist, wie Helga Wahrlich berichtet.

„Die Rolle passt gut zu meinem Naturell, es gibt durchaus Ähnlichkeiten“, berichtet die zierliche Frau mit dem breiten Lächeln und der erstaunlich rauen Stimme. Nur eines hat sie mit Maude ganz und gar nicht gemein: Den Männergeschmack. Diese verliebt sich nämlich in den 60 Jahre jüngeren Harold, gespielt von Curdin Caviezel. „Ich fühle mich unter Jüngeren wohl. Aber in einen jungen Mann verlieben? Nein, dass kann ich mir absolut nicht vorstellen.“

Was vermutlich daran liegt, dass Helga Wahrlich glücklich vergeben ist. Mit Klaus Troemer (82) teilt sie seit mehr als 50 Jahren nicht nur ihr Leben, sondern auch die Bühne. 27 Jahre lang waren sie am Fränkisch-Schwäbischen Städtetheater Dinkelsbühl beschäftigt – er als Intendant, sie als Schauspielerin, Regisseurin und Dramaturgin. Seit 1998 sind sie als Zwei-Mann-Theater unterwegs.

Zwei kreative Menschen, die so viel Zeit miteinander verbringen – birgt das nicht automatisch viel Reibungspotenzial? Helga Wahrlich schüttelt den Kopf. „Wir haben auf der Bühne alle Gefühle dermaßen ausgelebt, dass wir privat ein eher ruhiges Leben führen.“ Rituale seien ihnen wichtig, wie das gemeinsame Abendessen. Das gibt es noch heute immer erst gegen 22.30 Uhr.

Eine ungewöhnliche Zeit, doch im Leben eines Schauspieler-Paars verläuft wohl so einiges anders als bei anderen. So auch in der Kindheit der gemeinsamen Tochter, die 1972 geboren wurde.

Statt Schlafliedern hörte diese beim Fläschchengeben die düsteren Monologe, die ihre Mutter probte. „Sogar ihre ersten Schritte hat sie im Theater gemacht“, berichtet Helga Wahrlich. „Sie war sehr pflegeleicht und hat es uns leicht gemacht.“

Wie es war, den Beruf und das Familienleben unter einen Hut zu bringen, beschreiben die Eheleute Wahrlich und Troemer im Stück „Alles hat seine Zeit“, das sie anlässlich ihres Jubiläums – 50 gemeinsame Bühnenjahre – geschrieben haben.

„In dieser Zeit habe ich alle meine Traumrollen gespielt“, resümiert die Mimin. Die Undine habe es ihr besonders angetan. „Aber eigentlich kann jede Rolle gut sein, wenn man ihr Leben einhaucht.“ Sie tauche immer tief ein in die Charaktere, die sie verkörpern soll, der Übergang zwischen Rolle und Realität sei manchmal fließend. „Als meine Tochter klein war, hat sie mich oft gefragt, ob es Theater oder ernst sei, wenn ich ihr etwas sagte“, erinnert sich Helga Wahrlich.

Ihre Aussprache lässt auf ihre norddeutsche Herkunft schließen. In Kiel ist sie geboren und aufgewachsen. Nach fast 30 Jahren in Süddeutschland wohnt sie mittlerweile wieder an der Küste. Sie hat sich mit einem Häuschen in der Nähe des Timmendorfer Strandes einen Traum erfüllt, erzählt sie.

Dem Harz ist sie dennoch sehr verbunden. Nicht erst mit ihrem Mann, der mit ihr und dem Hund derzeit in Quedlinburg wohnt – erkundete sie schon oft das Mittelgebirge. „Als Kielerin habe ich viele Sommer hier verbracht“, berichtet Helga Wahrlich. Damals ist sie noch mit ihren Eltern gereist, die mit dem Berufswunsch der Tochter zunächst ganz und gar nicht einverstanden waren.

„Sie waren total dagegen. Aber für mich gab es nie etwas anderes.“ Schon in der Schule nutzte sie jede Gelegenheit, um auf der Bühne zu stehen, nahm heimlich Schauspielunterricht – was aber nicht für immer verborgen bleiben konnte „Um die Prüfung in Hamburg ablegen zu können, benötigte ich ihre Unterschrift.“ Die bekam sie auch, obwohl ihre Eltern skeptisch blieben. „Sie haben sich jedes meiner Stücke angesehen und waren stolz auf mich, aber das Schauspielstudium musste ich mir selbst finanzieren.“

Heute könne sie die Bedenken ihrer Eltern nachvollziehen: Die Schwierigkeiten, eine Rolle zu bekommen, das unsichere Einkommen, der Umgang mit Kritik, der Konkurrenzkampf.

Ist es für Schauspielerinnen zudem schwierig, mit dem Älterwerden zurechtzukommen? „Ich hatte nie Schwierigkeiten mit meinem Körper oder dem Alter. Jede Lebensphase hat etwas Schönes, solange man gesund ist“, betont die 77-Jährige. Kollegen, die dank Schönheitschirugie jung bleiben wollen, kann sie nicht verstehen. „Es gibt viele Schauspieler, die erst im Alter interessant werden. Ihnen sieht man die Lebenserfahrung an, die sie haben, und dadurch verkörpern sie ihre Rollen erst glaubwürdig“, sagt Helga Wahrlich.