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Tierpräparator Konserviert für die Ewigkeit

Zwischen Faszination und Ekel liegen die Reaktionen, nennt Detlef Becker seinen Beruf. Er ist Präparator im Halberstädter Museum Heineanum.

Von Sandra Reulecke 17.02.2018, 19:22

Halberstadt l Mehrere Tausend Kadaver stapeln sich in meterhohen Tiefkühlschränken. Aus den Schubladen starren Hunderte Augenpaare ins Leere. Käfer nagen eifrig das Fleisch von den Knochen. Wie bei Voodoo-Puppen stecken Nadeln im Federkleid der ausgestopften Vögel. Was nach einem Szenario in einem Horrorfilm klingt, ist Detlef Beckers Arbeitsplatz. Der Halberstädter ist Präparator im naturkundlichen Museum Heineanum in Halberstadt.

Kein Job für schwache Nerven – und empfindliche Nasen. „In meiner ersten Woche hier habe ich überlegt, ob ich das kann oder hinschmeißen soll“, gesteht Detlef Becker. Der Geruch, den der tote Vogel verströmte, den er zu bearbeiten hatte, sei schwer auszuhalten gewesen. Becker blieb standhaft – zum Glück. „Hinterher habe ich erfahren, dass meine Kollegen testen wollten, ob ich wirklich für den Beruf geeignet bin“, berichtet der 52-Jährige. „Der Vogel war schon etwas älter ...“

Ist die Verwesung des Tiers weit vorangeschritten, würde wohl nicht nur der Gestank die meisten Menschen abschrecken: „Dann lebt der Vogel schon wieder“, berichtet Becker und lacht. Die Insekten, die den Kadaver befallen haben, fressen sich von innen nach außen. Dabei bewegen sich nicht nur die Maden, sondern auch die Federn des toten Tiers, erläutert der Halberstäder. Gruselig, vor allem wenn man bedenkt, dass Detlef Becker meistens allein arbeitet.

Wie kommt man dazu, so einen Beruf zu ergreifen? „Ich wurde gefragt“, sagt Becker achselzuckend. In seiner ersten Ausbildung zum Fahrzeugschlosser beim Reichsbahnausbesserungswerk in Halberstadt hatte er mit Metall statt mit Tieren zu tun. „Aber mein Hobby war schon immer die Ornithologie.“ Das Verhalten von Vögeln, die Art, wie sie sich bewegen und ihr Körperbau haben den Halberstädter interessiert. Schon als Schüler habe er sich der Arbeitsgemeinschaft des Heineanums angeschlossen – die er heute mit seinem Chef und Namensvettern Rüdiger Becker leitet.

Danks des Hobbys wusste er auch, dass im Museum Tiere „ausgestopft“ werden. Entdeckte Becker tote Vögel und Fledermäuse am Straßenrand, brachte er sie ins Heineanum. „Aber den Beruf hatte ich trotzdem nie auf dem Plan.“

Das änderte sich erst, als einer der damals drei Präparatoren des Heineanums aus gesundheitlichen Gründen seinen Job aufgeben musste und ein Nachfolger gesucht wurde. Die Anfrage spielte Becker gut in die Karten – der Schichtdienst beim Reichsbahnausbesserungswerk gefiel ihm nicht.

Mit dem damaligen Chef paukte er die Theorie während der dreijährigen Ausbildung. Eine Berufsschule besuchte er nicht. Für den Beruf gab es in der DDR nur eine in Berlin und die nahm nur alle zwei Jahre Bewerber an, sagt er. Die Wartezeit, bis wieder eine Ausbildungsklasse startetet, war zu lang.

Um sein Handwerk umfassend zu lernen, schaute Becker nicht nur seinen Kollegen im Heineanum über die Schultern. Er absolvierte mehrere Praktika, unter anderem in Gotha, um das Präparieren von Insekten zu erlernen. In Magdeburg wurden ihm anatomische Kenntnisse vermittelt. „Man muss alles mal gelernt haben, schließlich weiß man nie, was in der Prüfung drankommt.“ 1990 machte er seinen Abschluss als Präparator. „Ein vielfältiger Beruf, der immer noch Spaß macht“, berichtet er.

Außenstehende haben jedoch oft ein falsches Bild von dem Job. Es gehe nicht darum, Tiere plump auszustopfen. Vielmehr ist Präzision gefragt, Kreativität, Kenntnisse über Anatomie der Tiere und über deren Verhalten. Schließlich geht es in dem Beruf darum, sie so darzustellen, wie sie zu Lebzeiten tatsächlich waren.

Obwohl den Vögeln die Haut – samt Federn und Schnabel – abgezogen wird, sei der Beruf unblutiger als viele glauben, versichert Becker. „Zumindest bei kleinen Vögeln – außer sie haben innere Verletzungen, weil sie irgendwo gegengeflogen sind.“

Die „Körper“ werden mit aus Holzwolle oder einer Art Bauschaum geformt, Draht in unterschiedlicher Dicke gibt den Halt. Darüber wird die gewaschene Haut gezogen. Die Augen bestehen aus Glas, sie können in verschiedenen Größen und Farben gekauft werden. Während die Federn ihre Farbe behalten, bleichen Schnäbel und Füße aus. Sie werden bemalt, wenn die Exponate ausgestellt werden sollen.

Für die Präparate werden nur Tiere verwendet, die bereits tot sind. Sie werden von Züchtern gebracht, vom Tiergarten oder auch von Kleingärtnern, die einen Vogel tot im Garten finden. Mehrere Tausend lagern mittlerweile in Tiefkühlschränken. Dank der Kälte wird der Verwesungsprozess gestoppt und Insekten, die sich vielleicht schon eingenistet haben, abgetötet.

Ist ein Vogel in einem so schlechten Zustand, dass er nicht präpariert werden kann, kommen die „fleißigsten Mitarbeiter“ des Heineanums. „Sie arbeiten sieben Tage die Woche, 24 Stunden, ohne Urlaub und Pause – und sie meckern nicht einmal“, sagt Becker und lacht. Er spricht von Speckkäfern, die die Knochen „freinagen“.

Währenddessen kann sich Becker um die Bürokratie kümmern: Jeder Vogel, jedes Ei und jedes Skelett ist mit einer Nummer versehen, Inventarlisten müssen erstellt werden. Und da gibt es so einiges aufzulisten: 33 300 Sammlungsstücke zählt der Bestand des Museums. Einige von ihnen stammen noch aus der Sammlung von Ferdinand Heine sen., dem Namensgeber des Museums. Andere gibt es gar nicht mehr in freier Natur – die Arten sind mittlerweile ausgestorben. Es gehört auch zu Detlef Beckers Aufgaben, solche alten Exponate zu restaurieren. „Das macht fast die Hälfte meiner Arbeit aus“, berichtet er.

Auch außerhalb des Heineanums beschäftigt sich der Halberstädter mit Federtieren – allerdings mit lebenden. Er betreut rund 100 Nistkästen in Halberstadt und ist als Beringer tätig. Und er reist gern. Im März geht es mit Freunden nach Neuseeland – zum Wandern und zum Beobachten von Vögeln.