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Zeitzeugen Auf Spurensuche in Aderstedt

Alfons Wilmers geriet 1945 in Aderstedt in Kriegsgefangenschaft. 72 Jahre später besucht er mit seiner Familie das Dorf am Großen Bruch.

Von Ramona Adelsberger 23.04.2017, 09:09

Aderstedt l „Das Mündungsrohr des amerikanischen Panzers war direkt auf uns gerichtet“, erzählt Alfons Wilmers über den 11. April 1945. Der damals 16-jährige Flakhelfer machte mit seiner Einheit in Aderstedt Station und geriet hier in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

„Wir waren erst morgens aus Richtung Westen auf dem Hof angekommen und sollten uns ausruhen.“ Gegen elf Uhr seien dann die Amerikaner mit den Panzern ins Dorf gekommen. Den Deutschen sei dann befohlen worden, Aderstedt zu verteidigen, doch dazu sollte es nicht mehr kommen. „Wir gingen nach unten und standen auf der Außentreppe, als ein amerikanischer Panzer sein Rohr direkt auf uns richtete.“ Das Gefühl von damals könne er bis heute nicht vergessen.

Mit elf gleichaltrigen Kameraden habe er sich dann auf dem Dachboden des Anwesens versteckt (nicht ohne vorher noch die Anstellleiter nach oben zu ziehen) und von dort aus durch gelockerte Dachziegel den weiteren Kampf um Aderstedt verfolgt. Überall im Dorf sei geschossen worden.

„An Flucht war nicht zu denken“,berichtet Alfons Wilmers. Erst in der Nacht hätten sie sich ergeben. „Mit erhobenen Händen sind wir die Treppe hinuntergegangen.“ Keiner habe der erste sein wollen.

„Als wir abtransportiert wurden, haben viele Frauen aus Aderstedt geweint, weil sie an das Schicksal ihrer eigenen Söhne erinnert wurden.“ Eine der Frauen habe ihm noch einen Mantel zugeworfen. „Es war bitterkalt“, so Wilmers.

72 Jahre später ist der fast 89-jährige Alfons Wilmers nach Aderstedt zurückgekehrt, begleitet von seiner ganzen Familie. Mit zwei Bussen sind sie aus Coesfeld angereist und waren dafür vier Stunden unterwegs. Mit dabei sind auch Wilmers Enkel und Urenkel. John ist zehn, Oliver und Mario sind 16 und damit genau so alt, wie ihr Opa damals.

Empfangen werden die Besucher von Ortsbürgermeister Maik Berger (Wählergemeinschaft), der auch die Chronik von Aderstedt pflegt. Hier sind zwar die Geschehnisse vom April 1945 beschrieben, allerdings nur recht global. „Ich bin froh, dass wir die Aufzeichnungen von Lehrer Quade nun mit den Erinnerungen von Alfons Wilmers ergänzen können“, sagt Maik Berger erfreut.

Bereits vor zwei Jahren hatte Alfons Wilmers mit seinem Sohn Ludger Aderstedt besucht und war eher zufällig mit den Einwohnern Günter Gold­schmitt und Ambros Baierl ins Gespräch gekommen. Seither brach der Kontakt zwischen Aderstedt und Coesfeld nicht mehr ab. Günter Goldschmitt selbst konnte zwar die Familie Wilmers beim jetzigen Besuch nicht empfangen, hatte jedoch im Vorfeld zwei Kuchen für die Gäste gebacken. Bevor die Besucher zu einem Rundgang durch das Dort starten, besichtigen sie die Winterkirche von Aderstedt und kommen bei Kaffee und Kuchen mit Maik Berger und Ambros Baierl ins Gespräch.

Von großem Interesse für die Besucher ist vor allem der Möhring-Hof, der Ort des damaligen Geschehens. Der Vierseitenhof steht zwar mittlerweile leer und ist in keinem guten Zustand, die Seitengebäude, das Dachgeschoss und vor allem die Treppe, von der aus der Alfons Wilmers in das Mündungsrohr des amerikanischen Panzers geblickt hatte, sind jedoch noch erhalten. „Genau hier haben wir uns dann ergeben“, sagt Wilmers.

E deutet auf das große Tor, durch das die Panzer gefahren sind und erinnert sich noch genau an die Stelle im Hof, wo damals ein Toter gelegen hatte. Die Einschüsse des Panzers im Sandstein des Wohnhauses sind zwar längst ausgebessert, die Stellen jedoch noch auszumachen.

Der Weg führt die Gäste auch auf den Aderstedter Friedhof, wo die Kriegsopfer in einem Soldatengrab ihre letzte Ruhe gefunden haben. „Hier hätte auch ich liegen können“, sagt Alfons Wilmers nachdenklich. Die Besucher haben Grablichter dabei, entzünden diese und halten inne.

Der junge Wilmers war vom 16. Januar bis zum 11. April 1945 im Krieg. Zu seinen Eltern zurückgekehrt ist er bereits am 1. Juni 1945, weil er an der Ruhr erkrankt war.

Über die Wochen der Kriegsgefangenschaft spricht Alfons Wilmers nur sehr leise. Das Grauen, das er dort erlebte, verfolgt ihn bis heute.