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Gespräch Kulturelles Potential nicht ausgeschöpft

Martina Wiemers ist im Ruhestand, aber ruht sich noch lange nicht aus. Die Volksstimme besuchte die Haldensleberin auf eine Tasse Kaffee.

Von Julia Schneider 24.12.2016, 00:01

Haldensleben l „Brauchen Sie Milch oder Zucker?“, ruft Marina Wiemers aus der Küche. Im Hintergrund ist die Kaffeemaschine zu hören, Duft von Weihnachtsgebäck durchströmt die Wohnung. „Das ist aber Koffeinfreier“, verrät die Wahl-Haldensleberin, die sich über 30 Jahre lang um die Kultur in Haldensleben verdient gemacht hat. Als Leiterin des Alsteinklubs, der heute in der Kulturfabrik sitzt, organisierte sie Konzerte, Lesungen und etliche andere kulturelle Veranstaltungen, holte berühmte Schriftsteller, Sänger, Schauspieler in die kleine Stadt. Und musste so viel Kaffee trinken, dass er irgendwann durch koffeinfreien ersetzt wurde.

Vor sechs Jahren ging Martina Wiemers in den Ruhestand. Der koffeinfreie Kaffee ist geblieben, aber was macht sie seitdem mit ihrer Zeit? „Na, nur noch das, was mir Spaß macht natürlich!“, erzählt Martina Wiemers mit strahlendem Lächeln. Langweilig werde es für sie und ihren Mann jedenfalls nie. Seit 2005 hat Martina Wiemers das Schreiben für sich entdeckt. So leitet sie die in der Stadt- und Kreisbibliothek ansässigen Schreibwerkstatt, verfasst regelmäßig Geschichten und Gedichte und stellt diese bei Lesungen vor – beispielsweise im Café Einhorn an der Bülstringer Straße, bei Veranstaltungen der Volkssolidarität oder anderen Gelegenheiten.

„Die deutsche Sprache liegt mir sehr am Herzen“, sagt sie und erzählt von Workshops, die sie in Schulen beispielsweise mit lese-rechtschreibschwachen Schülern durchführt. Martina Wiemers lässt sich Veranstaltungen für den Kinderschutzbund einfallen, liest mit ihren Schreibwerkstatt-Kollegen in Kirchen oder Altenheimen und unternimmt mit Kindergartenkindern Streifzüge durch Haldensleben.

Denn am Herzen liegen ihr nicht nur Sprache und Geschichten, sondern auch Haldensleben. „Das ist die Stadt der Märchen und Geschichten“, sagt Martina Wiemers und spielt damit nicht nur auf den Bezug von Haldensleben zu den Brüdern Grimm an, den jeder im Museum nachvollziehen kann, sondern auch auf viele verzauberte Orte, die es im Stadtgebiet gibt. „Hier gibt es so viel Potential“, erklärt Martina Wiemers und nennt Orte wie das grüne Klassenzimmer und den Weißen Garten, in denen sie Kindern gerne Märchen und ureigene Haldensleber Sagen vorliest. Für eine kleine Stadt werde in Haldensleben viel geboten, sagt sie und hebt dabei als Organisatoren nicht nur ihre Nachfolgerin – Kulturfabrik-Leiterin Janina Otto – lobend hervor, sondern auch den Verein Khepera.

Ausgeschöpft sei Haldenslebens kulturelle Vielfalt aber lange noch nicht. „Ich wünsche mir noch viel mehr Kleinkunst und Spontanität“, sagt Martina Wiemers und lässt die Gedanken schweifen. „Der Pfändegraben, der Haldensleber Stadtpark, der Baumpfad – das sind alles Orte, an denen Künstler und Schriftsteller sich doch mal im Sommer spontan zu einem Picknick treffen und etwas vortragen könnten. Sowas geht auch mal ohne monatelange Planung“, sagt sie lächelnd. Dass der Bedarf nach Geschichten und Märchenhaftem nicht nur bei Kindern vorhanden ist, merkt Martina Wiemers bei ihren Lesungen. Selbst, als sie in diesem Jahr erneut die Märchenerzählerin im Haldensleber Sternenmarktzelt spielte, sei es vorgekommen, dass nur Erwachsene den alten Weisen lauschten.

Dass beim Geschichten erzählen künstlerische Freiheit herrscht, das liebt die Haldensleberin. „Die meisten Ideen kriege ich durch den ganz normalen Alltag, wenn ich andere Leute beobachte zum Beispiel“, sagt sie. Es müssten nicht immer verworrene Fantasiegeschichten geschrieben werden – Martina Wiemers bilde lieber das ganz normale Leben ab. „Aber ich kann alles so verfremden und ausgehen lassen, wie ich möchte. Das macht Spaß“, erklärt sie augenzwinkernd. So ist auch in der auf dieser Seite abgedruckten Weihnachtsgeschichte einiges Martina Wiemers‘ Fantasie entsprungen – der Weihnachtsmann des Haldensleber Weihnachtsmarktes solle damit beispielsweise nicht angegriffen werden, sondern wurde nur dem Verlauf der Geschichte angepasst. Neben lustigen Erzählungen und Gedichten geht Martina Wiemers aber oft auch ernste Themen wie Fremdenfeindlichkeit und häusliche Gewalt an.

An Weihnachten, so schließt Martina Wiemers das Interview zum Kaffeetrinken, verschenke sie am liebsten Zeit. Viel Zeit möchte sie vor allem auch mit dem 18 Monate alte Enkel Fabian verbringen. „Wenn er da ist, dann wird alles andere unwichtig“, sagt Martina Wiemers vorfreudig.

Wer einmal eine Lesung der Autoren der Schreibwerkstatt erleben möchte, sollte sich den nächsten Termin vormerken: Am 26. Januar lesen sie in der Schifferkirche Wieglitz zum Thema „Heimat“. Los geht es um 18 Uhr.