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Neues Buch Vom Zauber der Erinnerung

„Liese. Wahre und halbwahre Geschichten“: So heißt das neue Buch von Annemarie Stern aus Althaldensleben.

Von André Ziegenmeyer 07.05.2016, 01:01

Althaldensleben l Mit nicht einmal drei Pfund Gewicht kam Annemarie Stern im Jahr 1941 zur Welt. Die Zeiten waren hart, die Überlebenschancen für Frühchen gering. Deshalb erkundigte sich die Hebamme nach der Geburt: „Soll ich die Nabelschnur gleich offen lassen?“ Das beherzte Einschreiten von Mutter und Großmutter rettete dem Neugeborenen das Leben. Annemarie Stern begann ihren Weg in die Welt. Davon berichtet sie in ihrem nunmehr dritten Buch.

„Dieser Episodenroman erzählt das Leben der Liese, die ihre Kindheit, Jugend, Beruf und Ehe in der DDR erlebt hat, mit dem Augenzwinkern einer Frau, die mit ihrer Familie die Reise von Ost nach West macht“, heißt es im Rückentext. Es ist kein politisches Buch. Aber ein persönliches und berührendes.

Ausgangspunkt war der Wunsch, Erinnerungen zu bewahren. Denn die Geschichte der Hauptfigur Liese ist zugleich die Geschichte von Annemarie Stern selbst. Sie müsse damit rechnen, dass irgendwann vieles in Vergessenheit geraten werde, erklärt die 74-Jährige. Deshalb hat Annemarie Stern ihr Leben aufgeschrieben. Angefangen bei Erinnerungen an ihre Mutter und Großmutter. Über ihre Kindheit und Jugend im Haldensleben der 40er und 50er Jahre - bis zur Gegenwart. Die einzelnen Episoden sind unterschiedlich: mal heiter, mal nachdenklich oder besinnlich.

Dabei ist nicht alles streng biographisch. Ein bisschen künstlerische Freiheit hat sich Annemarie Stern erlaubt. „Einiges haben meine Kinder damals auch anders erlebt“, berichtet die Schriftstellerin. Deshalb rief sie die Figur der Liese ins Leben und gab dem Buch den Titel „Wahre und halbwahre Geschichten“. Freunde und Verwandte haben als Weggefährten ebenfalls andere Namen erhalten.

Hinzu kommt eine zweite Seite. Denn auch das Zeitgeschehen stiehlt sich in die Episoden hinein. Sei es die Gründung der DDR, Mauerbau und Mauerfall oder das Leben in einem wiedervereinigten Land: Alles findet sich in Lieses eigenem Fühlen und Erleben wieder. So kommt zugleich die Lebenswelt einer Generation zum Ausdruck.

Denn Annemarie Stern hat nicht nur die eigene Familie im Blick. Sie möchte auch bei ihren Lesern Erinnerungen wecken. „Wenn es meinen Liese-Geschichten gelingt, eine Saite in ihrem Inneren zum Schwingen zu bringen und eine Tür zu öffnen, die eigene Erinnerungen freisetzt, dann hätte ich mit diesem Büchlein mein Ziel erreicht“, fasst sie zusammen.

Für die Autorin selbst waren viele Erinnerungen nahezu verschüttet. Auch davon erzählt sie in ihrem neuen Buch. In der Geschichte „Was Glück für mich ist“ heißt es: „Zuerst schlug das Schicksal mit einer Hirnblutung zu, dann bekam ich einen Darmverschluss, danach Krebs, dann noch die Thrombose mit der Lungenembolie. (...) Ich danke dem Schicksal und bin glücklich darüber, dass ich wieder hören kann und auch den Sinn des Gesagten verstehe, dass ich sehen kann und weiß, was ich sehe, tasten kann, Schmerz und Freude fühlen darf. Auch, dass ich wieder schmecken und riechen kann, ist für mich ein Geschenk.“

Um Autorin zu werden, musste Annemarie Stern zunächst einmal wieder Schreiben lernen - ebenso wie Gehen und vieles andere mehr. Ihren Mut hat sie darüber nie verloren. Im Gegenteil. Die Texte boten ihr eine Möglichkeit, an ihr früheres Leben anzuknüpfen. Ganz besonders gilt das für die Erinnerungen der Liese. „Die Geschichten waren teilweise tief in mir verborgen. Durch die Arbeit im Haldensleber Schreibzirkel ist vieles wieder ans Licht gekommen“, berichtet die 74-Jährige.

Was ihr das Schreiben bedeutet, erklärt Annemarie Stern so: „Da ich vom Schicksal herausgefordert worden bin und tatsächlich in einer anderen Welt leben muss, als ich es vorher gewohnt war, habe ich nachgeschaut, was ich überhaupt noch kann. Ich wollte auch als körperlich eingeschränkter Mensch eine Aufgabe finden, die mich herausfordert, ausfüllt und mir das Gefühl gibt, noch etwas ‚leisten zu können‘.“ Das Schreiben sei ihr dabei zu einer Freude und zum Lebensinhalt geworden. Es gebe ihrem Leben Auftrieb und einen neuen Sinn. Auf diese Weise möchte Annemarie Stern anderen Menschen Mut machen, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben.

„Liese. Wahre und halbwahre Geschichten“ ist im Vabaduse-Verlag erschienen. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-96004-001-9.