1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Havelberg
  6. >
  7. Zeichen gegen Flüchtlingshetze

Glockenläuten Zeichen gegen Flüchtlingshetze

Der Versammlung der "Bürgerbewegung Havelberg" setzten Domstädter am Sonnabend ihre Meinung gegenüber.

Von Andrea Schröder 15.11.2015, 14:33

Havelberg l Dunkel ist es auf dem Marktplatz, auch das Rathaus zeigt kein Licht am Samstagabend kurz vor fünf, als sich Mitglieder der „Bürgerbewegung Havelberg“ zu ihrer angemeldeten Versammlung einfinden. 20,30 sind es. Letzte Absprachen werden mit Landkreis und Polizei geführt, Ordner aus den eigenen Reihen bestimmt. Ein Zaunfeld sperrt den Bereich ab, wo die Versammlung stattfindet. Gegenüber, auf der Seite, wo der Brunnen ist, stehen auch Leute, beobachten, was da vor sich geht.

Die Glocken der Stadtkirche Sankt Laurentius läuten. Die Kirchengemeinde hat spontan zu einer Andacht eingeladen. Kerzen sind angezündet. Gut 20 Leute nehmen das Angebot wahr. Pfarrer Frank Städler erklärt, dass Havelberg damit ein Zeichen setzen will gegen diese Art Versammlungen, wie sie auf dem Markt stattfindet. Da als Redner der Landeschef der NPD, Peter Walde, eingeladen ist, sehen viele darin ganz klar die rechtsgerichtete Tendenz dieser Veranstaltung, zumal diese Bürgerbewegung auf ihrer Facebookseite noch bis Donnerstagabend die Ergänzung „gegen Asylbetrug“ trug.

Der Pfarrer berichtet von der dreitägigen Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, die bis Samstagvormittag in Berlin stattgefunden hat und bei der die Flüchtlingssituation eine wichtige Rolle einnahm. Er legt jedem, der Fragen zu Flüchtlingen hat, die Broschüre des Landkreises „Geflüchtete Menschen“ nahe, die zum Beispiel Argumente gegen manches Vorurteil liefert.

Bürgermeister Bernd Poloski bedankt sich für die Initiative, die ein Zeichen setzt „gegen eine Veranstaltung, die mehr als 90 Prozent der Havelberger nicht wollen“. Jeder habe das Recht auf Versammlungen und freie Meinungsäußerung. Doch was er zurzeit erlebe, mache ihm Angst angesichts der Wortwahl mancher Leute, die sich mit der im Zweiten Weltkrieg verwendeten vergleichen lasse. „Wir wissen, was daraus geworden ist“, sagt das Stadtoberhaupt und erinnert an die 50 Millionen Menschen, die in diesem Krieg ums Leben gekommen sind.

Er sagt außerdem, dass von Seiten der Stadt und des Stadtrates lange überlegt wurde, ob eine Gegendemo organisiert werden sollte. Doch hätte das möglicherweise eine Aufmerksamkeit denjenigen der Bürgerbewegung gegenüber bedeutet, „die wir ihnen gar nicht geben wollen“. Vielmehr seien es die kleinen privaten Initiativen, die deutlich machen, dass diese Veranstaltung nicht gewünscht sind. Zu den lange läutenden Glocken, die natürlich auch auf dem Markt gut zu hören sind, und dem abgedunkelten Rathaus plante eine Familie, die Musik ihrer Privatfeier über den Markt schallen zu lassen.

Bis zu 50 Leute stehen unterdessen auf dem Marktplatz und hören den Worten des NPD-Vorsitzenden zu. Er liefert die üblichen Schlagworte wie kriminelle Ausländer, Vergewaltiger, Lügenmedien. Es sind nur wenige Havelberger unter den Zuhörern, viele sind „importiert“. Das Mikrofon wird zur Meinungsäußerung freigegeben, da geht eine junge Frau nach vorn. Sie stand mit ihrer Familie und Bekannten bis dahin am Rande der Versammlung. Auf dem Schild in ihren Händen steht „Nicht in meinem Namen“.

Sie hätte viele Freunde weniger, berichtet Sophy von Kindergarten- und Schulzeit, die die heute 16-Jährige mit vielen Ausländern verbrachte. Sie wuchs in Delmenhorst auf, in ihrer Klasse waren fünf deutsche Kinder, alle anderen Ausländer.

„Das ist nicht mein Havelberg“, sagt später ihre Mutter Ute Pabst im Gespräch mit der Volksstimme mit Blick auf die Versammlung. Seit 2007 lebt die Familie wieder in der Hansestadt. Sie verstehe Kritik und Angst angesichts der Flüchtlingssituation, aber keine Hasstiraden, Gewaltaufrufe und Gewalt. Der Havelberger Holger Schulz – „Herz statt falsche Argumente“ steht auf seiner Tafel – ergreift ebenfalls das Mikrofon. Kein Volk sei besser oder schlechter als das andere, appelliert er an die Menschlichkeit.

Für drei Stunden ist die Versammlung angemeldet gewesen. Im Kooperationsgespräch am Freitag war vereinbart worden, dass keine NPD-Werbung erlaubt ist, ebenso keine andere Fahne als die schwarz-rot-goldene. So sorgte Michael Schneider vom Landkreis Stendal vor Veranstaltungsbeginn dafür, dass ein NPD-Schild weggeräumt, eine schwarz-weiß-rote Fahne eingerollt wird. Er erklärt den von der Bürgerbewegung gestellten Ordnern auch ihre Aufgaben, verneint, als einer der Ordnungskräfte fragt: „Wenn die Zecken kommen, darf ich dann hauen?“ Es kommt aber zu keinerlei körperlichen Auseinandersetzungen. Gegen sechs löst sich die Versammlung langsam auf. Eine halbe Stunde später ist der Marktplatz wie leergefegt.

Am Abend startet in der „Old School“ gegenüber der Kirche die Aktion „Gastfreundschaft welcome“, die am kommenden Sonnabend mit einem Integrationsworkshop ihre Fortsetzung findet. Ursula Achternkamp hat bei der Andacht in der Kirche kurz darüber berichtet. Jeder, der sich für das Thema interessiert, ist am 21. November ab 10 Uhr in der Schulstraße 3 willkommen.