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Thementag Wie wichtig ist die Gastfreundschaft?

Zum Thementag Gastfreundschaft“ hatte die Old School Havelberg eingeladen. Er begann mit einem Sensibilisierungsworkshop.

Von Bernhard Maslow 25.11.2015, 15:46

Havelberg l Björn Malycha, Integrationskoordinator des Landkreises Stendal, gab mit einigen aktuellen Informationen zur Flüchtlingsaufnahme und -betreuung die Grundlage für die nachfolgenden Beiträge und Diskussionen. Im Landkreis Stendal befanden sich mit Stand vom 16. November insgesamt 1380 Asylbewerber (ohne Landesaufnahmeeinrichtung). Davon sind 488 in der Gemeinschaftsunterkunft, 71 in der Durchgangsunterkunft in Tangerhütte und 821 in Wohnungen untergebracht. Die Beschulung von Kindern und Jugendlichen aus Asylbewerberfamilien findet zurzeit an sieben Grundschulen, fünf Sekundarschulen und an der Berufsbildenden Schule I statt. Insgesamt werden 386 Kinder und Jugendliche beschult.

Björn Malycha sagte, dass viele Bürger in der Region Vorurteile und Ängste gegenüber den Asylanten hätten. Da­rum müsse mehr aufgeklärt werden. Veranstaltungen, wo sich Verantwortliche treffen, die sich für die Betreuung von Flüchtlingen einsetzen und ihre Erfahrungen austauschen und weitere Initiativen anregen, seien neben Info-Versammlungen für Bürger sehr gute Möglichkeiten, um die Integration zu fördern und Aktivitäten zu bündeln.

Saboura Naqshband, Trainerin für Antidiskriminierung, die mit den Teilnehmern zu Fragen der Diskriminierung und Flucht ein Rollenspiel durchführte, zeigte zu Beginn einige Ausschnitte aus der Dokumentation „Das Hoyerswerda Syndrom“. Der Film beschreibt die Pogrome und rassistischen Angriffe in den 1990er Jahren in Deutschland aus der Perspektive der betroffenen ausländischen Mitbewohner.

Im Mittelpunkt steht Jona, der zusammen mit 47 namibischen Lehrlingen im Rahmen eines DDR-Solidaritätsstipendiums nach Deutschland gekommen ist. Er wird im Mai 1991 in Wittenberge Opfer eines rassistischen Angriffs. Jona und sein Freund Lucas werden in ihrem Wohnheim von jungen Deutschen angegriffen und vom Balkon des vierten Stocks geworfen. Jona erleidet schwere Verletzungen und muss während seines 14-monatigen Krankenhausaufenthaltes mehrmals operiert werden. Das Filmteam begleitet ihn bei seinen Anstrengungen, die Ereignisse zu verarbeiten, und seinen Körper nach den schweren Verletzungen wieder zu trainieren.

Nach 24 Jahren ist in deutschen Städten die Aggressivität gegenüber Flüchtlingen nicht geringer geworden. Aber es zeigt sich auch eine große Solidarität gegenüber den Menschen, die auf Grund des Krieges ihre Heimat verlassen müssen. Wie man sich als Ausländer in einem fremden Land fühlt und behandelt wird, konnte jeder Teilnehmer bei einem anschließenden Rollenspiel selbst erleben. Jeder schlüpfte dabei gedanklich in eine Person aus einem fremden Land und musste während des Spiels verschiedene Situationen meistern sowie Rede und Antwort zu seiner angenommenen Person stehen. Wie wichtig dabei das gegenseitige Verständnis und die Gastfreundschaft sind, wurde dabei sehr deutlich.

Im anschließenden Erfahrungsaustausch berichteten die Anwesenden, wie sie sich in ihren verschiedenen Initiativen, Bündnissen, Netzwerken und Vereinen aktiv mit dem Flüchtlingsthema und die daraus ergebenden Aufgaben beschäftigen.

Jana Bodemann vom Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt berichtete unter anderem, wie sie mit vielen Helfern eine Partnerschaft auf Augenhöhe organisiert und machte dies an dem Beispiel von „interkulturellen Brückenbauern“ deutlich, die zum Beispiel als Einbürgerungslotsen eingesetzt werden können.

Karsten Wittke, Künstler aus dem brandenburgischen Ort Baruth, kann in seiner Region feststellen, dass gerade im ländlichen Raum noch großes Misstrauen gegenüber Ausländern besteht. Darum müsse man gemeinsame Erlebnisse schaffen, um sich kennenzulernen. Wie so etwas geschehen kann, zeigte er im Rahmen der Präsentation eines neuen Teeraumes in der Old School. Dieser Raum soll auch künftig als ein Treff für Gespräche der verschiedenen Nationalitäten untereinander genutzt werden.

Die beiden Vertreter des Bildungsverbundes Handwerk Ute Behr und Bernhard Maslow informierten darüber, wie sich die Bildungseinrichtung in die Integration von Flüchtlingen einbringen möchte. In Projekten mit der Old School sollen Jugendliche mit sozialpädagogischer Unterstützung angeleitet werden, eigene Ideen zu entwickeln und diese im Team umzusetzen. Hierzu ist vorgesehen, in einer Werkstatt die Tatkraft und den Teamgeist, selbstständiges Handeln, Ausdauer und Disziplin zu fördern. Innerhalb der Projekte können die Talente und besonderen Fertigkeiten von jugendlichen Flüchtlingen aufgegriffen und weiter entfaltet werden. Sie übernehmen Verantwortung für sich und ein selbst gewähltes Ziel.

Einen längeren Anfahrtsweg nach Havelberg hatte Philip Ishole, der in London arbeitet und sich für allein reisende Flüchtlinge einsetzt, ihnen bei der Ausbildung und dem Studium sowie bei dem Erlangen von fremden Sprachen Hilfe und Unterstützung gibt.

Einen Abstecher auf ihrem Fußweg von Barcelona nach Paris machte die Niederländerin Monique Besten. Sie ist seit Oktober dieses Jahres unterwegs und will an der Klimakonferenz in Paris teilnehmen. Viele kleine selbstgefaltete Papierschiffchen hatte sie im Rucksack dabei. Diese dokumentieren Gastfreundschaft, die sie durch viele Menschen während ihrer nicht alltäglichen Reise erfahren hat. Viele weitere Schiffe bis nach Paris werden bestimmt noch dazukommen, so die Künstlerin, die jedes Jahr per Fuß durch europäische Länder tourt.

Von der Koordinierungs- und Fachstelle „Partnerschaft für Demokratie“, KinderStärken im Landkreis, nahm Benjamin Ollendorf an der Veranstaltung teil. Er informierte über die Angebote, die von der Vernetzung in der praktischen Projekt­arbeit mit den Akteuren und Institutionen des Landkreises bis hin zu Fortbildungen, Projektwochen, Workshops und Seminaren reichen.

Mit zahlreichen interessanten Gesprächen endete der Workshop am Abend. Adressen und Telefonnummern wurden ausgetauscht, um weiter im Kontakt zu bleiben und sich gegenseitig zu informieren oder auch den einen oder anderen Tipp anzubringen.