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Eisen-Kühn Warenbeschaffung per Fahrrad

Auf das 160-jährige Geschäftsjubiläum blickt am Montag in Havelberg die Firma Fritz Kühn zurück.

Von Wolfgang Masur 11.03.2016, 13:26

Havelberg l Das Fami­lienunternehmen, das bei den Havelbergern und weit über die Landesgrenzen hinaus als „Eisen-Kühn“ bekannt ist, hat eine bewegte Geschichte. Drei Kriege, schwere Nachkriegsjahre, Inflation, Großfeuer und letztendlich den Sozialismus, in dem der Privathändler nicht so gern gesehen war, haben die Kühns überlebt. In der fünften Generation führt heute in der Kaufmannsfamilie die Tochter vom dritten Fritz Kühn, Christiane Rateitschak, das Geschäft.

Am 14. März 1856 gründete Karl-Christian Friedrich Kühn mit seiner Ehefrau Friederike, geborene Zachert, in der Havelberger Steinstraße 5 die „Firma Fritz Kühn“. Zu dieser Zeit war, wie der Name es schon sagt, die Steinstraße die einzige Pflasterstraße, die es auf der Altstadtinsel gab. Im Geschäft der Eheleute Kühn gab es zunächst Kurzwaren und Wolle zu kaufen. Werkzeuge, Draht, Nägel, landwirtschaftliche Waren sowie Eisen und Stahlwaren kamen später hinzu. 1877 wurde das Geschäftshaus der Firma Kühn Opfer eines Großfeuers und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Der Havelberger Feuerwehr war es damals zu verdanken, dass bei dem Brand das große Nachbarhaus, ein dreigeschossiges Traufenhaus, das 1715 von einem wohlhabenden Kaufmann erbaut wurde, nicht mit abbrannte. Fritz Kühn bewies damals viel Mut, denn er ging sofort daran, das Haus wieder aufzubauen. Nach einem Jahr konnte er in der bekannten Höflichkeit die ersten Kunden im neuen Haus wieder begrüßen. Fast vierzig Jahre lang führte er mit seiner Frau Friederike die Firma. Sein jüngster Sohn Reinhard übernahm dann 1894 das väterliche Geschäft und betrieb es mit den Schwestern Luzie und Meta weiter. Reinhard Kühn kaufte das benachbarte Fachwerkhaus mit hinzu. Aus gesundheitlichen Gründen und wegen der Bitte des Vaters, das Geschäft im Familienbesitz zu belassen, verkaufte Reinhard Kühn 1912 die Firma an seinen Bruder Alfred. Der hatte ein schweres Los gezogen, denn er musste das Geschäft durch die Kriegszeit, Inflation und große Nöte bringen. Alfred Kühn meisterte all diese Hürden, und so konnte er am 1. Oktober 1928 die Firma Fritz Kühn an seinen Sohn, der ebenfalls Fritz hieß, übergeben. 1931, zum 75-jährigen Geschäftsjubiläum, konnte man Folgendes in der damaligen „Havelberger Zeitung“ lesen: „Die Firma Fritz Kühn ist in weitem Umkreise als streng reelles leistungsfähiges Geschäft bekannt, das stets nach dem Grundsatz handeln und ferner handeln wird: ,Großer Umsatz - Kleiner Nutzen.‘ Der Name der Firma Fritz Kühn hat einen guten Klang!“

In den schrecklichen Kriegsjahren führte die Ehefrau von Fritz Kühn, Gertrud, das Geschäft allein weiter. Eine sehr harte Arbeit in einer noch härteren Zeit. Als Fritz Kühn aus dem Krieg wieder zurückgekehrt war, stieg er wieder in das Geschäftsleben ein. In den 1950er Jahren fuhr er mit dem Fahrrad bis nach Rathenow oder Gransee zur Warenbeschaffung. Um die weiten Strecken – er war oft länger als einen Tag unterwegs – zurückzulegen, brauchte er Kondition. Durch die Mitgliedschaft in einem Radfahrerverein fiel es ihm aber nicht ganz so schwer.

Das Nachbarhaus war zu einem Wohn-Speicher-Haus geworden, in dem sich Wohn-, Verkaufs- und Büroräume sowie Speicher- und Lagerräume befanden. Im Parterre waren damals unter anderen der Uhrmacher Wilhelm Schmidt und der Viktualienhändler (Nahrungsmittel und Esswaren) Hermann Kleinmichel ansässig. In das Geschäft von Kleinmichel zog später der Feinkosthandel von Emil Gumpert ein.

Nach dem Um- und Ausbau des Nachbarhauses bekam dann 1963 die Spielzeugabteilung ihr eigenes „Reich“ im Erdgeschoss des großen und wohl wertvollsten Fachwerkhauses auf der historischen Altstadtinsel. Die älteren Havelberger werden sich noch daran erinnern, dass besonders zur Weihnachtszeit damals im oberen Teil des Hauses Spielwaren verkauft wurden.

Zu DDR Zeiten war „Eisen-Kühn“ ein sehr gefragtes Geschäft in der Domstadt, denn besonders Kunden aus den angrenzenden Dörfern des damaligen Kreises Havelberg, aber auch aus dem benachbarten Brandenburg und der Prignitz gaben sich die Türklinke in die Hand. Haushaltsgeräte, Eisenwaren und tausende nützliche Dinge für Haus und Hof wechselten den Besitzer. 1973 übernahm wieder ein Fritz Kühn – der Sohn vom „Alten Fritz“, der im Familienbetrieb mit herangewachsen war – das beliebte Geschäft in der Havelberger Steinstraße. „Ich habe 1946 hier meine Lehre begonnen, und mit 14 Jahren habe ich schon allein im Geschäft gestanden, da meine Schwestern zum Kartoffelstoppeln mit raus mussten“, sagte Fritz Kühn stolz. „Mit einem großen Handwagen bin ich damals als Kind zum ,Pollo‘ gefahren, um Eisenroste für Öfen abzuholen. Der Weg vom Bahnhof kam mir an diesem Tag besonders lang vor. Der Handwagen war so voll und die Last so schwer, dass ich die kleine Steigung, an der Einmündung von der Bahnhofstraße zur jetzigen B 107, nicht hinaufkam. Der Musiker Werner Jelitzki, der gerade vorüber kam, half mir“, erinnert er sich an das „schwere“ Problem.

Später, nach der Geschäftsübernahme, ist er dann morgens um vier Uhr zum Abkauf nach Magdeburg gefahren, um genügend Ware zu erhalten. Seine Frau Edith sowie die Schwestern Waltraud Winter und Käte Wobbe, beide geborene Kühn, arbeiteten zu dieser Zeit mit im Geschäft. „Es war eine harte Zeit, denn die Arbeit war sehr schwer. Einen Teil der Ware mussten wir immer vom früheren Bahnhof in Havelberg abholen und dann hoch in die Lagerräume des Speichers tragen“, blickte Fritz Kühn zurück. Die Großeltern zogen die Waren, die eingelagert wurden, noch mit der großen Winde zum Dachboden hinauf.

Zu DDR-Zeiten bekam er die Gewerbeerlaubnis als Kommissionshändler der Handelsorganisation (HO). Nach der Wende füllten sich dann so wie in vielen Geschäften die Regale leichter, und die Firma Fritz Kühn war auch wieder privat. Aber der Einzelhändler hatte einen schweren Start. Die Supermärkte machten dem „kleinen Mann“ das Leben schwer. Als kleiner Mann im anderen Sinne sah sich Fritz Kühn aber nie, denn sein Geschäft hatte Krieg, Feuer, Not und viele Schwierigkeiten überstanden. Freundlichkeit, fachliche Kundenberatung und ein stetes Bemühen, es jedem recht zu machen, trugen schon immer zum guten Ruf des Geschäfts bei.

Am 1. Januar 2002 übernahm die Tochter von Edith und Fritz Kühn, Christiane Rateitschak, in der fünften Generation die Firma. Sie ist in dem Geschäft groß geworden. Die erste Puppe, die unter dem Weihnachtsbaum lag, kam natürlich aus dem Spielzeugladen der Eltern. „Das ist schon wieder lange her, aber ich hatte bereits als Kind den Wunsch, den Familienbetrieb einmal zu übernehmen“, betonte die heute 50-jährige Chefin Christiane Rateitschak. Und sie hat auch die zuvor genannten Tugenden der Eltern mit übernommen! Zwei Angestellte, Bärbel Thiel und Gabi Matuszek, stehen ihr zur Seite.

Im Eisenwarengeschäft erinnert noch vieles an frühere Zeiten, und besonders fällt es den Kunden auf, dass eben die Freundlichkeit der Kühns nicht verloren gegangen ist. Das Sortiment hat sich etwas verändert, aber die tausend nützlichen Dinge für den Haushalt findet man natürlich immer noch. „Ich habe zusätzlich eine riesengroße Auswahl an Havelberger Souvenirs anzubieten. Dazu gehört nicht nur ein sehr schönes Handtuch mit dem Havelberger Dom, es gibt auch noch viele andere Mitbringsel. Eine reichhaltige Palette an Spielwaren wird ebenfalls angeboten“, beschreibt Christiane Rateitschak das heutige Geschäft.

Sie blickt gerne zurück auf das Buga-Jahr 2015 und voller Optimismus nach vorn, obwohl es als Einzelhändler schwer ist, zu „überleben“. Die hohe Zahl der Arbeitslosen in der Region, der Internethandel und viele andere Aspekte spielen da eine entscheidende Rolle.

So richtig hat sich der 85- jährige Fritz Kühn aber aus seinem Geschäft noch immer nicht zurückgezogen. Hin und wieder ist er dort noch anzutreffen. Mit den Eltern, Kunden und Geschäftspartnern wird das Team um Christiane Rateitschak am 14. März auf das 160. Firmenjubiläum das Glas erheben.