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Ausstellung „Flucht“ bewegt die Konfirmanden

Das diesjährige Projekt der Schönhauser Konfirmanden steht unter dem Motto „Menschen auf der Flucht gestern und heute“.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 29.05.2017, 01:01

Schönhausen l Viel Mühe steckt in den fünf Rollups (leicht aufstellbare Schautafeln), die die Konfirmanden vor wenigen Tagen in der Kirche vorstellten. Etliche Wochen widmeten sie sich dem Thema Flucht – das begann mit dem Lesen in der Bibel und endete mit einem Interview mit einem Geflüchteten aus Afghanistan, der in Schönhausen Kirchenasyl hatte – inzwischen ist der Christ, der wegen seines Glaubens aus der Heimat fliehen musste, offiziell als Flüchtling in Deutschland anerkannt.

Moritz Fehle, Wim Keijzer, Sara-Kim Kieselbach, Lea-Sophie Richter, Friedrich Schickhoff und Bjorn Wabbel (die beiden Letztgenannten haben zu Pfingsten Konfirmation, alle anderen 2018) hießen etliche Gäste zur Ausstellungseröffnung willkommen. Außerdem wirkte noch Elias Gietzke an dem Projekt mit. Einzeln und paarweise hatten sie sich jeweils einem Flucht-Thema gewidmet.

Mit „Abraham, Urvater der Israeliten“ 2000 Jahre vor Christus, ging es los. Unter anderem ist auf dem Rollup, angefertigt von Mediengestalter Jörg Kluge, nachzulesen: „Von der Stadt Ur im südlichen Zweistromland (heute Irak) zog Abraham nordwärts nach Haran und von dort aus südwärts nach Kanaan (heute: Israel/Palästina). Dort kam es zu einer Hungersnot. Deswegen flüchtete er für kurze Zeit nach Ägypten. Nachdem Abraham mit dem Pharao in Konflikt geraten war, zog er mit seiner Frau Sarai und seinem Neffen Lot sowie seinen Knechten und seinen Herden wieder zurück nach Kanaan. Nach einigem Hin und Her lebte die Familie schließlich wieder in Ägypten. Hier war die Versorgungslage aufgrund einer klugen Landwirtschaftspolitik besser.“

Mose, dem Anführer der Israeliten und vor 1300 Jahren vor Christus auf der Flucht, ist der nächste Rollup gewidmet. Die Israeliten waren auf den Baustellen des Pharaos ausgebeutet worden. Mose selbst sagt im Text der Konfirmanden: „Gott zeigte mir und dem Volk den Weg, indem er am Tag eine Wolke und in der Nacht eine Feuersäule vor uns hergehen ließ. Als aber der König sah, dass wir geflohen waren, verfolgten uns die Ägypter. Als wir nun die Soldaten hinter uns herkommen sahen, wurden viele ängstlich und fragten mich, wieso wir nicht in Ägypten geblieben sind. Wir zogen in die Richtung des großen Meeres und Gott half uns, indem er uns trockenen Fußes durch das Meer laufen ließ. So entkamen wir den Soldaten des Pharaos und gingen in die Richtung des uns versprochenen Landes.“

Charlotte Matzke stammt aus Suckow in Pommern, heute im Nordwesten Polens. 1944 war Charlotte Matzke elf Jahre alt. Die russische Armee kam auch nach Pommern. Bevor die russischen Soldaten ihren Heimatort erreichten, ergriff die Familie die Flucht. Die „Rote Armee“ war aber schneller.

Die Soldaten raubten die Flüchtlinge aus. Charlotte Matzkes Familie kam noch einmal in den Heimatort, durfte aber das eigene Haus nicht mehr betreten. In ihm waren jetzt russische Soldaten einquartiert. Später durfte die Familie ausreisen. Über verschiedene Stationen erreichte sie schließlich die Altmark. Die Altmärker empfingen die Flüchtlinge, die in ihren Dörfern und Häusern zwangsweise einquartiert wurden, oft nicht freundlich. Später zog Charlotte Matzke mit ihrem damaligen Chef, Superintendent Otto Held, nach Schönhausen. Sie lebte zunächst mit im Pfarrhaus. Dann lernte sie Eberhard Matzke kennen, den sie heiratete.

Eberhard Matzke stammt aus Liebfeld in Posen, heute ebenfalls Polen. Für die Flucht vor der Roten Armee stand der Familie ein Pferdewagen zur Verfügung, den der damals 14-jährige Eberhard selbst gelenkt hat. Über Umwege erreichte die Familie Schönhausen. Sie lebte zunächst im „Gut II“. Das Gut derer von Bismarck wurde „zersiedelt“ und der Boden, die Äcker und die Wiesen unter anderem an Flüchtlinge verteilt. Später war Eberhard Matzke Mitbegründer der LPG „Elbaue“. Noch heute, 85-jährig, spannt er manchmal den alten Trecker an. Heute fühlen sich Charlotte und Eberhard Matzke gut aufgenommen. Schönhausen ist ihnen zu ihrer zweiten Heimat geworden.

Emotional am intensivsten war das Thema unter der Überschrift „Ali Alizada kommt aus Afghanistan.“ Die Landkarte auf dem Rollup zeigt den langen Weg seiner Flucht, der zusammengerechnet zehn Jahre dauerte. So haben die Konfirmanden das Gespräch mit ihm zusammengefasst: „Ali, der früher in Afghanistan lebte, hat seit dem 7. März 2016 in Deutschland eine Zuflucht. Doch seine Reise nach und durch Europa begann schon vor über zehn Jahren, als er mit Freunden einen Versuch startete, nach Europa zu gelangen. Dieser Weg führte ihn durch den Iran bis an Küste des Mittelmeers. Von dort nahm ihn ein „Schlepper“ für viel Geld mit nach Griechenland.

In Griechenland bekam er einen illegalen Pass und seine Reise führte ihn weiter über die Balkanroute nach Ungarn. Schließlich landete er in Slowenien, wo seine Odyssee durch Europa begann. Zwischendurch lebte er in England, wo er sich sehr wohl fühlte. Jedoch war dies nicht seine erste Flucht nach Europa, und so kam es, dass er Probleme mit der so genannten „Dublin-Gesetzgebung“ bekam. Diese Bestimmungen sehen vor, dass ein Flüchtling dort seinen Asylantrag stellen muss, wo er zum ersten Mal die Europäische Union betreten hat. Das war in Alis Fall Italien. In Italien aber bekam Ali keine Möglichkeit, den Asylantrag zu stellen.

Stattdessen wurde er, wie viele andere Flüchtlinge auch, von den Behörden in die Obdachlosigkeit entlassen. Er lebte in verschiedenen europäischen Ländern, auch in Frankreich und Norwegen. Seine größte Sorge war in der langen Zeit, von den jeweiligen Behörden aufgegriffen und wieder nach Italien geschickt zu werden. Nachdem Ali im Sommer 2016 in der Klietzer Flüchtlingsunterkunft den Abschiebebescheid in Richtung Italien bekommen hatte, entschied der Schönhauser Gemeindekirchenrat, ihm Kirchenasyl zu gewähren. Ali konnte nun ein halbes Jahr lang nicht das Schönhauser Kirchengelände verlassen, denn nur hier war er vor Abschiebung geschützt. Der Staat akzeptiert das Kirchenasyl. Im März 2017 konnte Ali das Kirchenasyl wieder verlassen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat entschieden, dass Ali seinen Asylantrag in Deutschland stellen darf.

In den kommenden Wochen ist die Ausstellung in Schönhausen zu sehen. „Sehr gern zeigen wir sie auch an anderen Orten“, würde sich die Konfirmandengruppe über Interesse freuen. Pfarrer Ralf Euker ist stolz auf das, was die Konfirmanden mit diesem Projekt geschafft haben, „die Jugendlichen sind über sich hinaus gewachsen und haben wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt“.