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Flüchtlinge Ein Saal voll mit Hilfsbereitschaft

Zur aktuellen Situation der Flüchtlingsunterbringung in Havelberg wurde im Rathaus berichtet.

Von Andrea Schröder 06.11.2015, 17:46

Havelberg l Angesichts manch heftiger Diskussionen landauf, landab zur Flüchtlingskrise, die zum Teil in Beleidigungen und Hetze ausufern, stellte Stadtratsvorsitzender Wolfgang Schürmann zu Beginn einige Regeln auf. Die wichtigste Botschaft: Hier geht es um die Situation in Havelberg und darum, wie sich die Bürger dieser stellen wollen und können. Hier zeigte sich im Laufe des Abends, dass die Hansestadt bereit ist, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Viele stehen in den Startlöchern, erste Unterstützungen bei der Betreuung sind bereits angelaufen.

Zum aktuellen Stand informierte zunächst Bürgermeister Bernd Poloski. Bis auf die minderjährigen Flüchtlinge, die seit drei Wochen vom DRK in der Genthiner Straße untergebracht sind, wurden in Havelberg bisher keine Flüchtlinge aufgenommen. Gespräche zu Wohnungsvermietungen gibt es vom Landkreis aus sowohl mit der städtischen Wohnbau GmbH als auch mit privaten Vermietern. Im Gespräch seien Wohnblöcke im Franz-Mehring-Viertel und der Neustädter Straße sowie Wohnungen im Altstadtbereich. Björn Malycha, Integrationskoordinator des Landkreises Stendal, ergänzte ganz aktuell, dass der Landkreis in Havelberg drei Wohnungen für Flüchtlinge gemietet hat: eine in der Sandauer Straße und zwei in der Neustädter Straße.

Er gab einen Gesamtüberblick über die Situation im Landkreis, nannte Zahlen, erklärte den Status, den Asylbewerber erhalten und was dieser für sie bedeutet. Zu den unbegleitet minderjährigen Asylsuchenden berichtete er, dass im Land Sachsen-Anhalt derzeit 635 untergebracht sind, davon 130 im Landkreis. Für die in Havelberg betreuten Jugendlichen, die in der Aufnahmestelle in Klietz angekommen sind, übernimmt das Jugendamt die Obhut und prüft, ob sie für ein sogenanntes Verteilungsverfahren geeignet sind. Ihre Aufenthaltsdauer liege bei vier Wochen, dann werden sie in Einrichtungen verteilt. Die 28 plus fünf Reserveplätze in Havelberg reichen derzeit aus. Bei der Prüfung spielen Fragen zum Kindeswohl, zu volljährigen Verwandten oder minderjährigen Geschwisterkindern und aktueller Gesundheitszustand eine Rolle.

Kontrovers diskutiert werde vielfach das Alter der Jugendlichen. Die Feststellung erfolgt durch Auswertung vorhandener Dokumente, qualifizierte Inaugenscheinnahme mit Befragung und Gesamteindruck. Gibt es Zweifel, kann auf Antrag eine körperliche Untersuchung stattfinden. Das werde bisher aber selten praktiziert, sagte Björn Malycha.

Er informierte, dass das Land ehrenamtliche Vormünder für die Betreuung der Jugendlichen sucht. Zu Fragen der Spenden sagte er, dass die Wohnungen mit dem Nötigsten wie Betten, Tischen und Stühlen ausgestattet werden. Benötigt werden Dinge wie Kleiderschränke, Waschmaschinen, Geschirr, Besteck, Lampen, Gardinen. Kleidung und Plüschtiere eher weniger. Mitgebracht hatte er die Broschüre „Geflüchtete Menschen“, die Studierende der Hochschule Stendal in der Initiative „Refugees welcome“ erstellt haben. Diese ist im Rathaus zu haben.

Dass die Netzwerke zur Flüchtlingshilfe in Havelberg bereits gut funktionieren, schätzte DRK Vorstand Michael Mehler ein. Stadt und Vereine bieten Hilfe an. Im Jugendzentrum nutzen die Flüchtlinge vormittags die Freizeitangebote, spielen Billard, Kicker und Tischtennis. Die Bundeswehr hat angeboten, dass sie die Schwimmhalle nutzen können, auch zum Schwimmen lernen. 14 Mitarbeiter gehören zum Team unter Leitung von Janett Hemstedt, das sich in der Genthiner Straße um die Jugendlichen kümmert.

„Die Arbeit macht ganz viel Spaß, die Jugendlichen sind sehr höflich, hilfsbereit und dankbar für die Hilfen“, schätzte die Erziehungswissenschaftlerin ein. Sie hat bereits in Hamburg mit unbegleitet minderjährigen Asylsuchenden gearbeitet. Auf die Frage eines Havelbergers, wie stark der Glaube bei den jungen Leuten ausgeprägt ist, sagte sie, dass sie vor einer Woche das erste Mal jemanden gesehen hat, der betete. Muslime, die sich strikt an die Gebetszeiten halten, sind in der Genthiner Straße eher die Minderheit. Generell ist der Glaube bei den Flüchtlingen wesentlich ausgeprägter als bei uns, sagte Björn Malycha. Die Islamische Gemeinde in Stendal erfährt derzeit großen Zulauf. „Glaube kann auch ein Anker sein.“

Ausgehend von den Prognosen, nach denen der Landkreis wöchentlich 85 Flüchtlinge zugewiesen bekommt, geht der Bürgermeister davon aus, dass auch Havelberg Familien aufnehmen wird. Mit dem Landkreis wurden die Kapazitäten in Kitas und Schulen abgestimmt. „In der Winterzeit geht es aber vordergründig um eine warme und sichere Unterkunft sowie Freizeit- und Sprachangebote.“

Benötigt wird Sportkleidung sowie -schuhe, auch Fußballschuhe. Von 30 bis 39 Euro Taschengeld je nach Alter pro Monat ist so etwas nicht zu kaufen. Gefragt sind auch Musikinstrumente, auch wenn es nur zum Ausleihen ist, sagte Janett Hemstedt. Sie ermunterte Interessierte, in der Genthiner Straße vorbeizuschauen und sich vor Ort einen Eindruck zu machen. „Hilfe ist jederzeit willkommen.“

Ruth Kaltschmidt-Beuting aus Hohengöhren berichtete von ihrer Sammelaktion: Sie sucht 30 alte Fahrräder, um sie mit den Flüchtlingen aufzubereiten und ihnen zur Verfügung zu stellen.

Der Bürgermeister bat zum Abschluss unter anderem darum, bei Fragen Kontakt etwa mit der Stadt, der Polizei oder dem DRK aufzunehmen und vor allem Gerüchten keine Nahrung zu geben.