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Nach Flut Caritas beendet Hilfsprojekte

Fast drei Jahre lang gab es einen „sicheren Ort“ für Flutbetroffene. Nun beendet die Caritas das Hilfeprojekt im Elbe-Havel-Land.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 28.12.2016, 11:46

Schönhausen l Wieder fließen Tränen. Aber es sind keine Tränen der Verzweiflung wie vor drei Jahren, sondern Tränen der Dankbarkeit für die Hilfe, die die Caritas geleistet hat. Jetzt zum Jahresende ist das Projekt zu Ende. Schade! Das sagen nicht nur die Teilnehmer der Kunsttherapie, sondern auch die beiden Therapeutinnen Julia Kittner und Stefanie Spilles, die ihr ganzes Herzblut investiert haben, um zu helfen. Zufrieden können sie jetzt Bilanz ziehen.

Begonnen hatte die Fluthilfe der Caritas nach dem Deichbruch am 10. Juni 2013 zunächst ganz praktisch: Ewald Kittner, Koordinator der Caritas Stendal, hat Spenden ins Auto gepackt und ist losgefahren, um den Betroffenen zu helfen. Der Verleih von Trocknern, Entfeuchtern und Werkzeug kam dazu. Auf dem Flugplatz in Borstel wurde ein Hangar gefüllt mit Teppichen, die sich die Betroffenen holen konnten. Auf dem nationalen Konto der Caritas gingen immer mehr Spenden ein. Menschen stellten im Büro – eingerichtet im Schönhauser Bürgerzentrum – Anträge auf finanzielle Unterstützung. Auch bei der Antragstellung auf Fluthilfe bei der Magdeburger Investitionsbank sind die Mitarbeiterinnen behilflich, eine nicht wegzudenkende Unterstützung vor allem für Ältere. Eine der Mitarbeiterinnen ist Judith Liban aus Neukamern. Mit weit über hundert Betroffenen steht sie über Monate in Kontakt und hilft am Ende auch beim aufwendigen Prozedere, die Verwendungsnachweise zu erbringen. Es ist mehr als nur Schreibkram, „die Gespräche mit den Menschen sind genauso wichtig“.

Das erkennt die Caritas schnell und entwickelt eine weitere Hilfe: Kunsttherapie. Julia Kittner, die zu diesem Zeitpunkt noch Wübbenhorst heißt, arbeitet im Januar 2014 ein Konzept aus, das beim Hauptverband der Caritas mit Sitz in Magdeburg ankommt und genehmigt wird. Erst einmal für ein halbes Jahr. Verbandsbürgermeister Bernd Witt sichert sämtliche Unterstützung zu, stellt Räume im Bürgerzentrum zur Vefügung. Im März 2014 öffnet das offene Atelier, der „sichere Ort“, das erste Mal. Die Kunsttherapeutin erklärt das Anliegen: „Bilder sind Spiegel unserer Seele. Über kreative Prozesse und das Ausprobieren von unterschiedlichem künstlerischem Material versucht die Kunsttherapie, den Menschen zum Ausdruck seines Inneren zu motivieren. Dabei stehen nicht das perfekte Bild, sondern die heilenden Prozesse, die mit der Bildentstehung einhergehen, im Vordergrund. Kunsttherapie zielt auf die Aktivierung von Selbstheilungskräften und die Erweiterung individueller Bewältigungsstrategien im Umgang mit Krankheit und Krisen ab. Ziel soll es sein, heilsame Lebens- und Welterfahrungen zu initiieren, damit Traumafolgestörungen bearbeitet werden können. Durch gezielte therapeutische Angebote kann das Erlebte oft erst verarbeitet, akzeptiert und integriert werden.“

Gerade die ersten Treffen sind emotional. Aber schnell zeigt sich, dass die Teilnehmerinnen durch Gespräche mit der Therapeutin und mit anderen Betroffenen Halt und Hilfe finden. Mehr und mehr wird das Offene Atelier zum Ort, an dem man abschalten kann. „Vor drei Jahren war ich psychisch wirklich ganz unten, hatte leichte Depressionen. Hier konnte ich reden, abschalten, zwei Stunden Kurzurlaub“, erzählt eine Schönhauserin, die kaum eines der Treffen mittwochnachmittags ausgelassen hat. Dabei hatte sie „mit Malen nie was am Hut. Aber darum geht es ja auch nicht“.

Im Herbst 2014 richtet Bernd Witt die Bitte an die Caritas, noch einen weiteren Standort für die Kunsttherapie zu eröffnen, „man hat überall gespürt, dass die Menschen Hilfe brauchen“. Er stößt auf offene Ohren. Im März 2015 wird im Grünen Haus in Kamern ein weiteres Offenes Atelier pa­rallel zu Schönhausen eröffnet. Hier kommt Stefanie Spilles zum Einsatz. Die junge Frau aus Bonn, aufgewachsen in der Altmark, findet schnell einen guten Draht zu den Betroffenen. Nicht nur Erwachsene kommen in die Ateliers, sondern auch Kinder. Der Bedarf ist groß, es gibt sogar eine Warteliste. Auch sie malen, formen, filzen Sorgenfresser.

Die Bilder, die die „Spuren im Land“ zeigen, werden auch ausgestellt. Der zweite Jahrestag nach dem Deichbruch ist Anlass für die Vernissage in der Schönhauser Kirche. Im Frühling 2016 kann man in der Sandauer Kirche ebenfalls einen Streifzug durch das Seelenleben der Betroffenen unternehmen. Und nach der dritten Ausstellung im Herbst im Stendaler Landratsamt kommen alle Bilder zurück in die Mappen, die die Therapieteilnehmer beim letzten Treff im Dezember mit nach Hause nehmen – bei einigen sind es über 100 Bilder!

Die Caritas hat im Rahmen der Fluthilfe noch mehr auf die Beine gestellt. Das Einheitsfest im Oktober 2014 in Schönhausen beispielsweise. Oder die Apfelbaumaktion. Jeder Flutbetroffene hat einen Baum geschenkt bekommen als Zeichen für Wachstum. Der allererste Baum war auf dem Kirchberg in Fischbeck gepflanzt worden.

Auch wenn die offenen Ateliers nun geschlossen sind – den „sicheren Ort“ tragen die Teilnehmer weiter in ihren Herzen. Zu gern hätten sie weitergemacht, bestätigen alle. Und auch Julia Kittner und Stefanie Spilles sehen Bedarf. „Die Menschen kommen ja jetzt erst aus dem Handeln heraus, da ist Zeit zum Grübeln. Auch wenn man es nicht glaubt – auch drei Jahre danach kann die Seele immer noch unter dem Erlebten leiden.“ Die Therapeutinnen sind guten Gewissens, dass sie den Menschen geholfen haben, mit dem Erlebten umzugehen und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen.