1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Havelberg
  6. >
  7. Tatverdächtige des Juwelierraubs gefasst

Polizei Tatverdächtige des Juwelierraubs gefasst

Die Polizei hat eine Bande gestellt, die unter anderem den Raubüberfall auf das Juweliergeschäft in Havelberg begangen haben soll.

Von Andrea Schröder 23.09.2015, 01:01

Havelberg l Es hört sich an wie ein Krimi, doch für Lars Kripke ist es bittere Realität, die er am Vormittag des 24. August erleben musste. Die Minuten, in denen es für ihn an jenem Montag um Leben und Tod geht, schildert er sehr detailliert. Auch vier Wochen nach dem brutalen Überfall auf sein Geschäft am Havelberger Markt ist alles präsent. „Es ging um Leben und Tod“, sagt der Havelberger Goldschmiedemeister, der jetzt den Entschluss gefasst hat, das Erlebte öffentlich zu schildern. Zu viel kursiert an Gerüchten, zu oft wird er gefragt, wie es denn tatsächlich war.

Es waren zwei gut gekleidete Männer, die sein Geschäft betraten, schicke Kleidung, blankgeputzte Schuhe. Ihm fiel die „Boss“-Tüte ins Auge, er fragte sich, wo man eine solche hier in Havelberg erhält. Später erfuhr er, dass sich darin Totschläger, Waffe und Tapeband befinden. Auf seine Frage, wie er helfen könnte, in Deutsch und Englisch, erhielt er keine Antwort. Bei der Frage nach Russisch, erntete er ein „po russki“ und ein Grinsen. Einer sah sich vorn im Schaufensterbereich im Geschäft um, der andere ging Richtung Durchgang zur Werkstatt. Der zweite kam nach. Sie wollten sich wohl davon überzeugen, dass niemand weiter im Geschäft war. Als Lars Kripke sie aufforderte, dort wegzugehen, wurde ihm Kampfgas ins Gesicht gesprüht. „Ich ging zu Boden und signalisierte ihnen, dass ich aufgebe“, erzählt er im Gespräch mit der Volksstimme.

Doch die Täter schlugen ihm mit einem harten Gegenstand auf den Kopf, würgten ihn. „Sie haben versucht mich zu ersticken, indem sie mir Mund und Nase zuhielten.“ Irgendwie gelang es ihm, sich zu befreien und zurückzuschlagen. Blind, denn sehen konnte er nichts mehr. Immer wieder hagelte es Schläge auf Kopf und Körper. Blind rettete er sich in die Werkstatt, dort lag ein Hammer. Er ergriff ihn, traf damit einen der Täter und setzte ihn kurzzeitig außer Gefecht. Doch der Kampf um Leben und Tod war noch nicht beendet. Ein Täter versuchte, ihm eine Pistole an den Kopf zu setzen. Er konnte ihn abwehren und rief durch das offene Werkstattfenster um Hilfe. Sein Obermieter hörte ihn, eilte zum Eingang des Geschäftes und brüllte laut. Auch auf der Straße rief er um Hilfe.

„Er ist mein Lebensretter, die Täter ließen von mir ab und flohen.“ Lars Kripke will ihnen hinterher, doch auf der Treppe vor dem Geschäft bricht er zusammen. Nico Heyer sowie Sven Wuttke und Kerstin Maslow, die nebenan ihre Geschäfte haben, kümmern sich um ihn. Mit Platzwunden und Hämatomen wird der Juwelier ins Krankenhaus nach Kyritz gebracht.

Erschüttert ist er, wie skrupellos die Täter – sie hatten sein Geschäft unmaskiert betreten – vorgegangen sind. Übrigens nur vier Tage später erneut beim Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in Stendal. Umso mehr ist er jetzt von der Hoffnung erfüllt, dass das Ergreifen der Täter auch zur Aufklärung dieses letzten Überfalls auf sein Geschäft führt.

Das Polizeipräsidium Potsdam hatte am Montag darüber informiert, dass Tatverdächtige inhaftiert worden sind, auf deren Konto auch der Raubüberfall vom Mai in Havelberg geht. Vier Haftbefehle, eine vorläufige Festnahme sowie die Sicherstellung von Bargeld, Tatwerkzeugen und zwei hochwertigen Pkw sind die vorläufige Bilanz von Durchsuchungen unter Führung der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Berlin-Brandenburg (GEG) in der vorigen Woche in Rathenow, heißt es darin.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen eine Bande mutmaßlicher Einbrecher und Fahrzeugdiebe hatten Ermittler der GEG mit Unterstützung von Spezialeinheiten und Bereitschaftspolizei aus Brandenburg und Berlin Mittwoch vergangener Woche in Rathenow vier Gebäude beziehungsweise Grundstücke durchsucht. Dabei wurden fünf litauische Staatsangehörige festgenommen. Vier der Männer wurden aufgrund bereits vorher erlassener Haftbefehle dem zuständigen Amtsgericht vorgeführt. Drei befinden sich nun in Justizvollzugsanstalten. Ein vierter Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Der fünfte Festgenommene wurde nach Abschluss der Maßnahmen aus dem Gewahrsam entlassen.

Die Beamten hatten zudem mehr als 6000 Euro Bargeld, Sturmhauben, Luftdruck- und Schreckschusswaffen sowie einen Audi A6 und einen BMW X6 sichergestellt.

„Die seit April dieses Jahres laufenden Ermittlungen richten sich gegen eine Bande von hauptsächlich litauischen Staatsangehörigen“, teilt die Polizei weiter mit. Die mindestens sieben Männer im Alter von 22 bis 39 Jahren stehen im Verdacht, zwischen März 2012 und Dezember 2014 in mehr als 24 Fällen in Wohnhäuser oder Gewerbebetriebe eingebrochen zu sein oder Fahrzeuge gestohlen zu haben. Schwerpunkt der Handlungen waren der Landkreis Havelland sowie der angrenzende Landkreis Stendal.

Dem mutmaßlichen 33-jährigen Bandenchef sowie zwei jetzt verhafteten Tatverdächtigen wird auch der Raubüberfall vom Mai in Havelberg vorgeworfen. Dabei war vermutlich der sichergestellte Audi benutzt worden. Die Täter hatten die Angestellte mit einer Schusswaffe bedroht und sie gefesselt. Aus den Vitrinen hatten sie Schmuck im Wert von etwa 80 000 Euro gestohlen.

Insgesamt richtete die Bande nach bisherigen Erkenntnissen Schäden von mehr als 350 000 Euro an. Ermittelt wird auch gegen zwei deutsche Staatsbürger. Die Rathenower im Alter von 37 und 56 Jahren stehen im Verdacht, die Bande logistisch unterstützt zu haben.

Die Ermittlungen, die wegen der länderübergreifenden Handlungen der Bande unter Leitung der Staatsanwaltschaft Potsdam in enger Abstimmung zwischen der GEG sowie der Polizei in Stendal geführt werden, dauern an.

Viel Hoffnung, dass er von dem im Mai gestohlenen Schmuck etwas wiedersieht, hat Lars Kripke nicht. Das ist besonders wegen des ideellen Wertes seines Meisterstückes, ein Kleopatra-Collier, bitter. Doch viel dankbarer wäre er, hätte er Gewissheit, dass die Täter gestellt sind. Seit Mai hat er keinen normalen Arbeitstag mehr, betritt sein Geschäft, das er seit mehr als 25 Jahren führt, mit einem mulmigen Gefühl.

Ein großes Dankeschön spricht er seinem Lebensretter Nico Heyer sowie Kerstin Maslow und Sven Wuttke aus. „Nico Heyer hatte die Courage einzuschreiten und hat mit seinen Hilfeschreien die Täter in die Flucht geschlagen, ansonsten würde es mich heute nicht mehr geben“, sagt er.

Und er appelliert zugleich an alle Bürger, auf Unregelmäßigkeiten zu achten und Hilfeschreie nicht zu ignorieren. „Leider ist Zivilcourage heute keine Selbstverständlichkeit mehr.“