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Bürgermeister Mann „Wir waren uns zu sicher“

Klötzes Bürgermeister Matthias Mann hat seinen letzten Arbeitstag. Er spricht über Erfolge, Niederlagen und die Zukunft.

30.11.2016, 01:00

Herr Mann, ist die Enttäuschung nach Ihrer Abwahl inzwischen vorbei?

Matthias Mann: Die Zeit heilt alle Wunden. Es ist schon so, dass sich ein gewisser Druck löst, die Last rutscht von den Schultern ab. Die Bürgermeisterzeit ist vorbei, ich muss mich nicht mehr mit Sachen belasten, die seit September hätten geklärt werden müssen.

Hätten Sie rückblickend vielleicht doch mehr Wahlkampf betreiben sollen, wie es Ihr Mitbewerber Uwe Bartels tat?

Wir waren uns zu sicher. Das war nicht nur mein Empfinden, sondern auch das von CDU, SPD und allen, die sich öffentlich geäußert haben. Doch wenn die Leute selber einschätzen können, was du ihnen wert bist, dann musst du ihnen das nicht noch mal erzählen. Wenn ich als Bewerber neu einsteige, sehe ich die Notwendigkeit des Wahlkampfes eher gegeben. Beim Wahlkampf steht meistens die Frage der Versprechen, des Polemisierens und zu sagen, es werde alles besser. Doch das wollte ich nicht.

Sie sagten, dass einige Dinge noch hätten erledigt werden müssen. Was hätten Sie gern noch umgesetzt?

Zum Beispiel den Prozess der ganzen Planungen für das Integrierte Entwicklungskonzept der Stadt, der hätte nicht so ins Stocken geraten brauchen durch den Stillstand seit der Wahl. Wer die Verantwortung in Zukunft trägt, der muss jetzt die Entscheidungen treffen.

Das große Ziel war auch, die Eröffnungsbilanz für die doppische Haushaltsführung fertig zu bekommen. Wie sieht es damit aus?

Es war schon im Sommer dieses Jahres zu erkennen gewesen, dass wir es nicht ganz schaffen werden.

Möchten Sie Ihrem Nachfolger im Bürgermeisteramt irgendwelche Ratschläge mit auf den Weg geben oder Hinweise, was er fortsetzen sollte?

Da halte ich mich zurück, dazu möchte ich auch keinen Kommentar abgeben. Ich hatte ihm angeboten, mit mir ins Gespräch zu kommen. Das ist bis heute nicht passiert. Beim Martinimarkt bin ich auf ihn zugegangen und bot an, ihn mit dem Bürgermeister der Partnerstadt und mit einigen Schaustellern ins Gespräch zu bringen, auch das wollte er nicht. Es steht auch immer die Frage der Übergabe der Amtsgeschäfte an. Offensichtlich liegt kein Interesse vor. Mein Gesprächsangebot steht noch, ich bin ja nicht aus der Welt.

Vor welchen großen Herausforderungen steht Klötze in der nächsten Zeit?

Wir sind alle keine Glaskugelgucker, aber die Entscheidungsträger der Einheitsgemeinde dürfen jetzt nicht in eine Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität verfallen. So nach dem Motto: Wir tun uns gegenseitig nichts und wenn nichts passiert, dann streiten wir uns auch nicht und keiner ist auf den anderen neidisch. Dann sind alle zufrieden. Das wäre keine gute Entwicklung. Es gehört dazu, dass man unterschiedliche Meinungen hat und damit ins Rennen geht. Wichtig ist dabei die Transparenz und nicht zu sagen, hier ist die Einheitsgemeinde und dort sind die 12 ehemaligen Gemeinden. In der Vergangenheit ist es in vielen Fällen nicht gelungen, dass man das trotz Mitgliedschaft im Stadtrat und gleichzeitig als Ortsbürgermeister transportiert hat. Das ist sicherlich auch mir mit zum Vorwurf zu machen. Die Kommunikation hat einfach nicht funktioniert, dass Informationen aus dem Hauptausschuss und dem Stadtrat, die für die gesamte Einheitsgemeinde wichtig sind, weitergeleitet werden. Eher wurden die Ortschaftsratssitzungen nur für eigenständige Themen des Ortes und teilweise für Agitation und Propaganda genutzt.

Hätten Sie bei Ihrem Amtsantritt vor sieben Jahren erwartet, dass die Zusammenführung der Ortschaften so schwierig sein wird?

Das Grundproblem war der Machtverlust einzelner Ortsbürgermeister, die mit einem Mal nichts mehr zu sagen hatten, bis heute auch nicht begriffen haben, dass sie nichts mehr zu sagen haben. Und dass sie auf der anderen Seite auch nichts mehr verantworten brauchen. Das ist der Punkt. Ein Beispiel aus den Diskussionen der letzten Wochen. Da wird gesagt: Wenn wir wieder einen Gemeindearbeiter haben, wird alles besser. Aber wer trägt denn die Verantwortung? Die trägt keiner. Und wir hatten schon mal Zeiten in unserer Geschichte, in der die, die das Sagen hatten, auch nichts verantwortet haben. Und die, die Verantwortung getragen haben, hatten in dieser Zeit nichts zu sagen. Das ist ein ganz desolater Zustand. Dieser Machtverlust war für viele der Weltuntergang. 2009, als wir die Gebietsänderungsvereinbarungen getroffen haben, ist das alles freiwillig gelaufen. Da stand in den Verträgen auch drin, ohne Abstimmung mit den anderen werden keine Experimente gemacht. Doch viele haben Experimente gemacht.

Können Sie Beispiele nennen?

Sechs Gemeinden wurden finanziell bewusst an die Wand gefahren. 2010 stand dann hier ein kunterbunter Hühnerhaufen. Diejenigen, die am wenigsten in die Einheitsgemeinde eingebracht haben, wurden zu den Experten für die größten Wünsche. Sie redeten nur noch von Katastrophen. Für sie war es schon eine Katastrophe, wenn im Herbst das Laub fiel und am Gehweg ein Stein wackelte. Zuständig war immer die Stadtwirtschaft. Das hat zermürbt. Wenn mir noch die eigenen Leute, wie im letzten Jahr bei der Gewerbeansiedlung und der Sportplatzgeschichte in Kusey, in den Rücken fallen, das tut dann besonders weh. Viele Sachen kann ich aus Gründen des Datenschutzes gar nicht öffentlich aussprechen, damit gehe ich abends alleine schlafen und werde früh wieder alleine damit wach. Das ist eine große Last, die man trägt.

Jetzt immer noch?

Es ist schon ein gewisses Aufräumen nicht nur in meinem Zimmer, sondern auch in meinem Kopf und meinem Bauch eingetreten in den letzten Wochen. Und ich freue mich sehr über diejenigen, die mich noch mal besucht haben, die sich bedanken wollten, aus der Region und landesweit. Das sind meistens Leute, die es ehrlich meinen und nicht nur öffentlich ´ne Flasche Rotwein oder ein Rentnerbuch überreichen. Inzwischen habe ich schon genug Lebenserfahrung, um das einschätzen zu können.

Haben Sie es jemals bereut, Bürgermeister von Klötze geworden zu sein?

Ich habe das so gerne gemacht. Das war für mich auch eine Freude und Herausforderung. Es konnte ja 2010 keiner sagen, wie geht es überhaupt weiter. Wir hatten mit dieser Struktur der Einheitsgemeinde völlig neu angefangen. Ich hatte auch gute Mitstreiter im Stadtrat und in der Verwaltung, ob das Karl-Heinz Kull war, Bärbel Mücke oder Dieter Neuschulz. Wir haben wichtige Veränderungen durchgezogen, aber nie ist dabei einer beschädigt worden oder musste darunter leiden, obwohl wir die ersten zwei Jahre vieles auf den Kopf gestellt hatten: Satzungen, Gebühren, Personalstruktur.

Das haben Sie aber nicht alles allein entschieden...

Alle Beschlüsse sind mehrheitlich gefasst worden. Es ist ja auch nicht so, dass mir Beschlüsse um die Ohren gehauen wurden, dass zum Beispiel von der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG) oder anderen was dagegen gesagt worden war. Da kam überhaupt kein Antrag oder Vorschlag: Bürgermeister, mit deiner Philosophie zur Stadtwirtschaft sind wir nicht einverstanden. Wir stellen den Antrag, dass wir in jedem Ort einen Gemeindearbeiter bekommen und so wird der finanziert. Dann hätte der Stadtrat drüber abstimmen müssen. Punkt. Aus.

Immer wieder wird der Vorwurf laut, Sie hätten die kleineren Gemeinden benachteiligt. War das so?

Die Jacke ziehe ich mir nicht an. Ich habe nie die kleineren Orte benachteiligt. So ehrlich sollten auch die Ortsbürgermeister sein und das ihren Ortschaftsräten vermitteln, dass vieles, was Stadtumbau oder Stadtsanierung ist, nur in Klötze selbst möglich war, weil die Förderprogramme darauf abgestellt sind. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass Klötze eine Daseinsvorsorge mit Ärzten, Einkaufsmöglichkeiten und Apotheken für die anderen Orte übernehmen muss. Dass sich die Jahrstedter und Steimker besser in Brome auskennen als in Klötze, ist mir auch klar. Es stimmt nicht, alles wäre nur nach Klötze gegangen und nicht in die Dörfer. Aber heutzutage wird einfach eine Behauptung aufgestellt und die Leute springen drauf an.

Was ist für Sie ein großer Erfolg Ihrer Amtszeit?

Ein Erfolg ist, dass keine freiwilligen Aufgaben weggebrochen sind. Wir haben alles, was aus den Orten übernommen wurde, wie die 3-Euro-Regel für die Ortsbudgets, einmal richtig angepasst und nicht alle zwei Jahre neu angefasst. Wir liegen mit den Steuerhebesätzen und den Kinderbeiträgen weit unter dem Landesdurchschnitt. Das ist für mich ein Erfolg, und in Größenordnungen investieren zu können, Fördermittel in allen Bereichen zu bekommen. Und wir haben infrastrukturell und in Gewerbegebiete in Klötze und Kusey investiert.

Was werten Sie als Misserfolg?

Alles könnte immer besser werden. Aber eine traurige Angelegenheit ist das Aus für Fricopan in Immekath oder die Geschichte in Kusey gewesen, wo ein Landwirt ein Grundstück kaufte und einen Zaun über den Sportplatz zog. Da habe ich was zwischen die Hörner gekriegt für Sachen, die ich gar nicht zu verantworten habe. Doch diese Misserfolge hielten sich in Grenzen. Das war nichts, was einen aus der Bahn wirft.

Gibt es etwas, das Sie so richtig geärgert hat?

Dass bewusst Unwahrheiten in einigen Ortschaftsräten gesagt wurden. Beispiel: Die Stadt würde in Kunrau auf dem Friedhof keine Stelen aufstellen. Oder die Problematik mit der BUND-Ortsgruppe, die sagt, wenn die Schweinemast gebaut wird, ist es die Schuld des Bürgermeisters, wenn es verhindert wird, ist es ein Erfolg des BUND. Ein anderes Beispiel aus einer Beratung mit den Ortsbürgermeistern: Eine halbe Stunde hatte ich informiert, dass wir uns 2017 auf eine andere Situation einstellen müssen wegen der Steuerausfälle durch die Fricopan-Schließung, Brandschutzauflagen in Kitas und Sturmschäden. Und dann kommt die Forderung aus den Reihen der Ortschefs: Wir brauchen eine Hüpfburg, und das darf keine billige sein. Da fällt man doch vom Glauben ab. Da fragte ich mich im Anschluss: Was habe ich jetzt verkehrt gemacht?

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, neben dem Hauptausschuss weitere Ausschüsse zu installieren?

Wenn der Wunsch nach Transparenz und mehr Kommunikation von den Ortsbürgermeistern ehrlich gemeint ist, ja. Aber schon, wenn ich mich zu Ortschaftsratssitzungen angekündigt hatte, war das fast ein Angriff auf den Weltfrieden und ist als Drohung aufgefasst worden. Ausschüsse binden auch Zeit, Kapazitäten, und ich habe nur begrenzt Ressourcen. Und wenn ich dann in Sitzungsprotokollen nachlese, muss ich manchmal sagen: Schade um die Zeit, die ein Mitarbeiter abends dafür unterwegs war. Denn niedergeschrieben sind nur subjektive Meinungen, und die unwissenden Ortschaftsräte fragen dann im Rathaus nach: Es stand doch im Protokoll. Warum ist das noch nicht erledigt?

Demnächst lesen Sie im 2. Teil über die Zukunft der Bäder, Schulen und anderes.