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Schulbezirke Schüler als Schiebemasse

Die Grenzen der Schuleinzugsbereiche in Magdeburg wackeln. Schüler sollen per Order umgelenkt werden.

Von Katja Tessnow 03.12.2015, 00:01

Magdeburg l Ende Januar offerierte die Stadt den Eltern von Abc-Schützen ab 2016 eine neue Freiheit bei der Schulwahl. Im März kassierte der Rat den eigenen Beschluss und setzte die 31 Einzugsbereiche für 31 Grundschulen wieder in Kraft. Jetzt wackeln deren Grenzen erneut. 

Rein rechnerisch bieten die 31 kommunalen Grundschulen in Magdeburg rund 9000 Schülern Platz; 9100 Schüler gelten als „maximale Aufnahmekapazität“. Allerdings geht die Stadt – für die räumliche Ausstattung der Schullandschaft zuständig – dabei von 28 Kindern pro Klasse aus. Die Zahl markiert den alten Klassenteiler nach Landesvorgabe. Mehr als 28 Schüler gelten für eine Grundschulklasse als unzumutbar.

In der Praxis und zur Erleichterung vieler Eltern (und Lehrer) lernen deutlich weniger Kinder – in der Regel knapp unter oder über 20 – in einer Klasse. Das ist ein Grund dafür, dass die rein statistisch angenommene Grundschulkapazität ein Papiertiger ist, der dem wirklichen Leben nicht standhält.

Aktuell lernen 6218 Kinder an den städtischen Grundschulen; ab 2016 wird die Zahl auf knapp 6450 steigen. Zumindest an einzelnen Grundschulen im Stadtgebiet droht Überfüllung. Die Zahl der angemeldeten Einschüler sprengt die räumlichen Kapazitäten. Zwar plant die Stadt den Neubau ganzer fünf Grundschulen, allerdings wird keine davon schon 2016 eröffnen. Der Raumnot will die Verwaltung deshalb mit einer Notlösung begegnen und die Schulbezirke in den Bereichen Kannenstieg/Kritzmannstraße, Sudenburg/Friedenshöhe/Ottersleben, Leipziger Straße/Hopfengarten/Lindenhof sowie Brückfeld/Elbdamm/Pechauer Platz neu abzirkeln. Abc-Schützen, die in bestimmten Stadtvierteln mit überfüllten Schulen leben, sollen per Order an andere Schulstandorte umgelenkt werden.

Konkret sollen Schüler aus der Grundschule Kannenstieg an den Standort Kritzmannstraße umgelenkt werden. Ebenfalls an ihre Grenzen stößt die Grundschule Ottersleben. In der Folge sollen Lemsdorfer Kinder die Schule Friedenshöhe besuchen und der Einzugsbereich der Grundschule Sudenburg (Braunschweiger Straße) erweitert werden. Ebenfalls problematisch ist die Lage an der Grundschule Leipziger Straße; ein Teil der hier angemeldeten Kinder sollen auf die Schulen Hopfengarten und Lindenhof ausweichen. Schließlich herrscht auch in Ostelbien Enge – vor allem an der Grundschule Brückfeld, aber auch im Haus Am Elbdamm. Zum Beispiel für die von hier aus an die Grundschule Am Pechauer Platz umgelenkten Kinder entstehen teils beträchtlich längere Schulwege. Der Plan birgt aber nicht nur deshalb eine Menge Zündstoff.

Bereits etwa eineinhalb Jahre vor der Einschulung ihrer Kinder müssen Eltern eine Schulanmeldung einreichen. Für die Einschüler 2016 überschnitt sich diese Anmeldephase mit einem kommunalpolitischen Tohuwabohu in Sachen freie Schulwahl. Zu Jahresbeginn hatte der Stadtrat für einen grundsätzlichen Neuzuschnitt der Schulbezirke plädiert und die alten Grenzen aufgehoben. In der Folge konnten Eltern in nur noch zehn Schulgroßbezirken unter zwei bis vier Schulen frei wählen, wo ihr Kind lernen soll.

Nach Schluss der Anmeldefrist für die Abc-Schützen des kommenden Jahres warf der Rat den Beschluss wieder über den Haufen und zwang die Einschüler 2016 wieder in die alten Schulbezirke zurück. Über einhundert Familien, die sich schon anders orientiert hatten, stellten einen Antrag auf Beschulung ihrer Kinder außerhalb des Schulbezirkes. Die Anträge werden einer „kritischen Prüfung“ beim Landesschulamt unterzogen, heißt es aus dem Rathaus und dass nur die wenigsten Erfolgsaussicht hätten. Bei vielen Eltern dürfte das ratspolitische Hin und Her auf dem Rücken ihrer Kinder für Unmut sorgen. Dem droht nun beträchtliche Steigerung.

Die Vorbereitung der Einschüler 2016 ist weit gediehen. Sie haben ärztliche Untersuchungen auf Schulfähigkeit absolviert und in der Regel auf Einladung auch schon ihrer künftigen Schule einen Besuch abgestattet. Mindestens einhundert Familien dürften sich nun ziemlich ad hoc um-orientieren müssen, wenn der Stadtrat – wie vorgesehen – am 21. Januar den Neuzuschnitt einiger Schulbezirke beschließt.

Selbst die Verwaltung räumt ein: „Die Veränderung von Schulbezirken ist eine weitreichende und einschneidende Maßnahme.“ Es spricht Bände über die Schwere des (Raum-)Problems, wenn die Stadt dennoch zu dem Mittel greift.