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Hilfe für Helfer Friedrich Wegner und die Seele der Polizei

Für sechs Jahre ist die Stelle des Polizeiseelsorgers verlängert worden. Der alte und neue Pfarrer ist vorerst Friedrich Wegner.

Von Martin Rieß 07.01.2016, 00:01

Magdeburg l Polizisten sind immer dann gefragt, wenn brenzlige Situationen gemeistert werden müssen und die Menschen ihre Konflikte nicht mehr ohne die Autorität des Staates regeln können. Den Frauen und Männern, die sich dieser Aufgabe stellen, helfen in Sachsen-Anhalt die Polizeiseelsorger in ökumenischer Zusammenarbeit. Für Schutzpolizei und Kripo in Magdeburg und in den Landkreisen Börde, Harz und Jerichower Land, BAB „Börde“, Salzlandkreis und die Dienststelle der Wasserschutzpolizei ist Friedrich Wegner von der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland zuständig. Mit einer halben Stelle. Die andere Hälfte der Arbeitskraft des aus Wolfen stammenden Theologen fließt in die Pfarrstelle der Reformierten Gemeinde Halberstadt. Die Arbeit des Polizeiseelsorgers ist eine der Leistungen, die die Kirche ohne einen finanziellen Ausgleich durch den Staat erbringt. Qualifiziert hat sich der Pfarrer für diese Seelsorge in international standardisierten Kursen. Zudem steht er im ständigen Austausch mit Kollegen, nimmt an Weiterbildungen teil.

Zum einen steht Friedrich Wegner den Beamten für Gespräche zur Verfügung. Diese haben niemals einen missionierenden Ansatz. Friedrich Wegner sagt: „Jeder Beamte, der ein traumatisches Erlebnis durchmachen musste, kann sich an mich wenden.“ Traumatische Erlebnisse sind dabei ein weit gefächertes Feld: Diese können sich beispielsweise in Form von Bildern eines schweren Unfalls in der Seele eines Menschen festkrallen. Oder, wenn ein Polizist in der Öffentlichkeit immer wieder beleidigt oder bei einem Einsatz verletzt wurde.

Auch für Themen aus dem privaten Bereich vom Scheitern einer Beziehung bis hin zum Tod eines Angehörigen sind die Seelsorger Ansprechpartner. Privatleben ist eigentlich Privatsache – möchte man meinen. Doch Friedrich Wegner gibt zu bedenken: „Polizisten sind Waffenträger. Sie haben eine große Verantwortung und benötigen für ihre Arbeit eine große psychische Stabilität.“

Es gibt auch Fälle, in denen ein Polizeiseelsorger offensiv auf die Beamten zugeht: „Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Polizist befürchtet, dass sein Kind in einen Unfall verwickelt ist. Allein schon der Gedanke daran, eine Tochter oder einen Sohn verloren zu haben, kann einen Menschen in seinen Grundfesten erschüttern“, sagt Friedrich Wegner.

Neben den Einzelgesprächen gehört auch die Zusammenarbeit mit dem Kriseninterventionsdienst der Polizei zu den Aufgaben des Polizeiseelsorgers. „Zum Beispiel in Fällen von Katastrophen sind ja viel mehr Menschen mit der Betreuung von Einsatzkräften betraut“, berichtet Friedrich Wegner. Das erschreckendste Ereignis in seiner bisherigen Laufbahn war das Zugunglück bei Hordorf in der Börde vor einigen Jahren, als ein Güterzug mit einem Personenzug zusammengeprallt war und mehrere Tote zu beklagen waren. Damals war Friedrich Wegner direkt vor Ort und hat dort selbst die Erfahrung dieser Betroffenheit aus nächster Nähe gesammelt. Und selbst die sogenannte zweite Betroffenheit, die sich in dem Seelsorger aus den Gesprächen mit den Beamten aufbaut, ist nicht ohne. „Dafür gibt es bei der Kirche aber eigene Hilfsangebote“, sagt der Pfarrer.

Hilfe – wer in einem solchen Beruf arbeitet, der muss diese geben und in Anspruch nehmen können. Und er muss sie auch rechtzeitig vermitteln können. „Wenn ich erkenne, dass die Gespräche mit einem Seelsorger das falsche Mittel sind, dann kümmere ich mich beispielsweise darum, dass mein Gesprächspartner mit einem Psychiater ins Gespräch kommt“, sagt der Pfarrer.

Hat die Arbeit mit den Polizeibeamten die Sicht auf die Dinge verändert? „Das vielleicht nicht. Aber mir ist vieles klarer geworden“, sagt der Pfarrer. Vor seiner halben Stelle in der Polizeiseelsorge hatte er im inzwischen geschlossenen Halberstädter Gefängnis als Gefängnisseelsorger gearbeitet. Auch dort sei die Aufarbeitung von Extremsituationen ein sehr wichtiges Thema gewesen. Doch heute sei ihm klarer denn je, wie wichtig die Polizei ist. Was er seinen Gesprächspartnern wünscht? Wohl ein wenig mehr Wertschätzung.

Friedrich Wegner sagt: „Immerhin hat die Politik inzwischen erkannt, dass die Zahl der Polizeibeamten nicht weiter verringert werden darf. Ein so dünn besiedeltes Land wie unseres kann man nicht an den statistischen Größen anderer Bundesländer messen.“ Auf der anderen Seite wünscht sich der Pfarrer, dass Gewalt gerade gegen Polizeibeamte nicht toleriert wird. „Falls es in diesen Fällen keine Strafen gibt, dann wird die Autorität des Staates untergraben. Das ist ganz sicher nicht im Sinne der Bürger unseres Bundeslandes.“ In jenen Ländern, in denen die Autorität des Staates zusammengebrochen ist, regiert in der Regel die Gewalt, lenkt der Polizeiseelsorger den Blick auf die Bedeutung der Polizei.

Für die kommenden Jahre sieht er in Deutschland die Erweiterung der interkulturellen Kompetenzen als eine wichtige Aufgabe. Das werde beispielsweise durch die Aufnahme von Nachwuchspolizisten aus Zuwandererfamilien in den Polizeidienst möglich. Für die Polizeiseelsorge bestehe dann die Aufgabe darin, das Miteinander der Menschen zu unterstützen.

Auch wenn die Stelle in der Polizeiseelsorge für weitere sechs Jahre verlängert wurde, wird Friedrich Wegner diesen Dienst wohl eher quittieren. Grund: Der Pfarrer hat sich um eine andere Pfarrstelle der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland beworben. Er sagt: „Unsere vier Kinder sind aus dem Haus. Jetzt sind meine Frau und ich der Meinung, dass es an der Zeit ist, noch einmal etwas Neues zu beginnen.“

Außerdem möchte sich der derzeitige Polizeiseelsorger endlich auf die Arbeit auf einer vollen Stelle konzentrieren können. „Ich bin jetzt in dem Alter dafür“, sagt der 55-Jährige.