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Flüchtlinge „Seit Köln ist für uns alles anders“

Vor einem Jahr ist Vahid Mahdian aus Afghanistan mit Familie in Magdeburg angekommen. Er wartet auf die Bearbeitung seines Asylantrages.

15.01.2016, 00:01

Magdeburg l Als im April vergangenen Jahres Vizekanzler Sigmar Gabriel die Flüchtlingsunterkunft am Bruno-Taut-Ring in Neu-Olvenstedt besuchte, stand Vahid Mahdian etwas abseits und sah sich das hektische Treiben interessiert an. Dutzende Journalisten reckten dem SPD-Chef ihre Mikrofone entgegen. Gabriel sagte damals, dass Asylverfahren zügiger ablaufen müssten und Flüchtlinge schneller Deutsch lernen sollen, damit das mit der Integration auch klappt.

Damals war Vahid bereits seit zwei Monaten in Deutschland und hoffte auch auf eine zügige Bearbeitung seines Asylantrages. In wenigen Tagen jährt sich seine Ankunft in Sachsen-Anhalt zum ersten Mal. Auf die Bearbeitung seines Asylantrages wartet er wie Tausende andere Flüchtlinge immer noch. Dafür hat sich bei dem 30-Jährigen eine andere Behörde sehr schnell gemeldet. In einem Schreiben teilte das Bundeszentralamt für Steuern Vahid Mahdian wenige Wochen nach Einreise ihm seine persönliche Identifikationsnummer mit. „Sie wird für steuerliche Zwecke verwendet und ist lebenslang gültig. Sie werden daher gebeten, dieses Schreiben aufzubewahren“, steht da fett gedruckt und ohne Übersetzung. „Ich wäre froh, wenn ich wüsste, ob ich überhaupt bleiben darf“, sagt Vahid in Englisch.

In Afghanistan baute Vahid Mahdian als Technik-Spezialist für Banken, Unternehmen und ausländische Botschaften stabile Internet-Verbindungen via Satellit auf. Dann musste er vor den Taliban fliehen, weil er auch für die Nato arbeitete. Seine Flucht mit Frau und Kind dauerte mehrere Monate, führte über acht Länder und kostete ein Vermögen.

In Afghanistan gehörte die Familie mit Auto, Haus und gutem Einkommen zur Mittelschicht. In Deutschland ist Vahid Mahdian zum Nichtstun verdammt. Keine Arbeit und seit ein paar Wochen kann er auch nicht mehr an den Deutsch-Kursen für Flüchtlinge teilnehmen. „Sie haben uns gesagt, dass es für Afghanen kein Budget mehr gibt“, sagt er und zeigt das Zertifikat seines ersten Sprachkurses, den er noch erfolgreich abschließen konnte. An die Worte von Vizekanzler Sigmar Gabriel und der Notwendigkeit, die Sprache des Gastlandes zu können, kann sich Vahid Mahdian noch gut erinnern.

„Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben“, sagt Vahid und zitiert damit den chinesischen Philosophen Konfuzius. „Ich freue mich über die Hilfsbereitschaft vieler Menschen. Aber ich muss die Sprache lernen und arbeiten gehen und meine Familie selbst ernähren“, sagt er. Derzeit sitze er viel zu Hause, habe nichts zu tun und streite sich oft mit seiner Frau über Kleinigkeiten. „Das passiert, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt“. Der einzige Höhepunkt in ihrem Leben sei ihr zweijähriger Sohn Danial.

Dabei haben Vahid und Maryam in ihrem Leben schon einige Schwierigkeiten gemeistert. Es grenzt zum Beispiel an ein kleines Wunder, dass die beiden überhaupt zusammen sind. Während Vahid shiitischer Moslem ist, gehört seine Frau zu den Sunniten. „Am Anfang waren meine Eltern von der Heirat nicht so begeistert. Aber jetzt ist alles in Ordnung“, sagt Maryam. Im Nahen Osten stehen sich beide Glaubensrichtungen zum Teil unversöhnlich gegenüber. „Das ist alles Politik. Wenn zwei Menschen sich lieben, ist das egal“, sagt Vahid.

Im Sommer, da war die junge Familie ein halbes Jahr in Magdeburg, sagte Vahid der Volksstimme: „Die Menschen sind sehr nett. Hier sind wir in Sicherheit.“ Nach den Übergriffen von Köln in der Silvesternacht habe sich diese positive Stimmung zu „100 Prozent“ gedreht. Viele Leute seien nicht mehr freundlich.

Er berichtet von Erlebnissen, als ihn fremde Menschen beleidigt hätten. „In der Bahn haben mich alle angestarrt. Ich bin ausgestiegen und zu Fuß gelaufen“, sagt er. „Ich schäme mich für die Ausländer in Köln. Aber was können wir für die schrecklichen Taten“, fragt Vahid, der, wenn man ihn nicht kennt, wie eben jener „südländische“ oder wahlweise „nordafrikanische“ Typ anmutet, der in Köln die Übergriffe begangenen haben soll.

Aus Vorsicht verlassen Vahid und Maryam ihre Wohnung derzeit nur noch, wenn es unbedingt sein muss. Besser nicht auffallen in diesen Zeiten, sagen sie.