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Mindestlohn Weniger Aufstocker und höhere Preise

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten spricht von einem Erfolg, die Dehoga verweist auf sinkende Erträge und Investitionen.

Von Martin Rieß 09.02.2016, 00:01

Magdeburg l Ein Jahr nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro die Stunde zieht die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für Magdeburg eine positive Bilanz. „Zum ersten Mal haben alle Beschäftigten einen festen Lohnsockel unter den Füßen – von der Küchenhilfe bis zur Verkäuferin im Backshop: Wer arbeitet, muss dafür mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen“, sagt Holger Willem, Geschäftsführer der NGG Magdeburg.

Die Befürchtungen der Arbeitgeber hätten sich nicht bewahrheitet: Der Mindestlohn sei weder „Konjunktur-Bremser“ noch „gefährlicher Job-Killer“. Die NGG beruft sich dabei auf eine Studie des Pestel-Instituts in Hannover, das die Folgen des Mindestlohns im Auftrag der Gewerkschaft untersucht hatte. Anstatt Servicekräfte oder Küchenpersonal zu entlassen, haben demnach Magdeburger Hotels, Pensionen, Restaurants und Gaststätten neue Kräfte eingestellt. Insgesamt arbeiteten dort im Juni vergangenen Jahres knapp 3300 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – und damit 1,3 Prozent mehr als noch im Vergleichsmonat des Vorjahres, als es den gesetzlichen Mindestlohn noch nicht gab, fasst Holger Willem zusammen.

Nach Angaben der NGG Magdeburg hat der Mindestlohn zudem dazu geführt, dass etliche Arbeitgeber aus Mini-Jobs reguläre Stellen gemacht haben. Das gelte nicht nur für die Gastro-Branche.

Die Zahl der Aufstocker ist laut Studie ebenfalls zurückgegangen. Im Juni vergangenen Jahres gab es in Magdeburg 854 Aufstocker weniger – ein Rückgang um 12,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Das Lohn-Plus habe Magdeburg eine höhere Kaufkraft beschert, von der insbesondere auch die heimische Wirtschaft profitiert habe. „Denn Beschäftigte, die den gesetzlichen Mindestlohn bekommen, haben das zusätzlich verdiente Geld nahezu eins zu eins in den Konsum gegeben“, betont Holger Willem.

Weniger euphorisch sehen viele Unternehmen die Situation. Für Sachsen-Anhalt hatte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) eine Umfrage gestartet. Deren Ergebnis: Kostensteigerungen, Bürokratie und Probleme mit den starren Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zwingen viele Betriebe zu Einschränkungen bei Angebot und Servicezeiten und drücken auf den Ertrag. 51,9 Prozent der Umfrageteilnehmer aus Sachsen-Anhalt meldeten Ertragseinbußen, mehr als zwei Drittel gestiegene Personal- und Lieferantenkosten. Zwei Drittel der Umfrageteilnehmer aus Sachsen-Anhalt hat aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen die Preise erhöht, 48,4 Prozent reduzierten Öffnungszeiten, 23,2 Prozent haben jetzt kürzere Küchenzeiten und 14,7 Prozent der Umfrageteilnehmer führten einen zusätzlichen Ruhetag ein. 43,4 Prozent haben ihre Investitionen verringert.

Neben dem Mindestlohn bewegt die Unternehmer ein weiteres Thema: 54,7 Prozent von ihnen haben Probleme, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes immer einzuhalten. 83 Prozent befürworten den Dehoga-Vorschlag, von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umzustellen, um so mehr Flexibilität bei Auslastungsschwankungen zu gewinnen. Sachsen-Anhalts Dehoga-Präsident Michael Schmidt sagt: „Bei der Bürokratie, aber auch bei den Kosten ist für viele Betriebe die Schmerzgrenze längst erreicht. Wir werden deshalb weiter für dringend notwendige Änderungen kämpfen.“ An erster Stelle stehe dabei „die Anpassung des starren Arbeitszeitgesetzes an die Lebenswirklichkeit“.

Die NGG setzt derweil auf eine Steigerung des Mindestlohns – zunächst auf zehn Euro pro Stunde. Und zwar nicht allein aus dem Grund, dass die Arbeitnehmer mit Mindestlohn auch größere Anschaffungen tätigen und sparen können sollen. Vielmehr zeige auch eine Rentenberechnung des Bundesarbeitsministeriums, dass für eine Rente von mindestens 769 Euro pro Monat, was der Grundsicherung im Alter entspricht, ein Verdienst von 11,50 Euro pro Stunde über 45 Jahre lang auf einer Vollzeitstelle erforderlich sei.