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Kein Kavaliersdelikt Radfahrer auf der Flucht

Immer wieder gibt es Fälle, in denen Radfahrer in Magdeburg unfallflüchtig werden und selbst verletzte Personen ohne Hilfe zurücklassen.

Von Jana Heute 30.05.2016, 01:01

Magdeburg l Es ist Dienstag, der 5. April 2016, gegen 15.15 Uhr in der Leiterstraße. Ein Radfahrer, 30 bis 40 Jahre alt, steuert in der Fußgängerzone plötzlich unvermittelt in eine Schulklasse. Ein 12-jähriger Junge wird erfasst und stürzt. Anstatt sich um das verletzte Kind zu kümmern, schimpft der Radfahrer und flüchtet. Trotz eines Zeugenaufrufes der Polizei kann der Täter, der anhand der Kleidung und des weißen Fahrrads nur vage beschrieben ist, bis heute nicht gefasst werden.

Ähnlich ergeht es unserer Leserin Edeltraud Nitsche. Die Radfahrerin wird im April am Hasselbachplatz von einem Falschfahrer auf dem Rad gerammt und stürzt. Dabei verletzt sie sich das Bein und zieht sich einen doppelten Bruch im linken Daumen zu. Gleiches Szenario: Der Unfallfahrer auf dem Rad gibt Fersengeld, lässt die Frau verletzt zurück. Zum Glück helfen Passanten.

Das sind keine Einzelfälle. 22-mal dokumentiert die Polizei in Magdeburg für die vergangenen zwölf Monaten Fälle von Fahrerflucht bei Radfahrern. Die Dunkelziffer könnte weitaus höher liegen. Kein einziger dieser polizeilich erfassten Vorfälle konnte bis heute aufgeklärt werden. Und das ist das Problem. Diesen Verkehrsrowdys ist kaum beizukommen, denn sie sind weitaus anonymer unterwegs als motorisierte Kraftfahrer mit Kennzeichen.

Polizeisprecher Marc Becher räumt das ein, betont aber zugleich, dass gemessen an der Gesamtzahl der Unfälle mit Radfahrern die Fälle von Fahrerflucht nur einen kleinen Teil ausmachten. Zudem sei die Zahl der Unfälle mit Radfahrern zuletzt sogar rückläufig gewesen, berichtet er. Die Zahlen sprächen nicht dafür, dass Radfahrer insgesamt aggressiver unterwegs seien, auch wenn solche Beobachtungen immer wieder öffentlich geäußert würden.

Tatsächlich ging die Zahl der dokumentierten Radfahrunfälle zurück. Wurden 2014 in der Stadt noch 529 Unfälle mit Beteiligung von Radfahrern registriert, sank die Zahl im vorigen Jahr auf 460. Es waren also rund 13 Prozent weniger. Radfahrer sind im Schnitt zu 40 Prozent Unfallverursacher.

Zum Thema Fahrerflucht bei Radfahrern hat Polizeisprecher Becher dennoch eine klare Botschaft: „Unfallflucht ist eine Straftat.“ Der Gesetzgeber unterscheide dabei nicht zwischen Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger. Wer sich als Unfallbeteiligter unerlaubt vom Unfallort entfernt, wird laut Paragraf 142 Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe verurteilt. Der Grundsatz laute, so Becher, vor Ort zu bleiben und damit sicherzustellen, dass eine Aufklärung mit allen Fakten und Beweismitteln möglich wird. „Fahrerflucht bei Radfahrern ist also alles andere als ein Kavaliersdelikt“, stellt Marc Becher klar.

Das unterstreicht Dr. Raimund Rimkus, amtlich anerkannter Verkehrspsychologe aus Magdeburg. 50 Jahre Berufserfahrung hat er schon. Er kennt die Schwächen der Verkehrsteilnehmer. Was treibt einen zur Fahrerflucht? „Alkohol allein ist es auf keinen Fall“, so Rimkus. Meist gebe es mehrere Ursachen. Panik, Angst, Schamgefühle wegen der Schuld, auch Schock könnten ursächlich sein. Reaktionen, die aus dem momentanen Erleben resultieren.

Doch es fehle häufig auch an der Bewusstseinsbildung, dass man als Fahrradfahrer Verantwortung trägt und eigentlich selbst sehr gefährdet ist auf der Straße. Letztlich, so Dr. Rimkus, sei Fahrerflucht aber keine Fahrlässigkeit, sondern Vorsatz. Seine These: Gut ausgebaute Radwege und insgesamt klar strukturierte Verkehrsräume können zum Beispiel helfen, dass auch Radfahrer sich ihrer Rolle und Verantwortung bewusster werden.