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EinzelhandelVerschärfter Wettbewerb

Gefährden 4200 Quadratmeter mehr Einkaufsfläche den Magdeburger Innenstadthandel? Die IG Innenstadt fürchtet die neue Konkurrenz.

Von Katja Tessnow 10.12.2016, 00:01

Magdeburg l „Wir lassen uns nicht beeinflussen!“ Donnergleich eröffnete der Ratsvorsitzende Andreas Schumann (CDU) die Debatte um neue Handelsflächen am alten Schlachthof in der Liebknechtstraße. Hintergrund war ein Volksstimme-Inserat, in dem die IG Innenstadt die Ablehnung des neuen Einkaufszentrums forderte. Schumann zeigte sich „irritiert, dass man versucht, uns über die Medien zu beeinflussen“. Sein Tonfall legte vielmehr Wut als Irritation nahe. So weit.

„Marktwirtschaft bedeutet Wettbewerb und nicht Abschottung“, brachte Michael Hoffmann (CDU) denn auch die zur IG Innenstadt konträre Meinung seiner Reihen auf der Punkt. Manche in der Innenstadt spielten sich auf „wie Gottvater“, so Hoffmann. „Das finde ich falsch.“

„Mir ist auch grundsätzlich egal, ob der Wettbewerb einem einzelnen Händler Probleme bereitet. Es geht hier aber um die Frage, ob der Einzelhandel irgendwann ganz aus der Innenstadt verschwindet“, markierte Falko Grube (SPD) die Grundhaltung des anderen Ratslagers, das – wie auch die Stadtverwaltung – dringend von der Zulassung weiterer Handelsflächen abseits der Innenstadt abrät. „Seit etwa acht Jahren werden in ganz Deutschland dramatische Veränderungen im Einzelhandel registriert. In erster Linie liegt das am wachsenden Internetmarkt“, brach Oberbürgermeister Lutz Trümper (parteilos) eine Lanze dafür, die Geschäfte in der Innenstadt unter besonderen Schutz zu stellen. Insofern sei die Zeit über das Schlachthofprojekt hinweg gegangen. Trümper: „Wir haben heute eine andere Situation. Den neuen Handelsflächen am Schlachthof sollte nicht zustimmen, wer die Innenstadt nicht aufgeben will!“

Ausgerechnet die inzwischen zwei Linksfraktionen im Rat brachen eine Lanze für den freien Markt. Oliver Müller, Fraktionsvorsitzender der Linken: „Ich bin es leid, hier ständig den Schiedsrichter zu spielen in einer Marktwirtschaft, die ich mir so nicht ausgesucht habe.“ Müller plädierte für den neuen Handelsplatz in Stadtfeld, u. a. weil der Investor der Stadt mit einem Abschmelzen der ursprünglich geplanten 15 000 auf nun 4200 Einkaufsquadratmeter schon weit entgegen gekommen sei und weil sich die Mehrheit der Schlachthof-Nachbarn auf die neuen Märkte freuen würden. Müller: „Ich glaube, das ist eine runde Entwicklung. Und wir sehen schon acht Jahre lang zu, wie dort die denkmalgeschützten Hallen verfallen.“

„Was mir fehlt, sind die Alternativen zur Entwicklung des Gebietes“, kritisierte auch Frank Theile, Chef der neuen Splitterfraktion Links für Magdeburg, die Gegner der Marktansiedlung in Stadtfeld. Sie ist Bestandteil eines größeren Projektes aus neuen Wohnhäusern und der Rettung alter Schlachthofhallen (Volksstimme berichtete). Theile urteilte mit Blick auf die Händlersorgen knallhart: „Ja, wir haben einen Überhang an Einzelhandelsflächen in Magdeburg, aber wir haben auch Marktwirtschaft. Wir sind hier nicht die Marktwirtschaftsregulierungsbehörde.“ Für die letzte Einlassung kassierte Theile den Beifall des konservativen Ratslagers.

Die Schlachthofinvestoren argumentieren, dass ihr Gesamtprojekt sich nur mit den neuen Handelsflächen rechne, nicht aber mit der Abschmelzung der von der Verwaltung empfohlenen Abschmelzung auf maximal 800 Einkaufsquadratmeter.

Tatsächlich hat sich die Stadt schon vor Jahren mit dem sogenannten Märktekonzept Fesseln für die Zulassung neuer Märkte abseits der Innenstadt auferlegt, eben um den Handel und Wandel im Stadtzentrum Gedeihen zu lassen. Regulierung ist durchaus politisch gewollt, allerdings ließen Rat und Verwaltung im Falle konkreten Investoreninteresses immer wieder Ausnahmen von der Regel zu. In der Innenstadthändlerschaft, die sich nicht nur durch das Internet, sondern auch durch das aktuelle Baustellengeschehen enorm eingeschränkt fühlt, liegen die Nerven blank.

Neben der SPD meldeten im Stadtrat auch einzelne Grüne Bedenken gegen den Marktbau in Stadtfeld an. „Was machen wir als Stadtrat eigentlich noch anderes, als Einzelhandel, Einzelhandel, Einzelhandel? Überall werden neue Märkte zugelassen oder Vergrößerungen. Wer soll die noch bevölkern?“, fragte Tom Assmann. Ganz anders schätzt sein Fraktionskollege Alfred Westphal die Lage ein: „Magdeburg hat Einwohnerzuwachs.“ Der Innenstadt drohe keine Verödung und was sich da in Stadtfeld tue, sei nur begrüßenswert. Dem schloss sich auch Roland Zander für die Gartenpartei an.

In namentlicher Abstimmung machten schließlich 32 Stadträte von CDU (14), Linke (8), Links für Magdeburg (3), Grüne (3), FPD (2), Bund für Magdeburg (1) den Weg frei für das Investorenprojekt inklusive 4200 Quadratmeter Einzelhandelsfläche. Sie wischten damit den Verwaltungsvorschlag (maximal 800 Quadratmeter Handel) vom Tisch. 17 Gegenstimmen steuerten SPD (11), Grüne (3), Linke (1), Tierschutzpartei (1) und Oberbürgermeister Trümper bei; einen Grünenrat enthielt sich.

Abgesandte der IG Innenstadt verfolgten die Debatte mit finsterer Miene vom Besucherrang und räumten den Saal sofort nach der Abstimmung. Die IG erwägt den Gang vor Gericht.