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Flüchtlinge (Über)Lebensraum in Magdeburg

Die Magdeburger Stadtverwaltung verhandelt täglich über die Anmietung weiterer Objekte zur Unterbringung von Flüchtlingen.

Von Katja Tessnow 21.09.2015, 01:01

Magdeburg l Lutz Trümper geht eine lange Liste durch, darauf 116 Namen. Die Namen von Menschen mit Aufenthaltserlaubnis, aber ohne eigene Wohnung: 73 Einzelpersonen, überwiegend Männer, und zwölf Familien mit bis zu fünf Kindern. „Manche können nicht ausziehen, weil sie mit der Wohnungssuche auf sich allein gestellt überfordert sind. Andere wollen aber auch lieber in den Gemeinschaftsunterkünften bleiben, lehnen Wohnungsangebote sogar ab“, sagt Trümper und sieht dabei nicht glücklich aus. Die Stadt braucht aktuell jeden Heimplatz für die mindestens wöchentlich – mit 24 Stunden Vorankündigung – eintreffenden Neuankömmlinge, in der Regel mehr als hundert auf einen Schlag.

„Zum Beispiel hier, am 2. September.“ Trümper blättert ein paar Seiten um. „Da kamen 155 Menschen an. Viele von ihnen waren nur ein paar Tage in der Zentralen Aufnahmestelle in Halberstadt, nur neun hatten überhaupt ihren Asylantrag gestellt. Das ist die Realität und das andere sind die Versprechungen des Landes, mehr Platz in den Zentralen zu schaffen und nur Menschen mit Chancen auf ein Bleiberecht in die Kommunen zu schicken.“ Noch spüre die Stadt nichts von den versprochenen Erleichterungen.

Zeltstädte oder Flüchtlingslager in Turnhallen will Trümper aber weiterhin unbedingt vermeiden, aus humanitären Gründen und Sicherheitsbedenken. Deshalb verhandelten er und seine zuständigen Mitarbeiter aktuell täglich mit privaten Hausbesitzern, die Objekte angeboten haben. „Wir könnten darin weitere 1200 bis 1300 Menschen unterbringen. Das sind in erster Linie alte Bürogebäude, verteilt auf verschiedene Stadtviertel. Sie sind allerdings nicht sofort bezugsfertig. Wir schließen jetzt Verträge ab, die wir jeweils unter den Vorbehalt eines nachträglichen Ratsbeschlusses stellen.“ Die Zeit drängt. Die verfügbaren Heime und Wohnungen (offiziell 2035 Plätze) sind überbelegt. Die Unterbringungsrichtlinie des Landes schrieb dereinst mindestens 7 Quadratmeter Platz für jeden Flüchtling vor. Sie ist außer Kraft gesetzt. „Auch wir könnten sie aktuell nicht mehr einhalten“, räumt Trümper ein und sucht mit Hochdruck nach neuen Unterkünften.

Parallel verhandelt die Stadt mit sämtlichen Wohnungsgenossenschaften auf der Suche nach Wohnungen für frisch mit Aufenthaltserlaubnis ausgestattete Neumagdeburger. Das sind Flüchtlinge mit Asylrecht. Sie finden in der Regel nicht sofort Arbeit und landen im Hartz-IV-System an. Das Jobcenter führt eine Liste mit 200 solcher Menschen auf Wohnungs- und Arbeitssuche. Die Zahl werde in den nächsten Wochen rasant ansteigen, ist Trümper überzeugt. Jedoch es herrsche Mangel vor allem an kleinen (bis 50 Quadratmeter) Hartz-IV-gerechten Wohnungen (maximal 4,60 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter). Für alleinstehende Flüchtlinge mit Bleiberecht wollen die Genossenschaften nun Angebote erarbeiten, die denen für Studenten ähneln. Einzelne Zimmer werden separat vermietet. Es entstehen Flüchtlings-Wohngemeinschaften. Die Stadt hat Personal eingestellt, das Flüchtlinge bei der Wohnungssuche begleitet. Behörden, Vermieter und Migranten kämpfen mit Sprachbarrieren; Dolmetscher sind knapp. „Mitarbeiter des Jobcenters machen gerade einen Crashkurs in Englisch“, berichtet Trümper.

Erwartet wird, dass viele Flüchtlinge mit Asylrecht – zunächst überwiegend Männer – ihre Familien nachholen. Ehefrauen und Kinder haben Nachzugsrecht. „Das wird neue Kapazitätsprobleme für unsere Kitas mit sich bringen“, sagt Trümper. In manchen Schulen wird der Raum schon knapp. „Das Land hat in Magdeburg 11 neue Sprachklassen für Kinder von Migranten eingerichtet. Für sie fehlen vielerorts Klassenräume. Sie werden in Aulas, Bibliotheken oder auch im Speisesaal unterrichtet.“