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Jahresrückblick Eine Stadt, in der man anpacken muss

Der nicht ganz ernst gemeinte Jahresrückblick bei der Gala für den "Magdeburger des Jahres 2016".

Von Rainer Schweingel 24.01.2017, 14:47

Magdeburg l Liebe Gäste, Magdeburg ist eine Stadt, in der ist immer was los. Das sage ich Ihnen.

Am schönsten ist ja die Wahl zum Magdeburger des Jahres. Ich finde, wir haben ganz, ganz tolle Kandidaten, die echt noch mal einen Applaus verdient haben. Aber nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte. Daher plädiere ich für das nächste Jahr für eine zusätzlich Kategorie. Und zwar würde ich gern zukünftig auch den behördlichen Hinweis des Jahres küren.

In diesem Jahr hätte ich da einen ganz klaren Favoriten. An dem kommen wir schon im Januar nicht vorbei. Also: Was ist der Behörden-Hinweis des Jahres? Ich weiß, dass Sie ihn alle kennen. Ich gebe einen Tipp: Sie finden ihn auf einem Schild mit schwarzer Schrift. Und wenn man es bemerkt, sehen wir alle Rot: Ganz klar. Der Behördenhinweis des Jahres in Magdeburg ist … Ja, das Umleitungsschild!

Davon haben wir in der Stadt mehr als Einwohner. Ich hätte ja einen Vorschlag, wie man das ganz leicht ändern kann. Die Stadt schildert einfach die Straßen aus, auf denen man noch ohne Baustelle fahren kann. Das spart Kosten fürs Tiefbauamt und uns Magdeburgern allen zusammen Nerven.

Im Februar sind wir beim Wort des Jahres. Denn die Stadt hat eine klasse Idee, den mitunter etwas maulfaulen Magdeburger auf Trab zu bringen. Und das macht die ganz geschickt. Sie lässt einen Namen für das Museum am Dom suchen und entwickelt eine Idee. Dieser Namensvorschlag heißt: Ottonianum.

Haben Sie’s verstanden? Ich sag es noch mal: Ottonianum. Klingt doch super. Und das ist so einfach, dass wir alle gemeinsam noch einmal Ottonianum sagen können. Ich zähle bis drei und dann will ich sie alle hören mit dem neuen Ottonianum. Also: 1 – 2 – 3: Ottonianum!

Klappt doch prima! Das hätte kein Logopäde besser hinbekommen.

Ich finde die Idee nach wie vor klasse, die man noch ausweiten könnte. Stellen Sie sich vor, es kommen tatsächlich mal Touristen nach Magdeburg. Dann kann jeder von uns aushelfen und sagen: Wenn Sie was von unserer schönen Stadt sehen wollen, dann gehen sie erst ins Ottonianum, dann über das Domplatzianum vorbei am Hundertwasserhausianum, über den Alten-Marktianum ins Rathausianum, denn dort sitzt der Oberbürgermeisterianum Lutzerianum Trümperum.

Hört sich irgendwie richtig stilvoll an. Aber vielleicht ist ja auch alles ganz anders. Und der Machteburjer sagt zu den Touristen: Jehnse einfach nach Dommuseum hin. Und über den Rest hier kannste ooch nich meckern!

Im März halten die Stadtverwaltung und Deutsche Bahn gemeinsam die nächste Überraschung bereit. Sie verordnen den Magdeburgern einen Gesundheitskurs. Die Magdeburger sollen sich mehr bewegen. Dafür nutzt die Verwaltung einen absurden Vorwand.

Sie behauptet: Die Tunnelbaustelle am Bahnhof ist im Zeitverzug. Dabei weiß doch jeder, dass da am Tunnel alles wie am Schnürchen läuft. Jedenfalls wird der letzte Durchlass unter den Bahnhofsbrücken auch noch gesperrt. Fußgänger und Radfahrer müssen nun durch den Fußgängertunnel im Bahnhof ausweichen. Das machen schon mal geschätzt 500 Meter mehr und ein paar Kalorien weniger. Aber noch mehr hat es die Verwaltung auf die übergewichtigen Radfahrer abgesehen. Denn die müssen ihre Räder im Tunnel die Treppen hoch und runter schleppen oder ewig am Fahrstuhl warten, falls der überhaupt geht.

Gut, man könnte für ein paar Hundert Euro eine Schiene für Fahrräder an der Treppe anbringen und alles wäre gelöst. Aber das ist natürlich nicht möglich. Wo kommen wir denn hin, wenn wir für unsere Gäste am Bahnhof Erleichterungen schaffen nach dem Zugausstieg? Sollen die Touristen doch gleich merken beim Hochkraxeln an der Bahnhofstreppe, dass man in einer Stadt ist, in der man anpacken muss.

War doch früher bei unserem Kaiser Otto nicht anders. Der ist auch fast alles zu Fuß gegangen. Deshalb wurde er ja immer kräftiger und Otto der Große genannt. Bloß gut, dass der Kaiser damals schon so fit war. Nicht auszudenken, wenn das anders gewesen wäre. Sonst hieße unser großer Stadtvater ja vielleicht Otto der Dicke. Und das kann wirklich keiner wollen.

April: Apropos Otto der Dicke, äh, Otto der Große. Der hat für Magdeburg wirklich eine Lanze gebrochen. Magdeburg machte er zu seiner Lieblingsstadt. Magdeburg schenkte er Editha als Morgengabe. Heute sind wir natürlich unverkäuflich. Und geschenkt will uns eh niemand. Aber ein paar Langfinger finden uns trotzdem interessant.

Dann passiert es. Im Dom, gleich neben dem Bett von Otto und seiner Editha, sägt tatsächlich einer die Lanze unseres Kaisers ab. Ritsch-ratsch am helllichten Tag – plötzlich verschwindet die sagenumwobene Speerspitze. Mit dieser Lanze soll ja Otto übers Lechfeld geritten sein und die Ungarn besiegt haben. Und nun ist sie weg.

Oh, je! Das ist ja fast so schlimm, als würde man einem Magdeburger einen FCM-Schal wegnehmen. Die Polizei ist im Dom vor Ort und findet noch ein paar Sägespäne. Die Lanze ist bis heute nicht wieder da. Dabei ist doch klar, wer das war: Wer würde unser Magdeburg niemals kaufen und nicht mal geschenkt nehmen, aber unbedingt Kulturhauptstadt werden?

Ja, es kann eigentlich nur Halle gewesen sein. Auf jeden Fall aber war es ein Hallunke. Denn sonst hätte er ja merken müssen: Die Lanze ist doch nur ein Nachbau. Das Original liegt ganz woanders. Ich verstehe ja: Ihr da im Süden wollt mit der Lanze bei eurer Kulturhauptstadt-Bewerbung punkten. Aber ich sage euch: Sie wird euch nicht helfen. Die Lanze ist genauso eine Kopie wie eure plötzliche Bewerbung um die Kulturhauptstadt.

Zur Kultur gehört ja auch der kulturvolle Genuss, zum Beispiel von Bier. Im Mai gibt’s darum Knatsch. Unser schönes Sudenburger Bier darf nicht mehr so heißen. Oder besser gesagt: Es darf nicht mehr mit der Herkunft aus Sudenburg werben. Eine „Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ untersagt den Magdeburgern, mit der Herkunft aus Sudenburg zu werben.

Gut, es stimmt: Das Bier wird zu dieser Zeit tatsächlich in Franken gebraut. Aber mal ehrlich: Kommen alle Kassler-Braten aus Hessen? Wird der Frankfurter Kranz nur in Frankfurt gebacken? Stammen alle Wiener Würstchen aus Wien? Was hat’s gebracht? Mehr Aufmerksamkeit fürs Bier, das übrigens wirklich in Sudenburg gebraut wird, wenn dort die Anlage bald steht.

Juni: Große Katastrophen gab es in Magdeburg im vergangenen Jahr nicht. Gott sei Dank. Aber: Es könnte ja mal passieren. Sogar die Bundesregierung empfiehlt, dass sich auch Privathaushalte mit Proviant eindecken. Sie warnt aber vor Hamsterkäufen. Und was passiert? Einige Magdeburger verstehen das falsch und stürmen in die Tierhandlungen und verlangen nach den kleinen Nagern. Dabei schmecken die doch überhaupt nicht. Die meisten Magdeburger machen es aber richtig und decken sich mit Bier, Bötel und Absinth aus dem Abtshof ein. Damit übersteht man schließlich jede Katastrophe.

Im Juli schreibt es die Volksstimme als Erste. Unser Stadion ist nicht mehr ganz sicher. Die Magdeburger freuen sich über die Erfolge ihres FCM so sehr, dass sie vor Freude hüpfen. Und zwar bis das Stadion schwankt. Später drohen sogar Spielabsagen.

Am Pranger dafür steht ausgerechnet der, dem wir das Stadion zu verdanken haben: unser Oberbürgermeister. Der hatte das Stadion damals gegen viele Widerstände durchgeboxt – und nun das! Fehlplanung, Billigstadion, Pfusch – die Leute schimpfen und meckern, drehen aber selber beim eigenen Hausbau jeden Pfennig dreimal um, bevor sie ihn ausgeben. Ich jedenfalls stehe in dieser Sache ganz fest zu meinem OB. Von mir gibt’s da keine Kritik, keine Häme, keine Satire. Denn auch das ist doch nur ein – im Fußball würde man sagen – hervorragender Spielzug unseres OB.

Hat bloß noch nicht jeder gemerkt. Hüpfen ist nämlich gefährlich. Für die Füße. Für die Gelenke. Auch der Kopf wird durchgeschüttelt. Und dann tritt einem auch noch der Nachbar auf den Fuß. Und was ist die Folge durchs Hüpfen? Schwups steigen die Krankenstände in der Stadt. Dann haben wir noch weniger Lehrer und Erzieher im Einsatz, noch weniger MVB-Fahrer in den Kabinen und müssen noch länger in den Bürgerbüros anstehen, weil Personal fehlt.

Das Hüpfverbot ist schon genial, Herr Trümper, gratuliere. Mal ganz abgesehen vom Werbeeffekt, den wir damit sogar europaweit erzielen konnten, ohne einen Cent dazuzahlen zu müssen. Endlich hat auch Magdeburg ein Alleinstellungsmerkmal.

Im August überraschen uns die Verkehrsbetriebe aber wirklich. Nein, nicht die Bahnen kommen pünktlich. Aber sie sehen schmucker aus. Weil es am Landgericht einen Wasserrohrbruch gibt, müssen dort die Gleise gesperrt werden. Die Folge: Im Süden und Westen der Stadt sind nicht genügend Bahnen unterwegs.

Die MVB sind pfiffig und holen aus ihrem Museumsdepot in der Halberstädter Straße die alten historischen Bahnen wieder raus. Und so geht’s poltrig und quietschend, aber ganz historisch über die Große Diesdorfer Straße. Und der Magdeburger reibt sich verwundert die Augen. Eine echt coole Idee von den MVB! Und wenn es mal noch schlimmer kommt, liebe MVB, fragen Sie doch einfach mal im Herrenkrug nach. Die haben da sicher auch noch ein paar Kaltblüter für die Pferdebahn – kostenlosen Dünger gibt’s dann auch gleich noch dazu für die städtischen Grünanlagen.

Dass es in Magdeburg einiges gibt, was Sprengstoff birgt, ist ja bekannt. Nehmen wir nur mal die Stadtratssitzungen. Oder die Verkehrssituation. Oder den Kampf um die Kitaplätze. Im September wird all das noch übertroffen. Bei Sanierungsarbeiten wird in der Anna-Ebert-Brücke kiloweise und mehrfach Sprengstoff aus den letzten Kriegstagen gefunden. 71 Jahre hat das keiner bemerkt. Nun gut, ganz neu ist so was nicht: Editha lag ja noch länger im Dom und keiner hat’s gewusst. Da würde ich doch empfehlen, auch woanders mal nachzusehen.

Wer weiß denn schon, was im Bauch vom Magdeburger Reiter auf dem Alten Markt alles so drin ist? Nachher liegen da die Passwörter für ein Schweizer Nummernkonto drin und die Geldprobleme aller Magdeburger sind auf einen Schlag gelöst.

Oder hat schon mal einer unterm Guericke-Denkmal nachgesehen? Nicht, dass wir die Erdölquelle dort übersehen haben. Oder unterm Rathaus? Vielleicht sitzen die ja alle da auf einem Pulverfass. Oder noch schlimmer: Man findet da ausnahmsweise bürgernahe Ratsbeschlüsse?

Oktober: Ach ja, was darf in keinem Jahresrückblick fehlen? Halle hatten wir schon. Den Stau auch – bleibt noch Ikea. Die fragen die Magdeburger aus, welche Wohngewohnheiten sie haben. Die Ergebnisse sollen in das Sortiment und die Präsentation einfließen, heißt es. Da darf man also gespannt sein, was uns im Sommer erwartet, wenn wir ins neue Ikea-Haus strömen: Ich habe die ersten Ergebnisse der Umfrage schon vorliegen. Wollen Sie mal hören, wie sich Ikea auf Magdeburg einstellt? Also:

Erstens: Ikea setzt ein völlig neues Farbkonzept um: Die erste Etage wird komplett grün-rot gestrichen für unsere Handballer. Die zweite Etage folgt dann in Blau-Weiß für die FCM-Helden. Und für den Rest gibt es noch eine kleine Ecke mit Eiche rustikal. Zweitens: Alle Auslagen bei Ikea werden massenhaft mit Piktogrammen versehen. Warum? So muss der maulfaule Magdeburger nicht reden und kann einfach nur zeigen, was er will.

Drittens: Die Verkäufer erhalten Sonderschulungen für Körpersprache. Kommt jemand mit griesgrämigem Gesichtsausdruck in leicht gebückter Haltung ins Möbelhaus, wissen die Verkäufer sofort: Das muss ein Magdeburger sein! Viertens: Hüpft der Kunde ausnahmsweise zur Kasse, heißt das: Der FCM hat gewonnen!

November: Was wir uns 25 Jahre lang gewünscht haben, ist im November endlich umgesetzt. Der Blaue Bock ist verschwunden. Eine neue schöne Freifläche ist jetzt entstanden. Die hat auch schon einen neuen Namen. Aus dem Blauen Bock wurde der Blaue Fleck. Und das liegt an einem Geheimplan der SWM. Die machen aus der Not eine Tugend und stellen den Platz bis zum Wiederaufbau den FCM-Fans zur Verfügung. Warum?

Der Blaue Fleck wird jetzt Treffpunkt für die Fans. Immer genau eine Stunde vor dem Anpfiff des Heimspiels kann dann da nach Herzenslust gehüpft werden, bevor es ins Stadion geht. Eine Gefahr wegen der Schwingungen besteht nicht. Der Blaue Bock ist ja schon weg. Und sonnabends wird im Rathaus eh niemand geweckt. Der Clou ist aber: Die SWM haben unter dem blauen Fleck eine Induktionsplatte erfunden. Wenn die Fans hüpfen, wird blau-weißer Strom erzeugt und der erste Fußballstrom der Welt ist erfunden. Aus dem Erlös wird dann gleich die Stadionsanierung bezahlt. Einfach genial, oder?

Im Dezember geschieht es: Magdeburg stellt einen neuen Rekord auf. Es werden 2016 so viele Kinder geboren wie zuletzt 1990. Liebe Magdeburger und Magdeburgerinnen: Alle Achtung, reife Leistung! Na ja, das hat man davon, wenn man sich im Stadion nicht beim Hüpfen austoben kann.

Dem OB stehen auch die Schweißperlen auf der Stirn. Nein, jetzt nichts Falsches denken. Der freut sich nur nach außen und sieht schon die Probleme auf sich zukommen. Die Neugeborenen von heute brauchen morgen einen Kitaplatz und gehen übermorgen in die Schule usw. Klar, viele Kinder, das ist sind schön. Aber müssen es denn gleich so viele Babys sein? In der Verwaltung begann sofort die Lösungssuche. Die Frage lautete: Was ist schneller umzusetzen: der Bau von Hunderten Kitaplätzen oder der Aufbau von Kondomautomaten in der ganzen Stadt mit verpflichtendem Gebrauch?

Das Ergebnis können Sie sich denken. Und dem OB nehme ich trotzdem jede Hoffnung. Das Hüpfen im Stadion ist ja noch eine Weile verboten – irgendwie müssen die Magdeburger das ja woanders kompensieren. In diesem Sinne wünsche ich uns allen für alle Lebenslagen ein fruchtbares Jahr und sage zum Schluss: Alles Gute uns und unserer Stadt und denken Sie an die Kondomautomaten!

 

In unserem Dossier finden Sie alle Infos und Videos zum Thema "Magdeburger des Jahres 2016".