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Kommunalpolitik Magdeburger Stadtrat mit praller Stasi-Akte

Der Stadtrat Magdeburg empfiehlt einem Mitglied einstimmig, sein Mandat zurückzugeben. Anlass ist eine pralle Stasi-Akte als "IM Paul".

Von Katja Tessnow 08.09.2018, 09:13

Magdeburg l Seit 1990 folgt jeder Magdeburger Kommunalwahl – zuletzt im September 2014 – der Ratsbeschluss zur Einsetzung eines zeitweiligen Ausschusses zur Überprüfung der Ratsmitglieder auf Stasi-Mitarbeit. Der Ausschuss ist autorisiert – seit 2014 auch ohne persönliche Zustimmung einzelner Ratsmitglieder – alle Gewählten überprüfen zu lassen. „Gefunden wurde bisher nur in Einzelfällen etwas“, gibt der Ausschussvorsitzende Andreas Schumann (CDU) zu Protokoll und dass die Reaktionen auf solche Fundstücke individuell ausfallen. „Wir machen einen Unterschied, ob jemand in einer Art Jugendsünde eine Verpflichtungserklärung unterschrieben oder über Jahre systematisch die Stasi mit Informationen beliefert hat.“ Auch der heutige Umgang ehemaliger Stasi-Zuträger mit dem eigenen Handeln spiele bei der Bewertung eine Rolle. Den Untergang auf politischem Parkett bedeutet eine 28 Jahre nach der Wende aufgefundene Stasi-Akte also nicht zwangsläufig; nicht einmal ein unfreiwilliges Outing.

Im September 2017 signalisiert die Stasi-Unterlagenbehörde dem Magdeburger Gremium, dass es Hinweise auf eine „inoffizielle Tätigkeit“ des Stadtrates Rainer Buller gebe und sendet dem Ausschuss in der Folge einen Aktenstapel zu. Er dokumentiert das Wirken Bullers als IKMO (Inoffizieller Kriminalpolizeilicher Mitarbeiter für Operative Aufgaben) von 1983 bis 1986 und im Anschluss nahtlos als IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit) beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bis zum 29. Juni 1989 – Deckname „IM Paul“. Bullers Arbeitsakte umfasst 277 Berichtsseiten. Zu seinen Aufgaben gehörten die Einschätzung von Personen, das Erstellen von Personendossiers, das Verfassen von Reiseberichten ins kapitalistische Ausland und Stimmungsberichten sowie das Organisieren von Treffen zwischen MfS-Mitarbeitern und westdeutschen Bekannten. Buller liefert zunächst fleißig.

Zum Zeitpunkt der Anwerbung für die Stasi-Mitarbeit ist Buller 40 Jahre alt und Vertriebsdirektor beim VEB Edelweiß, später in anderen Funktionen tätig, nebenberuflich als Reiseleiter.

Im Frühjahr 2018 lädt der Ratsausschuss sowohl Buller selbst als auch seine Fraktion Gartenpartei zu Anhörungen ein. Buller verweigert ein Gespräch, lässt aber über einen Anwalt schriftlich erklären: „Ich bedauere meine damalige Tätigkeit, es ging auch um mein weiteres Leben mit meiner Familie.“ Buller gibt an, von 1973 bis 1975 unter einem Berufsverbot gelitten zu haben, weil weder er noch seine Frau Kontakte nach Westdeutschland abbrechen wollten. Die Stasi selbst attestiert ihrem Mitarbeiter am Ende der Zusammenarbeit 1989, dass er seine Dienste vor allem zur Durchsetzung persönlicher Interessen (Westreisen, Westauto, Zulassung als Reiseleiter) geleistet habe.

Pikant: Auch im Stadtrat – schon weit vor Bekanntwerden der Stasi-Akte – wird Buller hinter vorgehaltener Hand ein politisches Agieren zum persönlichen Nutzen unterstellt. Die Fraktionsvorsitzenden von SPD (Jens Rösler) und Linke (Oliver Müller) sowie der Grüne Alfred Westphal, eine Ikone der Magdeburger Bürgerrechtsbewegung, nennen Buller unisono einen besonderen Fall.

Zweifel an Bullers politischer Integrität speisen sich aus dessen politischer Vita. Bis zur Wende Mitglied der SED, schließt er sich 1994 der FDP an, zieht 1999 für die Liberalen in den Stadtrat ein, bekleidet später das bezahlte Hauptamt des FDP-Fraktionsgeschäftsführers, kandidiert um Sitze im Landtag und im Bundestag – beides vergeblich – und wirft schließlich das zweite Parteibuch hin. Das dritte sollte das der AfD werden. 2014 zieht Buller für die Alternative in den Stadtrat ein, steht kurz an der Spitze der Fraktion und überwirft sich umgehend und im Streit ums Hauptamt des Fraktionsgeschäftsführers mit den nächsten Parteikollegen. Das dritte Parteibuch gibt Buller auch wieder zurück, nicht aber sein Ratsmandat. Mit dem nimmt er 2016 in den Reihen der Fraktion Gartenpartei Platz und landet damit binnen drei Jahrzehnten im vierten politischen Lager an.

Die Gartenpartei ist denn auch die einzige Ratsfraktion, die an Bullers Seite bleibt. Den Grund dafür bringt Fraktionschef Roland Zander selbst so auf den Punkt: „Ich habe den Eindruck, dass es nur darum geht, uns als Fraktion kaputt zu machen.“ Geht Buller, bleibt ein Gartenpartei-Duo ohne Fraktionsstatus (heißt ohne Geschäftsräume und bezahlte Geschäftsführung) zurück.

In Bullers Abwesenheit schließt sich der Stadtrat im August in nicht öffentlicher Sitzung der Empfehlung des Untersuchungsausschusses an Buller an, er möge sein Mandat zurückgeben. Der Beschluss ergeht einstimmig bei drei Enthaltungen von den beiden Buller-Fraktionskollegen und einer Linke-Frau. Auf die Nachfrage, ob er der Empfehlung nachkommen werde, sagt Buller: „Nein!“ Weitere Kommentare zur Sache wolle er nicht abgeben. Buller bleibt dem Rat als Persona non grata, als unerwünschte Person, erhalten. Ein Ausschluss ist nicht möglich.

Möglich ist indes, dass der Fall Buller der erste und letzte war, bei dem die Stasi-Belastung eines Rates derartig Wellen schlägt. 2019 wird neu gewählt. Linke und SPD signalisieren eine Neigung zum Schlussstrich unter den routinemäßigen Stasi-Check. Vor dem Hintergrund, dass zum Beispiel Totschlag nach 20 Jahren verjährt, ist die Überprüfung für Angestellte im Öffentlichen Dienst auch bundesweit seit Jahren in der Debatte. Vorerst ist sie bis 2019 Gesetz.