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Selbstständigkeit Miserable Bezahlung oder Sozialbetrug?

Ermittlungen im Magdeburger Problemviertel Neue Neustadt: Es besteht der Verdacht von Leistungsmissbrauch.

Von Franziska Ellrich 03.08.2017, 01:01

Magdeburg l Vertreter des Magdeburger Polizeireviers gehören seit neuestem zu einer Arbeitsgruppe, die sich in den vergangenen Wochen wiederholt getroffen hat, um nach Lösungen für die Probleme in Neue Neustadt zu suchen.

Im Bereich rund um den Moritzplatz, entlang der Umfassungs- und Grünstraße brennt die Luft: Die Beschwerden von Anwohnern über Lärm bis in die Morgenstunden sowie über Müll, der sich am Straßenrand sammelt, mehren sich. Wohnungsvermieter beklagen den Auszug von Mietern, „die sich nicht mehr wohlfühlen“.

Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) hatte das Gespräch mit Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) gesucht. Mit dem Ergebnis: Die Polizei ist jetzt Teil der „Neue Neustadt“-Arbeitsgruppe. Von Anfang an sind neben Vertretern des Magdeburger Ordnungsamtes auch Mitarbeiter der Ausländerbehörde dabei. Denn: Mehr als 1000 Rumänen sind in den vergangenen Jahren in das Viertel gezogen. Der Ausländeranteil in den Schulen vor Ort liegt bei rund 50 Prozent.

Außerdem gehören Mitarbeiter des Magdeburger Jobcenters zur Arbeitsgruppe. Ein Grund dafür: Mehr als 660 Rumänen beziehen derzeit in Magdeburg Sozialleistungen. So weit der Stand der Arbeitsagentur für Februar 2017. Das teilte Jobcenter-Sprecher Christian Schmidt auf Nachfrage der Volksstimme mit.

Was auffällt: Im vergangenen Jahr waren es mit 350 im Februar nur rund halb so viele Rumänen, die vom Jobcenter finanziell unterstützt wurden.

Der Oberbürgermeister macht kein Geheimnis daraus, dass die Stadt längst auch in Richtung organisierten Missbrauchs deutscher Sozialleistungen ermittelt. Lutz Trümper spricht von Rumänen, die ein Gewerbe im Jobcenter anmelden wollen und von den Mitarbeitern gefragt werden, ob sie überhaupt wissen, was sie dort gerade für Papiere einreichen.

Trümper erklärt: Die Rumänen würden mit den vorbereiteten Papieren kommen und wüssten großteils gar nicht, „was sie da anmelden“.

Damit steht nicht nur der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit im Raum, sondern auch die Vermutung, dass in professionellen Strukturen diese Gewerbeanmeldungen organisiert werden. Deutschlandweit ist das ein Problem.

Firmen setzen dabei die angeblich Selbstständigen für Hungerlöhne ein, sparen sich Kranken- und Rentenversicherung oder tricksen bei Rechnungen, obwohl die Scheinselbstständigen gar nicht arbeiten gehen. So oder so wäre das Sozialbetrug: Denn am Ende stehen die kassierten Leistungen vom Jobcenter, um das wenige Einkommen aufzustocken.

Eigentlich stehen EU-Ausländern, die nicht bereits in Deutschland arbeiten oder gearbeitet haben, in den ersten fünf Jahren keine Sozialleistungen zu. Doch das Aufstocken mit Hartz IV, wenn das Einkommen nicht ausreicht, fällt eben nicht unter diese Regelung. Sobald es einen Verdachtsfall von „Leistungsmissbrauch“ gibt, gehe das Jobcenter dagegen vor, versichert Sprecher Christian Schmidt vom Jobcenter Magdeburg. Alle begründeten Verdachtsfälle würden zur Anzeige gebracht. Wie viele solcher Fälle es aktuell gibt, dazu will man beim Jobcenter keine Angaben machen.

Obendrein soll laut Volksstimme-Informationen der Zoll bereits eingeschalten worden sein. In puncto Scheinselbstständigkeit sind die Mitarbeiter des Zolls Experten.

Annica Wieblitz, Sprecherin des Hauptzollamtes Magdeburg, erklärt, wie ihre Kollegen bei so einem Verdacht vorgehen: Auf einer Baustelle zum Beispiel würden die Arbeiter befragt, wer ihr Arbeitgeber ist. Weiter würden Unterlagen geprüft, um herauszufinden, ob ein angeblich Selbstständiger nicht doch abhängig beschäftigt ist.