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Stress an der Uni Hilfe für Magdeburger Studenten

Die Belastung im Studium ist hoch: Bei Überforderung, Frustration, Unsicherheit, Ängsten oder Depression gibt es Hilfe.

Von Robert Gruhne 05.02.2017, 07:30

Magdeburg l Henning Maasland hat das Gefühl, endlich am richtigen Fleck zu sein. Der 30-Jährige studiert im dritten Semester Physik an der Uni Magdeburg. „Es ist ein deftiges Studium, aber ich komme klar. Es macht mir Spaß!“ Er klingt dankbar, denn: Das war nicht immer so.

Nur manchen Kommilitonen hat Henning seine Geschichte erzählt. Wie er schon einmal anfing zu studieren und von einem Tag auf den anderen nicht mehr zu den Vorlesungen erschien. „Im Oktober 2008 hatte ich mein Studium begonnen, nach Neujahr bin ich nicht mehr hingegangen.“

Seine Hoffnungen waren damals groß: Henning war froh, nach der Schule endlich zu Hause ausziehen zu können. Mit 15 war er aufgrund psychischer Probleme in Therapie, brach die Behandlung jedoch ab. Nun wollte er in einer fremden Stadt neu beginnen und seine Jugend hinter sich lassen, all sein „Pech beim Heranwachsen“, wie er es nennt.

Doch mit dem Studium kam er nicht zurecht. Zu groß waren die Anforderungen, die Ängste, die Ansprüche an sich selbst. Henning wurde depressiv und blieb in seiner Wohnung. Zwei Jahre lang traute er sich nicht mehr nach draußen, erst recht nicht auf den Campus, „aus Angst, dass Leute mich wiedererkennen“. Und verurteilen.

Dass Henning heute wieder studiert, war ein langer Weg. 2011 fasste er den Mut, sich Hilfe zu suchen und ließ sich behandeln, um seine Ängste loszuwerden. Auf Empfehlung seiner Therapeutin betrat er wieder den Campus. Zur Konfrontation mit dem, wovor er zwei Jahre lang weglief.

Juliane Haase ist Rehabilitationspsychologin und eine der drei Beraterinnen der Psychosozialen Studierendenberatung Magdeburg. Uni- und Hochschulangehörige bekommen hier kostenfreie Beratung bei psychosozialen Fragen. Besonders zum Studienanfang gibt es viele, die Hilfe benötigen. So wie damals Henning.

„Einige Studienanfängerinnen und Studienanfänger haben eine sehr romantische Vorstellung von der Studienzeit im Kopf, geprägt durch die positiven Studienerinnerungen der Eltern oder das verbreitete gesellschaftliche Klischee vom freien und genussvollen studentischen Leben“, weiß Beraterin Haase.

„Wenn es losgeht, merken sie oft: Ein Studium konfrontiert auch mit Herausforderungen, die nicht immer leicht zu bewältigen sind.“ Durch die Einführung des Bachelor-/Master-Systems haben sich die Studienabläufe enorm verdichtet, wodurch sich manche Studierende stark unter Druck gesetzt fühlen.

Neben dem Leistungsdruck können bei Erstsemestern Heimweh, Überforderungsgefühle und Schwierigkeiten beim Finden neuer Kontakte eine Rolle spielen. „Viele kommen hier erstmals mit eigenen Grenzen in Kontakt und manche machen erste Erfahrungen des Scheiterns“, sagt die Beraterin. In der Beratungsstelle können Studierende über diese Erfahrungen sprechen, besser verstehen, was mit einem selbst los ist, und wie man damit umgeht.

Hennings Geschichte vom kompletten Rückzug ist sicher eine der extremeren. Die Beratungsstelle bietet aber Hilfe bei vielfältigen Fragen. „Manche denken, dass wir nur mit dem Studium zu tun haben, das ist aber nicht so. Auch bei Todesfällen, einem Beziehungsende, und mit allem anderen, was einen aus der Bahn werfen kann, kann man zu uns kommen“, erklärt Juliane Haase.

Bis zu sieben Gespräche pro Student oder Studentin im Jahr sind möglich, eine intensivere Behandlung aber nicht: „Wir bieten Beratung, keine Therapie. Aber wir können vermitteln.“

Zweimal in der Woche bietet die PSB eine offene Sprechstunde an. „Ich möchte jedem Mut machen, sich so früh wie möglich an uns zu wenden“, sagt Juliane Haase. Selbst wenn das Gespräch am Ende nur ergibt, dass man die Beratung nicht nötig hat. Wenn doch, ist der erste Schritt getan. Die Gespräche bleiben streng vertraulich, versichert Haase: „Wir unterliegen der Schweigepflicht. Auch darüber, dass derjenige oder diejenige hier war.“

400 Klientinnen und Klienten kamen im Jahr 2015. 2003 waren es nur 80. Bei ca. 20 000 Studierenden am Hochschul-standort schätzt sie den Bedarf mindestens doppelt so hoch ein. „Wir platzen aus allen Nähten“, meint Juliane Haase. Die Wartezeit für einen Gesprächstermin beträgt meist sechs bis acht Wochen. Personell gibt es seit Anfang 2017 eine Entlastung: Zu den drei Beraterinnen ist ein Berater hinzugekommen.

Für Juliane Haase heißt das aber auch: „Unser Angebot funktioniert und trägt Früchte. Viele kommen durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu uns.“

Auch Henning gibt seine Erfahrungen weiter. „Wenn ich den Eindruck habe, Leute setzen sich unter Druck oder sind überfordert, dann spreche ich sie vorsichtig an. Die meisten reagieren defensiv.“ Dann erzählt er ihnen, dass er selbst in einer ähnlichen Situation war und sich schließlich überwunden hat.

Die Überwindung ist für viele das Schwierigste. Henning erinnert sich noch genau an diesen Moment vor fünf Jahren: „Ich war so aufgeregt. Ich bin mit zitternden Beinen dorthin.“

Die Angst, dass das eigene Umfeld einen verurteilt, ist groß: Den Satz „Stell dich nicht so an“ kennen viele, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.

Henning hat sich ein halbes Jahr von der PSB beraten lassen und war darüber hinaus mehrere Jahre in Therapie, bis er 2015 wieder studieren konnte. Heute hat er seine Ängste unter Kontrolle und Freunde gefunden.

Im Studium hat Henning bisher alle Prüfungen bestanden: „Jetzt bin ich der, der reinruft, wenn etwas falsch an der Tafel steht. Das ist ein gutes Gefühl. Ein großes Dankeschön dafür geht an die Psychosoziale Beratungsstelle.“

Manchmal geht er noch zu einer der Gesprächsgruppen und tauscht sich mit anderen aus, erzählt offen von seinen Problemen und Herausforderungen. Henning ist stolz: „Ich hab’s geschafft, mein Leben umzudrehen.“

Er hat es geschafft, weil er bereit war, sich helfen zu lassen.