UlrichsportalSchlechte Verlierer

Mit provokanten Veröffentlichungen reagiert das Magdeburger Kuratorium Ulrichskirche auf die Niederlage für sein Erinnerungsprojekt.

Von Katja Tessnow 01.03.2017, 00:01

Magdeburg l Ulbricht, Tietge, Müller, Lischka – die Ulrichskirchenfreunde des 2007 gegründeten Wiederaufbaukuratoriums stellen diese vier Männer in eine Reihe, alles „Kirchengegner“. Auf einer Veröffentlichung im Internet werden die drei heutigen Politiker komplett verschiedener Couleur plakativ hinter den zu allen Zeiten ungeliebten SED-ZK-Chef der DDR-Nachkriegsära gereiht. Während der Tierschutzpartei-Rat Lothar Tietge – 82 Jahre alt und im Stadtrat unter viel Geraune ein Verteidiger der Kirchensprengung von 1956 – und Linksfraktionschef Oliver Müller mit einem Zitat dicht an Ulbricht-Rhetorik („Wir sind nicht mehr die Stadt der Kirchtürme.“) dem Kuratorium brauchbare Vorlagen für seine dennoch zweifelhafte Internet-Plakatierung lieferten, outete sich SPD-Mann Burkhard Lischka in der Ratssitzung in keiner Weise als Kirchengegner im Allgemeinen. Im Gegenteil hatte Lischka anno 2011 den Wiederaufbau der Ulrichskirche sogar befürwortet.

Dann allerdings stimmten 76 Prozent der wahlberechtigten Magdeburger in einem Bürgerentscheid gegen das Projekt. In erster Linie deshalb hält eine rot-rote Ratsmehrheit – daneben auch die Gartenpartei, future!, und die FDP-Frau Carola Schumann – die Zeit für zumindest noch nicht geboten, neue Aufbaupläne zu debattieren.

Dem aktuellen Vorstoß von CDU/FDP/BfM und Grünen zum Aufbau nur des Kirchenportals oder der Freilegung von Fundamentresten (Ideen des Kuratoriums) war im Mai 2016 ein fast gleichlautender Antrag derselben Ratsfraktionen vorausgegangen. Im Sturm der Debatte zogen die Fraktionen 2016 den Antrag zurück. Im Gespräch blieb eine von der Verwaltung initiierte Bürgerbefragung zum Teilaufbau. Sie war Teil des neuen Vorstoßes zur Ratssitzung in der Vorwoche, wurde aber mit knapper Mehrheit (27 zu 23 Stimmen) gleich mit vom Tisch gefegt.

Ein im Rat wieder und wieder zitierter Grund für die Gegnerschaft auch zu Teilprojekten ist das Festhalten des Kuratoriums am 2011 von der Bürgerschaft abgewählten kompletten Wiederaufbaus. Oberbürgermeister Lutz Trümper (parteilos) wies in der jüngsten Ratssitzung darauf hin, dass sich für das Kuratorium an diesem Ziel nichts geändert habe. In der zuletzt 2016 geänderten Vereinssatzung heißt es: „Die Fördergesellschaft geht davon aus, dass zu gegebener Zeit die Bereitschaft vorhanden ist, mit dem Wiederaufbau der Ulrichskirche der Stadt Magdeburg einen wichtigen Teil ihrer geistigen, kulturellen und städtebaulichen Mitte zurückzugeben.“ Alle kleineren Projekte werden deshalb von Wiederaufbaugegnern als Häppchenpolitik zum Erreichen des großen Zieles angesehen.

Die aktuelle Abfuhr für Bürgerbefragung und Voruntersuchung des Portalaufbaus und/oder anderer Erinnerungsformen wie der Freilegung von Fundamenten quittiert das Kuratorium im Internet u. a. mit diesem Kommentar: „Man muss sich das noch einmal klar vor Augen führen: Rot-rote Ratsmehrheit schmettert Bürgerbefragung und würdiges Reformationsgedenken an bedeutende Reformationskirche im 500. Reformationsjahr ab. In Magdeburg kann man schon erahnen, was eine solche Konstellation auf Bundesebene bedeuten würde: DDR 2.0.“

Von gleich vier Vorstandsmitgliedern des Kuratoriums gingen unabhängig voneinander Leserbriefe bei der Volksstimme ein, die dem bitteren Tonfall im Internet nur wenig nachstehen. „Armes Magdeburg“, ruft der 1.  Vizevorsitzende Uwe Thal aus, und sein Vereinskollege Jörg Schenke (2. Vizevorstandschef) schreibt: „Im Stadtrat der Otto-Stadt sorgen 27 hochmotivierte Stadträte dafür, dass sich Magdeburg zum Otto macht.“ Reiner Riegg nennt den heute grünen Ulrichplatz „eine Pinkelwiese für die Vierbeiner der Anlieger, die vehement gegen den Aufbau der Ulrichskirche auf die Barrikaden gehen“.

Von Annäherung und Kompromiss keine Spur.

Nachtrag der Redaktion: Nach der Veröffentlichung des Beitrages am 1. März 2017 hat das Kuratorium Ulrichskirche die zitierten Beiträge teilweise von seiner Internetseite gelöscht bzw. nachbearbeitet.