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Flüchtlinge Die Angst vor der Abschiebung aus Magdeburg

Ein Flüchtling aus Afghanistan, der in Magdeburg lebt, spricht über die erdrückende Angst, abgeschoben zu werden.

Von Franziska Ellrich 23.03.2017, 00:01

Magdeburg l Das Buch, das Banafsha Nawabi dieser Tage immer in ihrer Tasche dabei hat, trägt den Titel: Papa, was ist ein Terrorist? „Ich habe ganz viel politische Bücher auf deutsch gelesen, um die Sprache zu lernen“, sagt die 20-Jährige. Banafsha Nawabi spricht schnell, selbst die Grammatik sitzt. Vor drei Jahren ist sie mit ihren Eltern, der Zwillingsschwester und den drei Brüdern aus ihrem Heimatland geflohen.

„Das haben unsere Eltern für uns getan, damit wir eine Zukunft haben.“ Banafsha Nawabi spricht von der Gewalt in Afghanistan, davon, dass sie und ihre Schwester nicht zur Schule gehen konnten. „Wer seine Tochter morgens losschickt, weiß nie, ob sie zurückkommt.“ In Magdeburg hat Banafsha Nawabi das Abitur nachgeholt und studiert jetzt Sozial- wissenschaften. Auch ihre Schwester Lina geht zur Universität, sie will Medizintechnikerin werden.

Der Vater der beiden Mädchen ist Mohmmad Sadig Nawabi. Er ist Vorsitzender des afghanischen Vereins der islamischen Gemeinde Magdeburg. Eine „erdrückende Angst“ mache sich unter den afghanischen Mitgliedern breit. Seit ein neues Abkommen zwischen Afghanistan und Deutschland Abschiebungen leichter macht, die Rede immer wieder von sicheren Gebieten ist. Und seit dem vor drei Monaten in einem ersten Sammelcharter dutzende Afghanen nach Kabul zurückgeflogen worden.

Die Angst vor so einer Rückkehr kann Friederike Stahlmann sehr gut verstehen. Sie ist Forscherin am Max-Planck-Institut und war für ihre Arbeit vor Ort. Am Dienstag hat sie im Magdeburger Einewelthaus über die Situation in Afghanistan informiert. Nur 20 Prozent der Distrikte – die 34 Provinzen im Land sind in kleinere Gebiete unterteilt – würden von der afghanischen Regierung kontrolliert, erklärt Stahlmann.

Kein Frieden in Sicht: Die Forscherin und Gutachterin für Gerichte spricht von den „täglichen Anschlägen auf Schulen, Bushaltestellen oder Märkten“, die mittlerweile so sehr zum Alltag gehören, dass niemand mehr darüber spreche. Stahlmann kennt das ausgefeilte „Spitzel-Netzwerk“ der Taliban, die islamistische Miliz. Sie selbst sei auf ihren Reisen in Afghanistan keinen Tag unbemerkt geblieben.

Niemand, der zurückkommt, sei sicher. Es sei denn, „ich kooperiere, sonst droht die Hinrichtung“, sagt Stahlmann. Und macht deutlich: „Widerstand dulden die Taliban nicht.“ In der Realität bedeute das: Ein 14-Jähriger, der aus Afghanistan geflohen ist, weil die Miliz ihn rekrutieren wollte, muss nach seiner Rückkehr doch in den Kampf, „um zu überleben“.

Um nicht in diese lebensbedrohliche Situation zu kommen, sollten die Flüchtlinge aus Afghanistan Stahlmann zufolge trotzdem einen Antrag auf Asyl stellen. Und alle rechtlichen Möglichkeiten ausnutzen. Doch die vielen Monate bis zu einer Entscheidung, die Sorge, dass die Anträge aussichtslos sind, würden viele Flüchtlinge zermürben, weiß Mohmmad Sadig Nawabi aus Erfahrung. Was ihn besonders bewegt: Keine Aussicht auf Asyl bedeutet in den meisten Fällen kein Sprachkurs, keine Kinderbetreuung und schon gar keine Arbeitserlaubnis. Nawabi: „Wir wollen etwas tun und nicht zu Hause sitzen.“

Besonders liegt ihm die Bildung der Frauen am Herzen. Deswegen geben seine Töchter Unterricht in der Moschee. Der Afghane wünscht sich mehr Unterstützung. Die gibt es unter anderem jetzt von den Linken im Magdeburger Stadtrat. Die Kommunalpolitiker haben einen Antrag gestellt. Sie wollen an die Landesregierung appelieren, nicht nach Afghanistan abzuschieben. Und: Die Stadtverwaltung solle bei jedem abgelehnten Afghanen sorgfältig prüfen, was rechtlich möglich ist – um zu bleiben.