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Vernissage Letzter Akt um nackte Tatsachen

In der Stadtfelder Schlossküche ist am Dienstagabend die Ausstellung „Akte im Exil“ eröffnet worden. Die Resonanz war enorm.

Von Christina Bendigs 30.11.2016, 19:21

Stadtfeld-Ost l „Der Machdeborjer Aktskandal, der reecht mich ziemlich uff“, sang Klaus Vogler, der Leiter der Stadtfelder Schlossküche, am Dienstagabend zur Ausstellungseröffnung. Extra für die Ausstellung „Akte im Exil“ hat er eine neue Strophe zu seinem Magdeburger Lied gedichtet. Und noch nie habe er sich so gefreut, eine Galerie zu haben, wie an dem Tag, an dem er aus der Zeitung erfuhr, dass zwei Künstler ihre Bilder in der Flurgalerie Eisenbart trotz langer Vorabsprachen nicht zeigen dürfen, weil darauf nackte Körper zu sehen sind. Und so manchen anderen Magdeburger regte das offenbar ebenfalls auf. Viele sind am Dienstag in die Schlossküche gekommen, um sich die Bilder anzuschauen, aber auch, um ein Zeichen zu setzen. „Es ist eigentlich immer voll“, sagt Klaus Vogler später, „aber heute ist es schon sehr voll.“

„Mir war es sehr wichtig, dass wir uns hier positionieren“, sagt etwa Besucherin Simone Weber-Niemeck, „es war uns wichtig, rechtzeitig und ganz offiziell ein Zeichen zu setzen“, sagt sie angesichts „schlimmer Strömungen“. Denn stark überzogen gehe das Verbot der Akte in der Flurgalerie Eisenbart in Richtung Entartete Kunst. Sophie Scholl habe einmal gesagt, man müsse selber etwas tun, um nicht Schuld zu haben. Das sei auch ihr Motto.

Das Magdeburger Ärzte-Ehepaar Wolfgang und Ingeborg Röse war gekommen, um sich die Bilder anzuschauen. „Es hat uns schon interessiert, warum die Bilder in der Flurgalerie nicht gezeigt werden durften“, sagte Ingeborg Röse. Als Ärztin sehe sie Menschen auch unbekleidet, dass Bilder mit nackten Menschen im Haus der Heilberufe, in dem sich auch die Kassenärztliche Vereinigung befindet, nicht gezeigt werden dürfen, „hat uns schon gewundert“. Die Bilder beschrieben beide als ästhetisch und überhaupt nicht anstößig. Im Gegenteil: In Verbindung mit der Natur, in deren Umfeld viele der Bilder entstanden sind, seien sie sogar sehr ansprechend. „Und wir freuen uns, dass ein Teil der Bilder nun in diesen kleinen Räumen zur Ausstellung kommt.“

„Wir müssen als Frauen aufpassen, dass uns das, wofür Frauen vor 100 oder 200 Jahren gekämpft haben, nicht wieder genommen wird“, meint gar Annette Gille. Dazu zählt sie auch, sich frei kleiden zu können. Sie war gemeinsam mit ihrer Bekannten Anne Katrin Baum zur Ausstellungseröffnung gekommen. Und die sagte: „Ich bin froh, dass ich nicht von meiner Kunst leben muss“, hauptberuflich sei sie Wissenschaftlerin. In ihrer Freizeit malt sie Grimms Märchen für Erwachsene. Die Bilder waren beim Advent im Ravelin im vorigen Jahr zu sehen. Auch sie hatte sich im Juni bei der Galerie Eisenbart um eine Ausstellung beworben. Auch sie erhielt die Absage – mit der Begründung, dass in deren Haus unbekleidete Körper nicht gezeigt werden würden. Im Unterschied zu den Künstlern Paul Ghandi und Martin Müller, die die Bilder der Stadtfelder Schlossküche gestaltet haben, hatte sie aber nicht lange vorher schon eine Zusage bekommen. „Da das Haus der Heilberufe, im Gegensatz zu einer reinen Galerie, ein öffentliches Gebäude darstellt, müssen wir bestimmte Gegebenheiten beachten. Was für die Sichtbarkeit der Bilder von Vorteil ist, kann aber in gewissem Sinne auch zum Nachteil für diejenigen werden, die nicht zum Zwecke der Ausstellungsbesichtigung den Flur betreten“, heißt es in der Absage. Bei Paul Ghandi und Martin Müller hatte die Leiterin der Flurgalerie die kurzfristige Absage mit „ethischen, moralischen und religiösen Aspekten“ begründet.

Für die Gäste Otto-Georg und Sigrid Kleinau war eben das der Grund, sich die Ausstellung anzuschauen: „Wir fanden es komisch, dass eine Aktausstellung in der Öffentlichkeit beziehungsweise in einem öffentlichen Gebäude unerwünscht ist“, sagten sie. „Wenn die Kassenärztliche Vereinigung Akte nicht als würdig empfindet, kann man nichts anderes machen, als herzugehen. Dann muss man hierher gehen“, sagte Besucher Jürgen Wienhöfer.

Die Künstler wird es gefreut haben. Denn durch den „Machteborjer Aktskandal“, wie ihn Klaus Vogler nannte, haben sie eine große Aufmerksamkeit erhalten. Etliche Besucher griffen nach den Handzetteln, die Klaus Vogler vorbereitet hatte. Sie wollen sie mitnehmen und ihren Freunden und Bekannten geben, damit sie sich die Ausstellung anschauen werden.

Die Bilder sind als Sonderausstellung bis Weihnachten zu sehen. Die Galerie öffnet am 4., 11. und 18.  Dezember, also jeweils am Adventssonntag, von 14 bis 17 Uhr. Danach sind ab 9.  Januar wieder die Fotografien von Fahrradständern von Ulf Ahrendt in der Galerie zu sehen. Der hatte sich ebenfalls unters Publikum gemischt und sagte, er habe den Platz gern geräumt, als Klaus Vogler ihn fragte, ob er die Bilder vorübergehend abhängen dürfe.