Gedenkstätte Erinnerungen wachhalten

Mit einem speziellen Jubiläumsprogramm ist das 20-jährige Bestehen der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn gefeiert worden.

Von Hartmut Beyer 14.08.2016, 23:01

Marienborn l Heftige Windböen bliesen bei einem Rundgang über die ehemalige Grenzübergangsstelle (GÜSt) den Besuchern ins Gesicht. Sie ließen sich aber nicht davon beeindrucken, denn die Luft war warm. Sie erinnerte deshalb nicht an die frostige Abfertigung, von der DDR-Ein- und Ausreisende immer wieder berichteten. Am Sonnabend begrüßte Susan Baumgartl, Leiterin der Gedenkstätte, unter anderem Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU), den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, sowie als Festredner beim feierlichen Empfang den ungarischen Schriftsteller und Historiker György Dalos.

Die großen runden Spiegel, mit denen man den Lkw auf das Dach sehen konnte, sind inzwischen blind; die Transportbänder, auf denen die Pässe weitergereicht wurden, sind mürbe oder schon weg; Plastikverkleidungen verwittern. Das bereitet der Landesstiftung Gedenkstätten als Trägerin der Marienborner Einrichtung zunehmend Sorge. Der 20. Jahrestag war eine gute Gelegenheit, darauf hinzuweisen, was Leiterin Susan Baumgartl auch nutzte. Gleichzeitig informierte sie darüber, dass an einem langfristigen Entwicklungskonzept gearbeitet würde.

Alle Redner waren sich darin einig, dass es gilt, alles zu unternehmen, um das Erinnern mit dieser Gedenkstätte unbedingt zu erhalten. „Ich glaube, dass wir mit dieser Erinnerung auch an dieser Stelle eine Verpflichtung übernommen haben“, sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff in seinem Grußwort, „und da schaue ich besonders in die Gesichter der Landtagsabgeordneten, weil wir beim Haushaltsaufststellungsverfahren jetzt schon eine besondere Verantwortung haben. Beim Rundgang haben wir uns vorgenommen, dass wir hier besondere Akzente setzen. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir für eine neue Ausstellung sorgen wollen und ein neues Informationszentrum errichten, sondern neben der Erhaltung auch die Ansprache der jungen und nachwachsenden Generation ermöglichen.“

Haseloff sagte weiter, dass von den 170 000 Besuchern jährlich nur 20 000 junge Erwachsene und Schüler hierher kämen – und die vor allem aus den alten Bundesländern seien. „Unsere Schülerinnen und Schüler sind sehr unterrepräsentiert, und das darf nicht so bleiben“, fuhr er fort. Der Ministerpräsident sprach unter anderem von Klassenfahrten, für die man im Haushalt Vorkehrungen treffen sollte. Jeder junge Mensch, der in Sachsen-Anhalt die Schule besucht, sollte am Ende seiner Schulzeit einmal an dieser Gedenkstätte gewesen sein, so Haseloff.

Roland Jahn gab dann zu, bei der Durchfahrt dieses Autobahnabschnittes selbst schon einmal die Erinnerungen ausgeblendet zu haben. „Die letzten Jahre habe ich mich ganz bewusst an dieser Stelle erinnert“, sagte er, „doch neulich war ich über mich selbst erschrocken. Ich raste vorbei und versäumte es, mich zu erinnern an die vergangene Zeit.“

Marienborn sei für DDR-Bürger ein Nichtort gewesen, Marienborn sei ein Ort gewesen, an dem sich das Schicksal von Menschen entscheiden konnte, ein Ort zwischen hoffen und bangen, ein Ort, an dem die Freiheit beginnen oder das Leben enden konnte. Man sah in nachdenkliche und ernste Gesichter der Festgäste als Jahn dann schilderte, wie Fluchten geplant, erfolgreich ausgeführt wurden oder tödlich endeten.

„Wozu erinnern, wie lange noch?“, fragte er und beantwortete die Frage selbst. „Mit der Erinnerung, mit dem Blick in die Vergangenheit haben wir die Chance, unsere Sinne für die Vergangenheit und Zukunft zu schärfen – und eines ist wichtig: die Menschen, besonders die nachgeborenen Generationen sollten die Gelegenheit haben, sich das entsprechende Wissen zu verschaffen und für sich eine Antwort zu finden.“ Die Gedenkstätte leiste dazu seit 20 Jahren einen wichtigen Beitrag.

György Dalos schilderte in seiner Festrede eigene Erfahrungen aus der Zeit des Eisernen Vorhangs, ein Hindernis das sich ihm als europäischer Intellektueller immer wieder in den Weg stellte. Zum Thema „Mauerbau und Grenzbefestigung in der DDR“ sagte er: „Der Nähe zur Bundesrepublik versuchte die DDR durch ein zweifaches Programm entgegenzuwirken. Einerseits forcierte man die Erhöhung des Lebensniveaus, Wohnungsbau und Konsummöglichkeiten, andererseits sollte das stärkste Grenzbefestigungssystem des Kontinents dafür sorgen, dass niemand das Territorium des Landes unkontrolliert verlassen beziehungsweise betreten konnte – die Berliner Mauer war nur ein Teil dieser Struktur. Obwohl durch die Abriegelung Massen von einfachen Bürgern an einer Form von Platzangst, Atemnot, Klaustrophobie und Maueralbträumen litten, war das Grenzregime zu keiner Zeit hermetisch.

Nicht zuletzt unter dem Einfluss der europäischen Entspannung entstand dann ein unauflösbarer Widerspruch des Grenzregimes. Intellektuelle Kritiker, wie Biermann, Brasch oder Rudolf Bahro, oppositionelle Gruppen oder einzelne Protestler sollten wegen ihres Zugangs zu den westlichen Medien möglichst rasch neutralisiert werden. Diesem Zweck diente die Ausweisungs- und Ausbürgerungspraxis, die jedoch den besagten Widerspruch offenbarte. Ein Staat, der seinen Bürgern elementare Bewegungsfreiheiten und ihnen förmlich um die Ecke liegende Reiseziele mit der Waffe in der Hand verweigerte, praktizierte zunehmend den Hinauswurf als Bestrafung oder als Teil von Sanktionen. Während loyale Antragsteller allein für die Absicht, die DDR zu verlassen, mit Verlust ihres Arbeitsplatzes und den Tantalusqualen des ‚Laufzettels‘ gestraft wurden, kamen Autoren, Dissidenten oder Wehrdienstverweigerer auf einen Wink der Staatssicherheitsdienste hin oft gegen ihren erklärten Willen binnen vierundzwanzig Stunden ‚frei‘“.