1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Osterburg
  6. >
  7. Auch Stahlknecht hat keinen Masterplan

Flüchtlinge Auch Stahlknecht hat keinen Masterplan

„Wie weiter in der Flüchtlingspolitik?“ Unter diesem Titel stand ein Forum mit Innenminister, Landrat und Bürgermeister in Osterburg.

Von Jana Henning 24.05.2016, 14:40

Osterburg l Knapp neun Monate nachdem die ersten Familien aus dem Bürgerkriegsland Syrien in der Biesestadt eine Bleibe gefunden haben, leben 114 Schutzsuchende, darunter ein Drittel Afghanen und zwei Drittel Syrer, in der Einheitsgemeinde. „Die ersten Familien haben Osterburg aber leider schon wieder verlassen haben“, bedauerte Schulz, der gerade diese Personengruppe als besonders integrationswillig mit hoher Bleibeperspektive einschätze.

Diesem Aspekt schloss sich Carsten Wulfänger mit Blick auf Landkreisebene zustimmend an, obwohl ihm „alles immer auch oft noch wie ein Blick in die Glaskugel vorkommt“ und man beim Jonglieren mit nackten Zahlen nicht vergessen dürfe, „dahinter stehen Schicksale und Menschen.“ Und zwar aktuell 1700 im Landkreis, wobei der Landrat einen drastischen Rückgang der Ankommenden zu verzeichnen habe. Seien es vor zwei Monaten noch 80 Schutzsuchende pro Woche gewesen, zähle er nun 80 pro Monat. „Uns werden die Flüchtlinge immer Freitagmittag zugewiesen; diese Woche gar keiner und kommende 27“, nannte der Landrat ein weiteres Beispiel zur Verdeutlichung der rückläufigen Tendenz. Die Reaktion darauf ganz klar: „60 Wohnungen mit 400 Plätzen haben wir inzwischen wieder gekündigt“, einen Puffer von 150 Plätzen halte er aber immer zum sofortigen Bezug frei. Und die sollen sich seiner Auffassung nach mittelfristig hauptsächlich entlang der Bahnlinienorte (Seehausen, Osterburg, Goldbeck, Stendal, Tangerhütte) verteilen, denn Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei letztlich ein äußert gut laufender Integrationsmotor. Apropos Motor: „Wir sind ein Einwanderungsland und müssen es bleiben“, der Wohlstand Deutschlands sei schon in naher Zukunft nur noch tragbar, wenn die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibe, sagte Holger Stahlknecht. „Das geht nicht mehr aus eigener Kraft“, fügte der kürzlich wiedergewählte Innenminister hinzu. Denn man müsse sich schlicht fragen: „Woher kommt denn die Ressource Mensch“? Und viel wichtiger sei noch, wohin gehe sie. „Auch andere Nationalstaaten buhlen um Arbeitskräfte“, wenn man sich dann die Etikette Ausländerfeindlichkeit anhefte, dann gute Nacht. Man müsse langfristig denken, „in Perspektiven von 20 Jahren“.

Will heißen: Wenn 2015 das Jahr der Willkommenskultur war – mit all seinen Pannen, dann heiße die Aufgabe 2016 eindeutig Integration. Auf Sachsen-Anhalt bezogen spreche man von etwa 15 000 Menschen. Auch er könne keinen Masterplan vorlegen, niemand sei dazu in der Lage, aber man müsse sich der Realität stellen. „Erfolgreiche Integration dauert sieben Jahre“ und das bedeute definitiv mehr als neun Monate Deutsch lernen, sieht sich Stahlknecht der großen Aufgabe Eingliederung in den Arbeitsmarkt gegenüber stehen.

Derjenigen, die überhaupt in Sachsen-Anhalt bleiben wollen – stoßen die Politiker zum Ende der zweistündigen Gesprächsrunde eine noch relativ junge Debatte zur Wohnortbindung an. Dies solle einen Wegzug aus weniger attraktiven Regionen eindämmen und einer Ghettoisierung in Ballungszentren und einwohnerstarken Bundesländern vorbeugen. Sicher, theoretisch sei dies integrationsförderlich, doch „die Praxis wird uns überholen“, ist sich Wulfänger sicher. 135 Flüchtlinge seien seit Beginn des Jahres weggezogen, mehrere weitere Anträge lägen vor – „die Leute wollen in ihren Kulturkreis“, dies liege in der Natur der Sache. Das könne man keinem verdenken und zu verhindern sei das auch nicht durch Zwangszuweisung eines Lebensraumes, ist sich Wulfänger sicher.

Doch bei aller Integrationsdiskussion auf politischer und gesellschaftlicher Ebene „wie auch hier und heute vermisse ich eines immer mehr“, warf der Bürgermeister der Gemeinde Altmärkische Höhe, Bernd Prange, in der abschließenden offenen Frage-Antwort-Runde ein: „was machen wir als EU, damit der Krieg dort aufhört“? Denn ja, keiner wolle aus seinem Kulturkreis weg. „Also nehmt den Leuten die Waffen dort weg, damit die, die noch dort sind, ihre Heimat nicht mehr verlassen müssen“, gehen seine Worte in lautem Applaus unter. Passender hätte das Schlusswort nicht ausfallen können, wünschte sich Nico Schulz zum Ausklang des Diskussionsforums, dass Pranges Worte Gehör finden mögen und „wir im nächsten Jahr ein anderes Thema diskutieren können.“