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Lesung Zur Heimat erkor‘ ich mir die Liebe

Die Schauspielerin Ingrid Birkholz las im Rahmen der Landesliteraturtage in Osterburg.

Von Astrid Mathis 25.09.2016, 15:56

Osterburg l Mascha Kaléko. Heitere Trösterin, Tochter jüdischer Eltern: eines russischen Vaters, einer österreichischen Mutter. Eine der meistgelesenen Lyrikerin des 20. Jahrhunderts. Ihr liebesverzehrender Ton hat es Ingrid Birkholz zeitlebens angetan. Am Freitagabend widmete die Schauspielerin ihr eine Lesung im evangelischen Gemeindesaal Osterburg. Am Flügel begleitete sie Ronny Kaufhold.

Mascha Kalékos Kindheit - ein Auf-der-Flucht-Sein. Sie war elf, als ihre Eltern 1918 mit ihr in Berlin ankamen. 1933 folgte schon der Durchbruch mit ihrem ersten Lyrikband. „Zur Heimat erkor‘ ich mir die Liebe“, sollte ihr Programm werden. „Gescheit, witzig und so voller Sehnsucht“, so sind ihre Gedichte beschrieben. Emigration, Umzug nach New York. Mit ihrem zweiten Ehemann Chemjo und Sohn Steven hatte sie ihre glücklichsten Jahre, nach deren Tod ihre einsamsten: „Wie soll ich leben, wenn jemand stirbt, der mir nahe ist?“, fragt sie, „fror ich mich durch die finsteren Jahre“, schreibt sie und: „Niemals wieder wird es Frühling sein.“

Und Ingrid Birkholz trägt die Zeilen vor wie keine Zweite, mit Herzblut, mit leisem Lächeln, manchmal auch mit einem Zittern in der Stimme. Wie nah ist sie da dem Publikum!

„Zuhören können ist eine fast vergessene Kunst, auch sich selbst zuhören können,“ zitiert die Schauspielerin einen ihrer schönsten Aphorismen.

Auch Kalékos Exil-Lyrik gibt Birkholz Raum, ist doch die Dichterin „Judenkind“, wie sie von sich sagt, vielmehr, so nennt man sie: „Sie sprechen von mir nur leise, ich bleibe der Fremde im Dorf./ Er wollte nur sein, nicht scheinen, sie warfen nach ihm mit Steinen, er baute daraus sein Haus.“ Kalékos Erfahrung ist: „Küsten blühn für andere.“ Es wirft sie nicht um, die Dichterin bleibt offenherzig und rät ihrem Kind: „Wer du auch seist, sei es ganz!/ Halte dein Herz an der Leine, mein Sohn! Ganz ehrlich, das meine lief mir noch immer davon.“

Hiddensee, das ist die gemeinsame Liebe von Schauspielerin und Dichterin. Wie groß war die Begeisterung von Ingrid Birkholz, als sie dort eines Tages eine Bank „Für Mascha Kaléko“ entdeckte, mit einem Gedicht, das 1930/31 entstand, als sie mit Joachim Ringelnatz um die Wette reimte. Darin heißt es: „Man braucht nur eine Insel allein im weiten Meer. Man braucht nur einen Menschen, den aber braucht man sehr.“

Ihre Gedichte stimmen immer wieder nachdenklich. Oft scheinen sie wie ein Kanon, weil sie einem so vertraut sind. „Wir haben keine andre Zeit als diese“ und „unser Leben ist ein Noch-nicht-Sterben“ zum Beispiel. Ingrid Birkholz fängt die Zuhörer wieder auf, trägt singend und mitreißend „Ich freue mich“ und „Jugendliebe außer Dienst“ vor, lässt sie schmunzeln, wenn sie von Kalékos Lesereise nach Berlin im Jahre 1956 spricht, wo man die Dichterin „bechampagnert“.

Zum Schluss wird es doch noch einmal ernst. In ihrer „Elegie für Steven“ sagt sie: „Ich setze dir ein Mal aus purem Schweigen.“ Ihr „Rezept“ ist: „Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten!/ Sage nicht mein! Es ist alles geliehn./ Richte dich ein und halte den Koffer bereit!/ Erwarte nichts! Zerreiß deine Pläne! Sei klug!“ Ihr schönstes Gedicht? Sie schrieb es nicht. Aus den tiefsten Tiefen stieg es. Sie schwieg es.