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Rückblick Für immer ein stiller Tag

Den 13. Februar verbringt Marianne Nahrendorf still. Die Osterburgerin erlebte am 13. Februar 1945 die Luftangriffe auf Dresden mit.

Von Nico Maß 13.02.2018, 00:01

Osterburg l Die Sirene, die am 13. Februar 1945 um 21.45 Uhr in Dresden vor den heranfliegenden Bombern warnt, ist für die damals neunjährige Marianne kein neuer Ton. Schon in ihrer Heimatstadt Magdeburg hat sie ihn sehr oft gehört. Zuletzt nur ein paar Wochen zuvor, am 16. Januar, als der Alarmton einen englischen Bomberverband ankündigt.

Dieser Angriff, „der gar nicht mal lange dauerte“, macht die Magdeburger Innenstadt dem Erdboden gleich. Und wirft Marianne Nahrendorfs Welt aus den gewohnten Fugen. Sie übersteht den Luftangriff zwar unbeschadet im Schutzraum. Aber zwei ihrer drei Brüder sterben. „Und nicht lange darauf wussten meine Eltern, mein Bruder und ich, dass wir bei dieser Bombardierung alle unsere Angehörigen verloren haben“. Weil auch das Wohnhaus in Trümmern liegt und den materiellen Besitz der Familie unter sich begraben hat, „suchten wir Zuflucht bei unserer letzten noch verbliebenen Verwandten. Das war eine Tante, die in Dresden lebte,“ erzählt Marianne Nahrendorf.

Am 13. Februar, die Familie ist erst wenige Tage in Dresden, holt sie der Luftkrieg wieder ein. Um 21.45 Uhr ertönt der Alarm. Das Mädchen und seine Angehörigen schaffen es nicht mehr rechtzeitig vor den Bomben aus dem Haus. Das nahe am Bahnhof gelegene Gebäude wird getroffen und steht in Flammen. „Wir liefen aus dem Haus, um einen Luftschutzraum zu finden“, erinnert sich die Seniorin. „Der Himmel war taghell von der Feuersbrunst, die Bomben verursachten ein unvorstellbares Dröhnen. Um uns herum waren Schreie zu hören, stöhnten Menschen. Wir liefen über brennendes Straßenpflaster, an dem die Schuhsohlen kleben blieben und einfach so abrissen. Also rannten wir barfuß weiter.“

Bei der Flucht durch ein unerträglich heißes Inferno verbrennen die Haare des Mädchens, „endlich, zwei Häuser weiter fanden wir dann aber einen Unterschlupf.“ Doch nur kurze Zeit später stürzt das Haus über ihnen mit einem fürchterlichen Krachen zusammen, Trümmer versperren den Ausgang. „Viele weinten und jammerten. Nach einiger Zeit drang Wasser in den Keller ein. Zum Glück nicht so viel, aber für unsere verbrannten Füße war das eine Erleichterung.“

Die Menschen harren in dem verschütteten Keller aus, während eine zweite Welle aus britischen und kanadischen Bombern auf die Stadt zufliegt. Bei diesem Angriff am 14. Februar ab 1.23 Uhr wird auch die Technik der ausgerückten Feuerschutzpolizei zerstört, Löschaktionen bleiben danach aus. Die vielen Einzelfeuer in der Stadt vereinten sich zu einem orkanartigen Feuersturm, der ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legt. Weitere Schäden richten Tagesangriffe an, die US-amerikanische Verbände am 14. und 15. Februar fliegen. Marianne Nahrendorf übersteht all das im verschütteten Keller, „erst nach etwa zwei Tagen wurden wir ausgebuddelt. Ich kam sofort ins Krankenhaus. Mein ganzer Körper war vereitert, ich konnte nur noch ganz schwach sehen“, beschreibt die Seniorin. Ein ganzes Jahr bleibt sie im Krankenhaus. „Bei der Entlassung war ich noch so schwach, dass mich meine Mutter mit einem Kindersportwagen abholen musste. Ich lernte danach völlig neu laufen.“

Mit großer Dankbarkeit erinnert sich Marianne Nahrendorf an ihre Eltern. Daran, wie die Mutter aus ihrem „langen, blonden Haaren eine erste Perücke für mich anfertigte. Oder wie mein Vater aufs Land ging, um für uns etwas Essbares zu beschaffen.“ Die Eltern hätten sich über alle Schicksalsschläge hinweg ihren Lebensmut bewahrt. Ihre Mutter legt ihr ans Herz, materiellem Besitz keinen zu großen Wert beizumessen. „Wenn ihr gesund seid, lernt, lernt, lernt. Was ihr im Kopf habt, kann euch keiner wegnehmen.“ Marianne Nahrendorf hat diesen Rat beherzigt. So eignet sich die Diplompädagogin und spätere Wirtschaftswissenschaftlerin im Berufsleben gleich mehrere Qualifikationen an, als sportlichen Ausgleich betreibt sie Karate.

Die Arbeit als Erzieherin führt sie in die Altmark. „Ich wurde für ein Jahr nach Osterburg verpflichtet.“ Dort lernt sie Wilfried Nahrendorf kennen, der sie an die Biesestadt bindet. 1954 verlobt sich das Paar, 1956 folgt die Hochzeit. Zwei Söhne komplettieren die Familie, die 1960 eine damals nagelneue Wohnung am Rosa-Luxemburg-Weg im Altneubaugebiet bezieht. In diesen vier Wänden lebt Marianne Nahrendorf auch heute noch und erinnert sich gern an die vielen Reisen, die sie unter anderem in die damalige Sowjetunion oder später bis nach China oder Amerika führten. „Ich war in ganz vielen Ländern zu Gast und habe auch Kreuzfahrten unternommen. Wenn die Gesundheit mitspielt, kommt die nächste Reise ganz bestimmt“, erzählt die lebensfrohe Seniorin voller Vorfreude. Und doch: Ruft die Sirene in Osterburg Feuerwehrleute zum Einsatz, „steigen in mir die alten Ängste auf.

Nachts muss auch immer eine Lampe brennen, wenigstens eine kleine“, sagt Marianne Nahrendorf, die ihr Leben lang und bis heute eine Perücke trägt. Für die Osterburgerin sind der 16. Januar und der 13. Februar stets stille Tage. „Vielleicht lese ich ein bisschen“, die Erinnerung an die Bombennächte überwiegt. Und der Wunsch, die Menschen würden Lehren daraus ziehen. „Nie wieder Krieg, diese Schlussfolgerung war nicht nur damals wichtig. Sie ist es ganz gewiss auch heute noch!“