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Sozialstudie Extreme Ansichten bald gesellschaftsfähig?

Die Initiative "Seehausen links" widmete sich der Studie "Die enthemmte Mitte".

Von Ralf Franke 10.11.2016, 17:00

Seehausen l Der 9. November ist ein besonderes Datum in der deutschen Geschichte. Der Tag steht für den Mauerfall, aber auch für die Reichspogromnacht, als vor 78 Jahren Synagogen in vielen Städten brannten und die Judenverfolgung einen vorläufigen Höhepunkt erlebte. Weil Fremdenfeindlichkeit und Hass gegen Minderheiten derzeit offenbar eine Renaissance erleben, widmete die Initiative „Seehausen links“ dem Thema am Dienstagabend eine Diskussionsveranstaltung im „Bierbaum“ der Gaststätte Henkel.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Studie „Die enthemmte Mitte“ des Kom­petenzzentrums für Rechtsextremismus und Demokratieforschung der Uni Leipzig. Eine Arbeitsgruppe analysiert im Rahmen einer repräsentativen Langzeitbefragung seit 2002 die politischen Einstellungen im Land, um die Ergebnisse dann alle zwei Jahre zu veröffentlichen. Der Sozialwissenschaftler Horst Kahrs stellte die neueste Studie vor, die von der Rosa-Luxemburg-, der Heinrich-Böll- und der Otto-Brenner-Stiftung unterstützt wird und auf deren Internetseiten Details ebenso abrufbar sind wie bei der Uni Leipzig. Letzteres ist auch der Grund dafür, dass sich der Berliner ausgewählten Schwerpunkten widmete, aber mit seinem gut einstündigen Referat trotzdem für reichlich Gesprächsstoff unter den rund 60 Gästen sorgte, die der Einladung gefolgt waren.

Die jüngste Erhebung datiert auf das Frühjahr 2016. Nach ihren Auffassungen wurden wieder rund 1500 West- und 500 Ostdeutsche im Alter zwischen 14 und 93 Jahren befragt. Dass extreme und nationalistische Ansichten auf dem Vormarsch sind und offenbar immer gesellschaftsfähiger werden, konnte kaum überraschen. Wohl aber Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildungsniveau, sozialer Status oder Parteizugehörigkeit und so weiter im Zusammenhang mit der persönlichen Meinungsbildung.

So werden zum Beispiel vor allem in den neuen Bundesländern immer mehr Stimmen laut, die eine Diktatur für die bessere Staatsform halten und nach einem Führer rufen, der mit starker Hand regiert.

Gut die Hälfte aller Befragten fühlen sich durch die vielen Muslime als Fremde im eigenen Land. Über 80 Prozent meinen, dass der Staat zu großzügig bei der Bewertung von Asylanträgen ist. Rund 40 Prozent fühlen sich durch Homosexuelle abgestoßen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Kahrs wies aber auch darauf hin, dass es nicht mehr Menschen mit rechtem oder fremdenfeindlichen Ansichten gibt als früher. Nur würden diese jetzt immer öfter den Sprung von der Einstellung zum entsprechenden Verhalten wagen. Was unter anderem auch den Erfolg der AfD erkläre. So hätte der Anteil der AfD-Wähler – für den Fall eines Urnengang befragt – 2014 laut Befragung bei 6,3 Prozent aller Stimmberechtigten gelegen. In diesem Jahr musste die Zahl bereits auf 34,9 Prozent korrigiert werden. Was aber nicht automatisch für das Abschneiden der Partei bei den Bundestagswahlen 2017 stehe.

Überhaupt mahnte der Sozialwissenschaftler zur Vorsicht beim Umgang mit den puren Zahlen, die bei allen repräsentativen Anstrengungen zum Beispiel nicht immer die besonderen Umstände zum Zeitpunkt der Befragung widerspiegeln. Nichtsdestotrotz war der Abend auch ein Stück Weckruf, der allerdings die Falschen traf. Von den Gästen im Saal ist nicht zu befürchten, dass sie nationalistisches Gedankengut pflegen.