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Umzug "Schukran" heißt Dankeschön

Es fehlt nur noch eine passende Wohnung. Ist sie gefunden, verlassen mit Familie Dablan Alanze die letzten Syrer das Wischedorf Iden.

Von Karina Hoppe 27.12.2016, 07:00

Iden l Wie soll das bloß gehen? Muslime im Idener Wohnblock. Simone Fitze-Pätsch macht keinen Hehl daraus, dass sie skeptisch ob der Nachricht über die Ankunft von syrischen Flüchtlingen war. „Wissen Sie, ich bin ja Christin.“ So blickte die Idenerin kürzlich zurück. In ihrer Wohnung in einem Wohnblock der Lindenstraße. Neben ihr auf dem Sessel ihr Ehemann Torsten Pätsch und auf der Couch eine ganze syrische Familie. Flüchtlinge, von denen Simone Fitze-Pätsch nicht nur die Namen kennt. Es hat sich viel verändert in den vergangenen zehn Monaten.

Familie Fitze-Pätsch, zu der auch der in Greifswald studierende Sohn Jan gehört, wohnt im Hauseingang ganz unten. Die Wohnung obendrüber stand drei Jahre leer, bis die Flüchtlingskrise kam und der Landkreis sie anmietete. Das erste, was Simone Fitze-Pätsch mitbekam, war das Weinen eines Kindes. Das von der kleinen Lamar, sie hatte sich in den dunklen Keller verirrt, aber ihre Schwester Alyamama kam zur Hilfe.

Aber dann, wie begegnet man sich? „Das kommt automatisch.“ Zum Beispiel dadurch, dass die Mülltonnen für die Flüchtlingsfamilie plötzlich direkt unterm Küchenfenster von Familie Fitze-Pätsch standen, was selbige überhaupt nicht amüsierte. „Das geht so gar nicht, das hab ich gleich gesagt“, erinnert sich Simone Fitze-Pätsch. Die es dabei nicht bewenden ließ, sondern den Neuankömmlingen zeigte, wo die Tonnen stehen und wie das mit der deutschen Mülltrennung geht. Dann anderes Mal gab es eine Havarie: Wasser in der Fitze-Wohnung, „und wir mussten auch über uns klopfen“. Lachend erinnert sich Simone Fitze-Pätsch an ihre radebrechenen englischen Worte „Havarie, we must in your bathroom“. Dass die Familie kein Englisch versteht, wusste sie da noch nicht.

Bald half Torsten Pätsch den Flüchtlingen beim Fahrradreparieren, die syrischen Kinder nahmen Harke und Hacke zur Hand, man grillte gemeinsam. Als es eine Tomatenschwämme gab, erhielten auch die Syrer welche – „und Kosar hat gleich was Tolles daraus gekocht“. Die kleine Lamar verliebte sich in Sohn Jan, und wollte an den Fingern abgezählt immer genau wissen, wieviel Mal sie noch schlafen muss, bis er aus Greifswald wiederkommt.

„Fuad, wie geht Ramadan?“ Auch diese Frage wurde eines Tages beantwortet: Von 2.30 Uhr bis 21.30 Uhr darf nicht gegessen und nicht getrunken werden. „Wir haben gemerkt, wie die Stimmung stieg, als der Ramadan zu Ende ging“, erinnert sich Torsten Pätsch und grinst. Aber gestaunt hätten er und seine Frau schon, was da nachts alles so aufgetischt wird.

„Da, wo Familie Dablan Alanze lebte, nahe Damaskus, ist nur noch Schutt und Asche. Vater Fuad hat Fotos auf seinem Handy und auch ein Video von der gefährlichen Bootsüberfahrt von der Türkei nach Griechenland. Sechs Mal drei Meter für 70 Personen, zum Glück ist nichts passiert. Fuad Dablan Alanze hat vor der Flucht Aggregate für Kühlschränke gefertigt, seine Frau ist Schneiderin. Karin Diebel aus Sandauerholz, die als Patin der Familie in vielen Lebenslagen hilft, hat ihr eine Nähmaschine vorbeigebracht und Kosar Dablan Alanze freut sich, dass sie was tun kann.

Die Familie hofft nun auf einen auch beruflichen Neuanfang in Stendal. „Ich verstehe immer noch nicht, wieso der Landkreis hier Wohnungen angemietet hat“, sagt Simone Fitze-Pätsch. Die fehlende Mobilität der Syrer sei ein Riesenproblem gewesen. Vater Fuad fuhr sonstwie krank mit dem Fahrrad nach Osterburg zum Arzt. „Aber man selbst würde ja auch nicht ständig um Hilfe bitten wollen.“ Fitzes wurden darauf aufmerksam und halfen viel von sich aus. Im selben Hauseingang zu wohnen, ergebe automatisch eine gewisse Nähe. Und man kann etwas lernen: „Afuan“ heißt Bitte und „schukran“ Danke.