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Zweite Chance „Schornsteinfrau“ auf Tour

Mit 32 noch einmal eine neue Lehre beginnen: Dazu hat sich Verena Schulze vor zwei Jahren entschieden. Sie wird Schornsteinfegerin.

Von Anke Pelczarski 18.07.2015, 03:00

Kuhfelde/Apenburg l „Nach der Schule hätte ich die Anforderungen, die während der Ausbildung zu meistern sind, nicht geschafft“, gesteht Verena Schulze. Dabei würde es viel um Mathematik, Physik und Chemie gehen. Und es sei wahnsinnig viel zu lernen.

Die heute 34-Jährige ist gelernte Restaurantfachkraft, aber auch alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Und da passten die Arbeitszeiten in Gaststätten nicht so recht mit dem Familienalltag zusammen. Also entschied sie sich, noch einmal neu durchzustarten.

„Und da ich familiär etwas vorbelastet bin mit der schwarzen Zunft, dachte ich mir, jetzt probierst du es einfach“, plaudert die junge Frau. Mit „familiär vorbelastet“ meint sie ihren Vater. Denn Heinz-Hermann Wille ist Schornsteinfegermeister. In seiner Firma hatte Verena Schulze schon einmal als Praktikantin reingeschnuppert und „sich nicht so dumm angestellt, wie mein Geselle befand“, merkt er augenzwinkernd an.

Als sich seine Tochter dann entschieden hat, die Ausbildung zur Schornsteinfegerin zu starten, „habe ich mich sehr gefreut“, sagt Heinz-Hermann Wille während der Frühstückspause in Kuhfelde. Sie habe ihre zweite Chance gepackt und sei lernbegierig. Und auch der Umgang mit Menschen liege seiner Tochter: Sie sei höflich und zuvorkommend.

„Ich wollte immer mit Menschen und Tieren arbeiten“, schildert Verena Schulze und fügt hinzu: „Jetzt habe ich beides.“ Die Menschen sowieso, bei denen Schornsteine gekehrt, Abgase von Heizungsanlagen gemessen oder Geräte überprüft werden müssen. Aber da seien auch deren Haustiere, fügt sie erklärend hinzu. „Viele haben mir gesagt, dass ihre Hunde Angst vorm Schornsteinfeger haben. Bei mir sind die Vierbeiner ganz friedlich“, freut sie sich.

Die Zwischenprüfung nach zwei von drei Ausbildungsjahren hat die 34-Jährige mit einem Notendurchschnitt von 1,1 abgeschlossen. Was sagen ihre Kinder dazu? „Streber“, antwortet die junge Frau und lacht. Allerdings, so ein bisschen Wettbewerb sei schon entfacht. „Kimberley hat ihr Zeugnis verbessert. Sie liebäugelt auch damit, Schornsteinfegerin zu werden“, berichtet sie über ihre 11-jährige Tochter. Nicklas, mit 14 Jahren der Große, habe da eher andere Pläne: Er will Automechatroniker zu werden. „Mein Beruf ist ihm zu dreckig“, erklärt die Mutter.

Die 34-Jährige wird manchmal nach dem Fegen gefragt, ob sie ihre Arbeit überhaupt erledigt hat. „Ich fege sehr vorsichtig und langsam. Schließlich weiß ich als Frau, was es heißt, hinterher saubermachen zu müssen“, plaudert sie.

Die Arbeit als „Essenkehrer“ sei körperlich sehr anstrengend. Zum einen sei der Aufstieg nicht immer einfach. „Manchmal soll man sich durch eine Dachluke zwängen, wo der Platz eigentlich gar nicht reicht. Da habe ich schon um eine Leiter gebeten, um auf andere Weise zum Schornstein zu kommen“, beschreibt sie. Zudem seien die mitzuführenden Utensilien nicht ganz leicht. Da kommen schon einige Kilogramm zusammen. „Aber oben, da genieße ich einfach den Ausblick, erwische mich manchmal, wie ich einen Moment vor mich hin träume, weil ich so fasziniert bin“, erzählt Verena Schulze.

Und da seien die netten Gespräche mit den Kunden. Ein gut 90-Jähriger habe ihr beispielsweise mit auf den Weg gegeben, ja nicht herunterzufallen. „,Keine Bange, Sie werden mich bestimmt auffangen‘, habe ich da entgegnet“, nennt sie ein Beispiel. Der Senior habe daraufhin gemeint, dass er dann ganz schön in die Knie gehen werde. Beide mussten herzlich lachen. Gern erinnert sie sich auch an die Omi, die sie als „Schornsteinfrau“ bezeichnete.

Die Apenburgerin ist während ihrer Ausbildung mit ihrem Vater oder dem angestellten Gesellen unterwegs. „Sie muss alles allein machen, aber wir haben die Aufsichtspflicht“, erklärt Heinz-Hermann Wille. Denn bei den Prüfungen seien auch alle Aufgaben vom Auszubildenden zu erfüllen. Vorrangig seien Kehrarbeiten zu absolvieren und Feuerstättenschauen.

Apropos Prüfungen: Das sorgte bei der Anmeldung schon für etwas Erstaunen, als der Meister ein Doppelzimmer für sich und seinen weiblichen Azubi bestellte. „Bis ich dann die Frau am anderen Ende des Telefons aufgeklärt habe, dass es meine Tochter ist“, sagte er.

Verena Schulze ist froh, dass die Berufsschule in Eilenburg ist und sie dort Zeit zum Lernen hat. „Meine Eltern kümmern sich derweil um die Kinder. Da weiß ich, dass sie gut versorgt sind. Und ich kann mich in Ruhe auf meine Ausbildung konzentrieren“, ist sie für die Unterstützung sehr dankbar.

Wenn sie in einem Jahr ausgelernt hat, dann hofft sie, auch in dem Beruf arbeiten zu können. „Für die Familie ist der Job optimal: Ich gehe früh mit den Kindern aus dem Haus und habe am späteren Nachmittag dann viel Zeit für sie“, sagt Verena Schulze.