1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Engagiertes Plädoyer für das Kulturgut Buch

Jubiläum Engagiertes Plädoyer für das Kulturgut Buch

Friedrich Schorlemmer, Bürgerrechtler und Friedenspfarrer, hielt den Festvortrag aus Anlass des 20. Jubiläums der Bibliothek in Salzwedel.

Von Arno Zähringer 13.05.2016, 21:00

Salzwedel l Es gibt Feierstunden, die den üblichen Rahmen eines Geburtstages sprengen: Ein Beispiel dafür war das Fest zum 20. Bestehen der Stadt- und Kreisbibliothek in der Freydanck‘schen Villa in Salzwedel. Erheblich dazu beigetragen hat Friedrich Schorlemmer, Bürgerrechtler und Friedenspfarrer. Das Ambiente unterm Dach der Freydanck‘schen Villa stimmte. Von den gediegenen Dachbalken und Holzdecken schien eine beruhigende und heimelige Atmosphäre auszustrahlen, dem Anlass entsprechend. Karl-Heinz Reck, Kultusminister im Kabinett von Reinhard Höppner von 1994 bis 1998, war beim Einzug der Bibliothek in die Villa vor 20 Jahren dabei – damals noch in Amt und Würden. Ihm oblag es am Mittwoch, die Festveranstaltung 20 Jahre Bibliothek in der Freydanck‘schen Villa zu moderieren – eine Aufgabe, die er zur Unterhaltung der geladenen Gäste souverän meisterte.

Landrat Michael Ziche betonte in seinem Grußwort, dass mit der Bibliothek eine „besondere Kultureinrichtung geschaffen wurde, die Unterstützung von Land und Kreis erhält“. Die Bibliothek sei ein Kulturgut und ein wichtiger Teil der kulturellen Infrastruktur, auf die man stolz sein könne. Deshalb stehe der Altmarkkreis zu seiner Verantwortung und finanziere die Einrichtung jährlich mit 190 000 Euro.

Als ein „echtes Schmuckstück“ bezeichnete Salzwedels Bürgermeisterin Sabine Blümel die Bibliothek. Sie lobte zudem den Bücherbus, der sich in den verschiedenen Orten zu „einem eigenständigen Treffpunkt entwickelt hat“. Wie ganz selbstverständlich sei auch das Internet in die Bücherei eingezogen – als Beispiel dafür nannte sie die Online-Ausleihe.

Für Gabriele Herrmann, Geschäftsführende Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen-Anhalt im Deutschen Bibliotheksverband, ist die Salzwedeler Einrichtung „beispielhaft und engagiert“. Das Team um Leiterin Bettina Mühe habe seine Leistungsfähigkeit mit Bravour unter Beweis gestellt. Deshalb wünschte sie auch weiterhin gute Arbeit bei gesicherten Rahmenbedingungen.

Friedrich Schorlemmer vorzustellen, das wäre so, wie Eulen nach Athen zu tragen. Trotzdem ließ es sich Karl-Heinz Reck nicht nehmen, ein paar Daten des „demokratischen Sozialisten, der die Farbe rot liebt, den Gästen näherzubringen. Er erwähnte unter anderem, dass Schorlemmer 1993 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Richard von Weizsäcker hielt damals die Laudatio.

Seinen charismatischen Vortrag zum Thema „Wie wir durch Bücher unser Leben lesen lernen“ begann Schorlemmer mit einem Lob an die Ehrenbürgerin der Stadt Salzwedel, Helga Weyhe. Er nannte die Buchhändlerin eine „jahrhundertlange Vermittlerin des Buches“. Schorlemmer zitierte zu Beginn Passagen aus „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ von Theodor Fontane. Und er hatte auch ein Zitat Franz Kafkas parat, des unerbittlichen Warners: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

Seine Liebe zum Buch manifestierte Schorlemmer auch in der Aussage, dass man junge Menschen mit Qualität begeistern kann. „Ich will nicht aufhören, das zu glauben.“ In seiner mit zahlreichen literarischen Vergleichen gespickte Rede ging der 71-Jährige auch auf das aktuelle politische Geschehen ein (Finanzkrise, Erdogan oder Trump) – wenn auch nur am Rande. Doch gerade diese Schlenker waren es, die seinen Vortrag für die Gäste so greifbar und interessant machten. Sein Appell, „weg mit dem Handy oder I-Phone und wieder hin zum Buch“ hätte es verdient gehabt, von einem Publikum gehört zu werden, das das Buch als einen Teil des Lebens noch nicht erkannt oder von Menschen, die noch nicht von der Sprachkraft Thomas Manns (Buddenbrooks) erfahren haben. Der starke Beifall am Ende zeigte, dass er mit seinem Plädoyer für das Buch und das Lesen richtig lag.

Die Bibliothek habe in 20 Jahren mit den Veränderungen immer Schritt halten können, sagte Bettina Mühe in ihrer Nachlese. Sie dankte ihrem Team, ohne das dies nicht möglich gewesen wäre. Und sie rief den Gästen zu: „Kommen Sie wieder. Es lohnt sich bei uns.“