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Hilfseinsatz An der Küste Afrikas Zähne gezogen

Auf einem Schiff im Atlantik verbrachte die Bismarkerin Daniela Nicklaus ihren Urlaub - im Einsatz für die Hilfsorganisation "Mercy Ships".

Von Volker Langner 23.12.2016, 02:00

Cotonou/Bismark l Die Sonne treibt die Temperatur an diesem Novembertag schon Richtung 30-Grad-Marke, als die Jeeps am frühen Vormittag die Bungalows in Cotonou erreichen. Davor drängen sich Frauen, Männer, Kinder. Manche hatten in der Nacht einen kilometerlangen Marsch in die Hafenstadt im afrikanischen Benin angetreten. Sie warten auf Daniela Nicklaus, die aus Bismark stammt, und ihre Kollegen aus vieler Herren Länder. Die eint Dreierlei: Sie sind Zahnärzte beziehungsweise zahnmedizinische Assistenten, sie möchten den Ärmsten der Armen helfen, und sie sind hier in Afrika für die Hilfsorganisation „Mercy Ships“ tätig.

Ihre Patienten an diesem Tag warten schon. Ein Zahnarztbesuch hat für sie so gar nichts von Normalität. Ein Zahnmediziner gilt im Benin durchaus als Rarität, eine Behandlung ist für viele in dem bitterarmen Land nicht erschwinglich. „Die Behandlung ist für viele eine Frage des Lebens, des Überlebens“, macht Daniela Nicklaus deutlich. Die Afrikaner kämen in der Regel nicht, weil da mal ein Zahn etwas puckert, berichtet sie weiter.

Oft handelt es sich um Entzündungen, die den Kiefern angegriffen und in deren Folge sich Zysten und Tumore gebildet haben. Diese breiten sich mitunter im Gesicht aus. „Wir haben Zähne am laufenden Band gezogen und nicht wenige Unterkieferteilamputationen vornehmen müssen“, blickt Daniela Nicklaus auf ihren vierwöchigen Einsatz für „Mercy Ships“ im Benin zurück.

In ihrem Jahresurlaub von Mitte Oktober bis Mitte November arbeitete die Zahnarzthelferin in Afrika. Unentgeltlich. „So etwas wollte ich schon immer mal machen“, sagt sie. Um Menschen Gutes zu tun, jenen, die besonders hilfebedürftig sind. Doch das war nur ein Grund, gesteht Daniela Nicklaus ein und erzählt freimütig: „Ich liebe die Chirurgie, finde Wunden interessant. Ich wollte ausgeprägte Krankheitsbilder sehen und mir damit den Ursprung meines Berufs vor Augen führen.“

Zudem versprach der Einsatz für „Mercy Ships“ einen zusätzlichen Reiz. Die rund 400 ehrenamtlichen Helfer aus rund 40 Nationen leben auf einem Schiff, das im Hafen von Cotonou vor Anker liegt. Und teilweise arbeiten sie auch darauf. Die „Africa Mercy“, eine ehemalige Eisenbahnfähre, beherbergt nämlich fünf Operationsräume, 82 Krankenbetten, einen Computertomographen, Röntgengeräte. An Bord werden vornehmlich orthopädische und gynäkologische Eingriffe vorgenommen. Die zahnmedizinische Behandlung hingegen findet an Land statt.

Zwei Jahre hatte Daniela Nicklaus, die in Bismark aufgewachsen ist, in Hannover ihre Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten absolvierte und seit vier Jahren in einer Praxis in Berlin-Pankow arbeitet, ihren humanitären Auslandseinsatz geplant. Zum einen musste sie dafür Geld zur Seite legen, zum anderen wartete ein „Riesenbewerbungsverfahren“, wie sie es beschreibt. Das reichte von der Beantragung des Visums bis zu einer rund 50-seitigen Bewerbung auf Englisch, die unter anderem Einschätzungen ihrer Fachkompetenz enthielten.

Vor gut einem Jahr gab es das Okay. Da konnte die Altmärkerin konkret planen, beispielsweise Flüge buchen und sich die notwendigen Impfungen holen. Bezahlt hat sie das alles – auch die Unterkunft auf dem Hospitalschiff – aus eigener Tasche. „Einen gebrauchten Kleinwagen habe ich dabei wohl gelassen“, überschlägt sie und sagt dann sehr bestimmt: „Aber der Einsatz in Benin war jeden Cent wert.“

Daniela Nicklaus spricht von einer „tollen Erfahrung“ und von großer Dankbarkeit der Einheimischen. „Sie waren nicht euphorisch, aber die Dankbarkeit hat aus ihren Augen und aus den Gesten gesprochen.“ Mit einem Schmunzeln erzählt sie Anekdoten. So machten viele ihrer Patienten nicht nur zum ersten Mal Bekanntschaft mit einem Zahnarzt, sondern auch mit einem Zahnarztstuhl. „Immer wieder kam es vor, dass sie sich auf die Fußablage gesetzt und den Kopf auf die Sitzfläche gelegt haben“, berichtet sie.

Aber im harten Arbeitsalltag erlebte sie auch tragische Momente. Eingebrannt hat sich die Begegnung mit einem etwa 40-jährigen Mann, bei dem sich ein tödlicher Tumor im Oberkiefer ausgebreitet hatte. „Eine OP war nicht mehr möglich. Wir mussten ihn wegschicken, konnten ihm lediglich Paracetamol geben, um die Schmerzen zu lindern“, schaut Daniela Nicklaus ratlos drein und sagt mit leiser Stimme: „Man kommt, um zu helfen, und ist dann auf einmal völlig hilflos.“

Der Dienst im Zahnarzt-Bungalow endete für die Bismarkerin und ihre Kollegen in der Regel gegen 17 Uhr. Dann ging es zurück auf die „Africa Mercy“. „Ich hatte zwar das Glück, in einer Doppelkabine zu wohnen – es gab auch Kabinen mit zehn Betten –, aber Privatsphäre gibt es nicht wirklich. Man verbringt den ganzen Tag mit den gleichen Leuten“, erzählt Daniela Nicklaus. Nach dem Abendessen habe man noch auf ein Bier zusammen gesessen und über die Arbeit gesprochen, die in Afrika und die in den Heimatländern der Helfer.

An Bord gab es zwar einen Pool, aber spannender waren für Daniela Nicklaus die Erkundungen im Lande, die sie an einigen Wochenenden unternahm. Gut gesichert, wie sie sagt. „Allein übers Hafengelände durften wir nicht, schon gar nicht ich als blonde, weiße Frau“, berichtet sie. Brisante Situationen hat sie zwar nicht erlebt, erinnert sich aber: „Ich wurde immer mal wieder angefasst, auch mal ins Haar. Das war schon gewöhnungsbedürftig, auch wenn ich dann schnell mitbekommen habe, dass das überhaupt nicht böse gemeint war. Die Leute waren einfach nur neugierig, wie sich weiße Haut anfühlt und blondes Haar.“

Während der Ausflüge, die vom Hilfswerk organisiert wurden und nur in Gruppen stattfanden, lernte Daniela Nicklaus einige Märkte kennen. Früchte, Reis, Fisch, Gewürze wurden dort gehandelt. Mit Tourismus allerdings, so die junge Frau, hatte das nichts zu tun. „Anfangs habe ich nach Ansichtskarten Ausschau gehalten, die ich verschicken wollte. Aber so etwas gibt es dort nicht.“

Besonders beeindruckt hat sie der Besuch einer Schule. „Wasser und Strom gab es dort nicht. Bei uns hier in Deutschland würde so ein Haus abgerissen werden. Aber die Kinder waren fröhlich.“ Die Altmärkerin und ihre Mitstreiter hatten Hefte und Buntstifte mitgebracht und den Kindern geschenkt. Nachdenklich meint sie: „Wir haben das für ’nen Appel und ’n Ei gekauft, für die Kinder war das aber wohl ein Vermögen.“ Mit einem Tanz haben sich die Schüler spontan bedankt.

„Die Leute dort in Afrika haben nichts, sind aber dennoch zufrieden und nett“, hat sie während ihres vierwöchigen Einsatzes festgestellt. Das ist auch ein Grund, der sie sagen lässt: „Ich würde es jederzeit wieder machen.“ Aus dem Konjunktiv ist bereits ein Entschluss geworden. Mit einer mobilen Zahnstation will die 26-Jährige in abgelegenen Bergregionen Kenias Einheimischen helfen. Vielleicht schon im kommenden Jahr, verrät sie.

Allerdings macht sie auch klar: „Das muss finanziert werden.“ Und dazu hat sie einen Plan: eine Spendenaktion im Internet. „Ich werde einen Blog schalten, um Spenden bitten. Leute können dann in meine Kraft, in meine Hände und mein Können spenden“, kündigt sie an und verspricht, dass die Spender via Internet nachvollziehen können, was sie macht und erlebt.

Aber erst einmal hat sie der Berliner Alltag mit der Arbeit in der Zahnarztpraxis wieder. Alle sechs bis acht Wochen schaut sie in Bismark vorbei. Für häufigere Besuche fehlt Daniela Nicklaus, die gern Gitarre spielt und dazu auch singt – jüngst sogar öffentlich auf dem Tangermünder Weihnachtsmarkt – zu ihrem Leidwesen die Zeit. Aber täglich telefoniere sie mit zu Hause, denn in Bismark fühlt sie sich verwurzelt. Und so sagt Daniela Nicklaus in Anlehnung eines Songs der Entertainerin Ina Müller: „Man kriegt mich zwar aus Bismark raus, aber Bismark nicht aus mir.“