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Historischer Fund Ziegelstein im Kamin der Stadtvilla

Der Dachdecker Karl Benecke hat als Kriegsgefangener im baden-württembergischen Kehl einige seiner Gedanken in einen Ziegelstein geritzt.

Von Malte Schmidt 24.10.2016, 12:20

Salzwedel/Kehl l Wie die Tage zuvor macht sich Karl Benecke mit anderen Menschen auf den Weg zu einer Stadtvilla an der Großherzog-Friedrich-Straße im baden-württembergischen Kehl. Der gelernte Dachdecker ist Kriegsgefangener, Laufbursche, Arbeiter der Franzosen in der kleinsten der Besatzungszonen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA und Großbritannien an Frankreich übertragen wurde.

Es ist der 20. August 1946, – mittlerweile ist der Zweite Weltkrieg mehr als ein Jahr vorbei – als er eine Nachricht in einen der Ziegelsteine ritzt, die den massiven Schornstein der Villa zusammenhalten. Er schreibt: Benecke Karl, Salzwedel, Kriegsgefangener, Dachdecker, 20. August 1946.

Es sind Worte und Zahlen, die selbst heute, 70 Jahre später, noch deutlich im Kehler Museum zu erkennen sind. Denn dort liegt der historische Stein seit Anfang des Jahres im Rahmen der Ausstellung „Zwischenzeit – Kehl zwischen 1944 und 1953“.

Im Januar 2016 war es, als Ute Scherb, Archiv- und Museumsleiterin, das Stück Zeitgeschichte vom Kehler Klaus Gras übergeben bekommen hat. „Davor befand sich der Stein jahrelang im Besitz des Dachdeckermeisters Heinrich Rosendahl, der ihn durch Zufall entdeckt hat“, weiß Ute Scherb.

Es war in den 1990er Jahren, als Heinrich Rosendahl mit dem Abtragen des Schornsteines in der mittlerweile historischen Stadtvilla beauftragt war. Dabei entdeckte er den gravierten Ziegelstein und stellte ihn sicher. Mehr als zwei Jahrzehnte später übergibt Rosendahl den Ziegelstein an den Gästeführer und das Mitglied im Historischen Verein, Klaus Gras.

Es sind fast die einzigen Informationen, die man über Karl Benecke bis heute herausfinden konnte.

„Karl Benecke ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Kriegsgefangenenlager auf dem `Läger´ inhaftiert gewesen“, sagt Ute Scherb.

Eigentlich sei das Lager ein Durchgangslager gewesen, jedoch hätten die Franzosen Handwerker längere Zeit dabehalten, damit sie von deren Reparaturarbeiten in der Stadt profitieren konnten.

„Als Dachdecker wird es Karl Benecke besser gegangen sein als vielen seiner Mithäftlinge, da er eine bessere Verpflegung bekam.“

Um noch mehr über den 1907 in Vitzke geborenen Karl Benecke herauszufinden, kontaktierte Ute Scherb Stadtarchivar Steffen Langusch.

„Ich habe am 18. August dieses Jahres eine E-Mail von der Frau Scherb erhalten, in der sie mich gefragt hat, ob ich Informationen über Karl Benecke im Archiv ausfindig machen könnte“, so Langusch.

Er habe herausgefunden, dass Benecke aus dem Krieg heimgekehrt und 1967 gestorben ist und eine Frau namens Linda hatte, die erst im Jahr 1992 in Salzwedel verstorben ist. „Die beiden hatten außerdem drei Töchter“, sagt Steffen Langusch.

„Der Stein ist ein Objekt, das selber eine Geschichte erzählt, ein Objekt, das spricht“, hat sich Scherb damals während der Übergabe gefreut.

Bis zum 27. November 2016 haben Interessenten die Möglichkeit, die Ausstellung im Hanauer Museum in Kehl anzusehen. Geöffnet hat das Archiv donnerstags, freitags und sonntags von 11 bis 17 Uhr. Es befindet sich in der Friedhofstraße 5. Für Informationen und Fragen ist die Rufnummer 0 78 51/787 83 vorgesehen.