1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Mit Cello und Rückenwind

EIL

Radtour Mit Cello und Rückenwind

Die dänische Cellistin Ida Riegels radelt durch Altmark und Wendland. Sie ist unterwegs „in Bachs Fußspuren“.

Von Björn Vogt 17.06.2017, 12:50

Salzwedel/Lüchow l Ihre langen dunklen Locken hat sie unter einen Fahrradhelm gezwängt. Wenn die grazile Ida Riegels mit ihrem leuchtendroten Cellokoffer auf dem Rücken über norddeutsche Sandpisten und Feldwege radelt, drehen sich die Spaziergänger um. Die Dänin vollzieht eine Reise nach, die Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) vor über 300 Jahren angetreten hat. Im November 1705 verließ der 20-jährige für einige Wochen seine Kirche im thüringischen Arnstadt, wo er als Organist angestellt war. Das Ziel: Lübeck. Hier wollte Bach sein Idol, den großen Komponisten und Orgelmeister Dietrich Buxtehude treffen.

Bach ging zu Fuß. „Das waren über 400 Kilometer“: Ida Riegels ist fasziniert von dieser Geschichte. Sie ist überzeugt, dass Bach, ihr Lieblingskomponist, „dieser Familienmensch mit weißer Perücke und 20 Kindern“ in seiner Jugend ein Rebell war. Und da ein Cello zum Wandern zu unhandlich ist, beschloss die Kopenhagenerin, das Fahrrad zu nehmen. Die Reise soll ihre Beziehung zu Bach und seiner Kunst vertiefen. Ein halbes Jahr hat sie den Trip vorbereitet.

Auf dem Cellokoffer hat sie eine kleine Kamera montiert. Die Bilder des Tages lädt sie abends auf ihren Blog hoch. Zehn Kilo, mehr zusätzliches Gepäck hat sie sich nicht erlaubt.

An diesem sonnigen Mittwochabend tritt sie in der mittelalterlichen St.-Marien-Kirche im wendländischen Plate auf. Die Kirche ist voll besetzt. Die Dänin spielt ausschließlich Bach‘sche Solo-Stücke für Cello und Blockflöte. „Es ist ein Vergnügen zu spüren, wie die wunderbare Akustik der Kirche die Töne gleichsam fliegen lässt“, freut sich die Musikerin, die Zuhörer sind beseelt.

Abends passierte sie die Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Davor trat sie in der mächtigen Backsteinkirche St. Katharinen in Salzwedel auf und begeisterte die Zuhörer mit ihrem Bachprogramm. Anstelle des sonst üblichen Hotels verbrachte sie in der Altmark mehrere Tage in einer mongolischen Jurte.

Ida Riegels, die mit drei Schwestern aufwuchs, studierte am Königlichen Dänischen Musikkonservatorium in Kopenhagen Cello, Blockflöte und Klavier. Nach dem Examen entschloss sich die heute 34-jährige gegen eine Festanstellung im Orchester. „Kopenhagen ist teuer. Freier Musiker, das bedeutet wenig Geld und viel Improvisation. Aber ich kann selbst entscheiden, was ich tun möchte“. Und das ist Reisen: sie liebe Abenteuer.

Seit vier Jahren reist die Profi-Musikerin durch die Welt – mit dem Cello und Bachs Musik im Handgepäck. Ob in Indien oder Bhutan, in Washington oder Halberstadt: „Bach scheint etwas zu kommunizieren, zu dem jeder einen Zugang findet“, freut sich Riegels. Um über die Runden zu kommen, spiele sie 60 bis 80 Konzerte pro Jahr.

Bachs Cellosuiten faszinieren sie seit ihrer Kindheit. „Ich habe heimlich auf dem Cello meiner Schwester geübt, als ich sechs war. Da bekam ich auch Unterricht“, erinnert sich Riegels.

„In der Kirche klingt Bach umwerfend, im Café geht es aber auch“ – für sie eine neue Erfahrung. Auf Schloss Gerbstedt bei Sangerhausen lernte sie Besitzer Phil Stewmann, den „Schlagerbaron“, kennen. „Seine Frau hatte gerade ein Café im Schloss eröffnet. Es war so windig und regnerisch, dass mir die Baroness anbot, mich die 57 Kilometer nach Halberstadt zu fahren. Ich tauschte Konzert gegen Lift. Bach hätte das vielleicht auch getan, vor 300 Jahren“, erzählt die Dänin und lacht.

Ihre Tour habe ihr bislang viele wunderbare Begegnungen beschert, der Rückenwind trägt sie weiter, elbabwärts.

Zum Abschluss der Konzetreise, am 23. Juni, gastiert sie in St. Marien in Lübeck - wie einst Bach. Und sie hat schon wieder Pläne: Ende August will Riegels in einer Sommerakademie in Cambridge ihr eigenes Cello bauen. Und im Anschluss mit eigenen Kompositionen auf Tour gehen – „vielleicht wieder mit dem Fahrrad“.