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Vegan Wenn die Gans an Weihnachten ganz bleibt

Was aber essen die Vegetarier oder Veganer an Weihnachten? Die Volksstimme fragte bei Salzwedelern nach.

Von Alexander Rekow 25.12.2017, 03:00

Salzwedel l Ein paar Hefte, Bücher und aus dem Internet ausgedruckte Zettel liegen auf dem Küchentisch von Katrin Kettmann in Böddenstedt. Gemeinsam mit ihrer Freundin Kirsten Weißbach aus Salzwedel blättert sie in den Rezepten. Doch weder Gänsebraten, Gulasch oder Hühnerfrikassee sind in den Unterlagen zu finden. Dafür Gerichte mit Linsen, Sesampaste oder Seitan. Die beiden Westaltmärkerinnen studieren vegane Rezepte. Heißt: ohne jegliche tierische Inhaltsstoffe – also weder Fleisch, Ei oder Milch. Sie beide eint: Ihre Söhne essen kein Fleisch. Daher kochen die beiden zweigleisig für ihre Familien. Was anfangs noch Schwierigkeiten bereitete, ist für die Frauen heute kein großer Akt mehr. Denn noch etwas eint die Freundinnen: Sie kochen einmal monatlich im Mehrgenerationenhaus Salzwedel vegan.

„Anfangs kannte den Begriff ‚vegan‘ keiner“, erinnert sich Felix Neumann. Seit 1999 betreibt er den Bioladen „Grünland“ in Salzwedel. Er ernährt sich vegetarisch. Kaum jemand hat die Entwicklung der fleischfreien Ernährung in der Hansestadt so miterlebt wie er. „Vor sechs bis sieben Jahren sind immer mehr vegetarisch oder vegan geworden“, weiß Neumann noch genau. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. „Manch einem geht es um das Tierwohl“, sagt Felix Neumann. Nach der Veröffentlichung brisanter Bilder aus Schlachthöfen, die den Umgang mit den Tieren dokumentierten, seien einige Menschen auf eine fleischfreie Ernährung umgeschwenkt. Zudem, macht Neumann deutlich, habe das auch politische oder gesundheitliche Hintergründe. „Spätestens aber vor etwa zwei Jahren setzte auch in Salzwedel ein Boom ein“, erinnert er sich.

Besagter Boom hat auch die Fleischindustrie erreicht. Der Wursthersteller Rügenwalder Mühle verkauft inzwischen mehr Packungen seines vegetarischen Aufschnitts als des fleischhaltigen Originals. „Bei der vegetarischen Mortadella ist es tatsächlich die vier- bis fünffache Menge“, teilte Firmensprecherin Gabi Soballa der Berliner Zeitung ‚taz‘ im Jahr 2015 mit. Statt wie ursprünglich 2020 geplant, sollten jetzt schon vier Jahre früher 30 Prozent der Produktion auf vegetarische Artikel entfallen. Außer der vegetarischen Mortadella vertreibt der Wurstgigant auch vegetarische Salami, Schnitzel oder auch Klopse. Ähnlich sieht es bei Fleischproduzent Herta aus, der ebenfalls fleischfreie Produkte in sein Sortiment aufgenommen hat.

„Wir essen in diesem Jahr Raclette“, sagt Thilo Simlacher aus Liesten. Während seine Söhne an Weihnachten vegetarisch essen, also mit Käse, wird es für ihn und seine Frau Veganes geben. „Ich esse aus ethischen Gründen vegan“, erklärt der Familienvater: „Die Bedingungen, wie Tiere gehalten werden, sind unerträglich!“ Seine Entscheidung, auf Fleisch zu verzichten, ist wesentlich früher gefallen. „Ich esse schon 30 Jahre vegetarisch“, sagt Simlacher. Auch weil unzählige Felder beackert werden, um Nahrung für die Tiere statt für Menschen zu produzieren. Hinzu kommt die Nitratbelastung aus den Exkrementen der Tiere und das intensive Spritzen der Felder – was schließlich in den Mägen der Tiere und dann in denen der Menschen lande. Während für ihn die ethische Frage im Vordergund steht, geht es für seine Frau um gesundheitliche Faktoren, erklärt er.

Katrin Kettmann blättert weiter in Rezepten. Ein Gericht für ihren Sohn Michel (22) für Weihnachten fehlt noch. Dieser verzichtet nämlich seit nunmehr fünf Jahren auf Fleisch, isst selten vegetarisch und zumeist vegan. „Wir leben heutzutage nicht mehr in einer Gesellschaft, in der es notwendig ist, einen Teil der Nährstoffe über tierische Produkte zu decken“, erklärt der Student aus Braunschweig und fügt hinzu: „Es bringt keinerlei gesundheitliche Vorteile.“ Weder in der Uni noch beim Sport oder bei der Arbeit vermisst der 22-Jährige Fleisch oder Fisch. Zudem, und das scheint ihm noch wichtiger, spielt der ethische Faktor eine Rolle. „Tiere sind leidensfähige Lebewesen. Sie zu töten ist dementsprechend nicht mit meinen moralischen Vorstellungen vereinbar“, sagt der Student.

Seine Schwester Jolien (17) verzichtet hingegen nicht auf Fleisch. „Sie hatte sogar Angst, dass wir ihr Frikassee streichen und durch etwas Veganes ersetzen“, witzelt Mutter Katrin Kettmann. So ganz verschließt sich aber auch das Nesthäkchen nicht der veganen Küche: „Ich habe gestern den besten Burger meines Lebens gegessen – und der war vegan“, verrät sie stolz. Einzig die Oma der Familie hatte anfangs so ihre Schwierigkeiten mit der Ernährungsumstellung ihres Enkels. „Sie hat manches mal gejammert“, weiß Katrin Kettmann noch genau. „Sie wusste halt nicht, was und wo sie einkaufen sollte“, sagt Kettmann. Der Opa habe sich dann aber schlau gemacht.

Auch Kirsten Weißbach schmökert noch in den Rezepten. Ihr Sohn Oliver hat sich im vergangenen Jahr ebenfalls dazu entschieden, auf Fleisch zu verzichten. „Das fing mit einer Wette im vergangenen Jahr an“, erinnert sich Weißbach noch gut. Als Wetteinsatz durfte ihr Sohn einen Sommer kein Fleisch essen – der Verzicht hält bis heute an.

Nach einer Weile haben die beiden Mütter etwas für ihre Söhne gefunden. Für Kirsten Weißbach steht fest: „Vorspeise wird ein Himbeer-Panna-Cotta, Hauptgang ein Nussbraten.“ Auch sonst ist die Lehrerin zuversichtlich, etwas zu finden. „Ich koche im Hauswirtschaftsunterricht auch mit meinen Schülern vegetarisch – bis dato hat es immer geschmeckt.“ Katrin Kettmann hingegen wird eine indische Tomatensuppe als Vorspeise machen. „Die haben wir beim veganen Kochen im Mehrgenerationenhaus schon gemacht.“ Als Nachspeise steht eine vegane Erdbeercreme auf dem Speiseplan. Der Hauptgang, so Kettmann, steht noch nicht fest. Was fest steht: „Es wird in jedem Fall vegan sein!“

Ob ein Braten aus Seitan (Weizeneiweiß), Tofu (zu Sojamilch verarbeitete weiße Sojabohnen), ob Linsenburger oder Gemüsebratlinge, für Felix Neumann steht die ausgewogene Ernährung im Fokus. Der beste Wille helfe nichts, wenn man sich einseitig ernährt. Daher empfiehlt Neumann den Griff ins Gemüseregal, statt auf Fertigprodukte der Industrie zurückzugreifen. „Aufstriche aus Gemüse statt Wurst aufs Brot. Aus Bioanbau, versteht sich“, nennt er als Möglichkeit. Und Weihnachten: „Da gibt es die Gemüsereste aus meinem Laden, man muss doch einfach nur etwas kreativ sein.“